Vor 40.000 Jahren geschnitzt, vor 73 Jahren entdeckt und seit gestern vollständig im Museum der Universität Tübingen auf Schloss Hohentübingen zu sehen: Die Löwenfigur aus der Vogelherdhöhle im Lonetal wird die Fachwelt noch beschäftigen. Denn der erst vor kurzem entdeckte Kopf widerlegt, was lange Zeit als sicher galt: Bisher glaubte man, es handele sich um ein Relief oder um ein Halbrelief, also eine halbe Tierfigur. Mit dem neuen Kopf ist klar: Bei dem Tier handelt es sich um eine dreidimensionale Vollplastik. Dass die Rückseite so glatt ist, hängt mit physikalischen Eigenschaften des Elfenbeins zusammen – nicht damit, dass sich die prähistorischen Künstler erst über Reliefarbeiten an die figürlichen Darstellungen herangetastet hätten. Im Gegenteil: Schon zur Zeit der ältesten Funde war die Kunst voll entwickelt.
Es sei eine Wettbewerbssituation gewesen zwischen dem modernen Menschen und dem Neandertaler, sagte Prof. Nicholas Conard vom Institut für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Tübingen. Da habe es im kulturellen Bereich eine Art Wettrüsten gegeben, und in dieser Zeit, als der moderne Mensch die archaischen Menschen verdrängt hätte, seien Kunst, Musik und vieles mehr entstanden.
Die Höhlen der Schwäbischen Alb, hier der Hohle Fels bei Schelklingen, stehen derzeit ganz oben auf der Liste der deutschen Kandidaten für das Weltkulturerbe. 2016 soll der Vorschlag bei der UNESCO eingereicht werden. Den Status des Weltkulturerbes trügen die Höhlen im Lonetal und bei Schelklingen zu Recht, so Conard. "Die kulturelle Modernität ist spätestens 40.000 vor heute entstanden in unserer Region", sagte er. "Selbstverständlich würde ich nie so weit gehen und sagen: Das ist hier und nur hier entstanden. Ich nehme an, dass ähnliche Prozesse anderswo stattfanden, nur sind die bislang nicht dokumentiert."
Ob die kulturelle Entwicklung auf der Schwäbischen Alb einzigartig war oder ob die Höhlen der Schwäbischen Alb die Spuren besonders gut konserviert haben: Weltweit einzigartig sind die Kleinkunstwerke auf jeden Fall. Vieles wartet noch auf seine Auswertung, und so wird es wohl auch die kommenden Jahre aus Tübingen noch so manche Überraschung geben.
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