Die letzten Regentropfen platschen auf den Fußboden, riesige Braunkohle-Bagger ächzen im Sturm — und doch klart der Himmel über Ferropolis, der weltbekannten „Stadt aus Eisen" langsam wieder auf, als wolle auch er das Wochenende gebührend verabschieden. Es ist Sonntagabend, 22:00 Uhr, und die letzte ultimative Belastungsprobe für rund 20.000 Köpfe, die seit drei Tagen munter im Takt der Musik wippen, steht an. Rap-Altmeister Kool Savas betritt in diesen Minuten die Hauptbühne des splash! Festivals und bringt einen der aufwendigsten Auftritte des Wochenendes auf die „Vulcano Main Stage". Einen weiteren Auftritt und das große Abschlussfeuerwerk später ist die 18. Ausgabe des größten deutschen Hip-Hop- und Rap-Festivals vorbei. Über vier Tage hinweg präsentierten Szene-Größen wie Marsimoto, Haftbefehl, K.I.Z. oder A$AP Rocky Klassiker und aktuelle Hits in der wohl schönsten Festivalkulisse Europas. Jährlich laden die Organisatoren rund 20.000 Besucher zum viertägigen Festival-Marathon auf die Halbinsel im Gremminer See, um die internationale und deutsche Hip-Hop-Kultur zu feiern.
Als im Sommer 1998 in Chemnitz der Startschuss für die erste Ausgabe des Festivals fällt, ahnt wohl niemand, zu welchem Erfolg es der damals kleine Szene-Treff einmal bringen wird. 18 Jahre später ist das splash! bereits Monate im Voraus ausverkauft und der Termin schlechthin für Fans und Künstler. „Das ist wie eine große Klassenfahrt", beschreibt Newcomer Pimf die Stimmung im Interview. Am Festival-Freitag hatte er den kritischen Zuhörern sein frisch erschienenes Album „Memo" präsentiert und mit seinem souveränen Auftritt die erste Messlatte für das Wochenende gelegt. Schon lange bevor er das erste Mal gebucht wurde, war der heute 21jährige als Fan zu Gast. "Uns selbst wenn ich im nächsten Jahr keinen eigenen Auftritt habe, muss ich auf jeden Fall wiederkommen", versichert er mit leuchtenden Augen. Auch für Sevket Dirican, alias Chefket, der auf dem Festival einen ersten Einblick in sein für August angekündigtes Album „Nachtmensch" gab, gehört das splash! aus Überzeugung zum Pflichtprogramm: „Das Festival ist eine Veranstaltung für alle Sparten unserer Musik — für den Mainstream, den Underground, die Newcomer, die Freestyler, die Battle-Rapper. Das splash! vereint alle diese Richtungen zu einer großen Familie." Besonders den engen Kontakt zu den Festival-Gängern honoriert Dirican: „Hier hat das Publikum wirklich einen genauen Plan von den Künstlern. Im Vergleich zu vielen anderen Festivals merke ich immer wieder, wie intensiv sich unsere Fans mit Texten und Geschichten auseinandersetzen."
Mit ihren einfallsreichen Auftritten und persönlichen Geschichten sind es in diesem Jahr vor allem die jungen und unbekannten Künstler, die das splash! Festival zu ihrer Bühne machen. Während alte Bekannte souverän ihr Programm herunterspielen und die größten Namen des Festivals zum Playback die Hüften schwingen, versetzten die Auftritte im Vorabend-Programm das Publikum in Ekstase. Einer von ihnen ist Ali As, Jahrgang 1979, beileibe nicht der jüngste Künstler in Ferropolis, aber doch einer der unbekannteren Namen. Mit langem Gewand eröffnet er den zweiten Festival-Tag, nur um sogleich trotz sengender Hitze auf der Bühne auf und ab zu springen. Statt Rauch und Raketen regnet es während des Auftritts hunderte Handtücher, die fleißig durch die Luft gewedelt werden und kistenweise Trinkpäckchen, um den Fans am Nachmittag eine Erfrischung zu spendieren.
Ortswechsel. Wer selbst einmal auf einen Festival war, der weiß, dass am frühen Nachmittag auf dem Gelände Leere herrscht, während unzählige Besucher noch auf den Camping-Plätzen ihr Unwesen treiben. Dosen-Ravioli und Einmal-Grills wurden dabei längst von bekannten Trinkspielen abgelöst. Für Aufsehen sorgt in diesem Jahr ein kleines Papp-Schild, das zum Boxkampf einlädt. Einige Camper haben Handschuhe mitgebracht; zwei Euro soll derjenige bekommen, der gegen einen Vertreter des Zelts gewinnt. Anfangs bilden zwanzig Leute einen Kreis, am Ende des Wochenendes feuern über 300 Menschen ihren Favoriten an. Längst ist der Gewinn gestrichen, während Halbstarke um Ruhm und Ehre kämpfen.
Der Gewinner bekommt nicht selten Gebäck oder Grillgut als Belohnung und wird stets freundschaftlich beglückwünscht. „Das ist Hip-Hop! Wir sind doch eine Familie", brüllt einer der Verlierer, während er mit blutender Nase seinem Konkurrenten in den Armen liegt. Aggressionen finden in diesen Tagen keinen Platz in Ferropolis — vielleicht ist dafür auch der leicht süßliche Geruch nach Heilkräutern verantwortlich, der stets über dem Festival-Gelände in der Luft liegt.
Wer aufs Kräftemessen verzichtet und schon auf dem Gelände ist, der wird bereits mittags Zeuge von intensiven Podiumsdiskussionen über die Rolle von schwarzem Humor in Songtexten, kreativen Workshops oder Lesebühnen. Der Versuch, das splash! in eine Schublade mit anderen Festivals zu stecken, scheitert gnadenlos an der Mischung irgendwo zwischen Musik und Kultur.
In den frühen Abendstunden drängen zunehmend mehr Besucher vor die insgesamt fünf Bühnen auf dem Gelände. Kenner der Szene entdecken zwischen normalen Fans auch immer wieder Künstler, die sich in die Menge mischen oder sogar selbst auf dem Camping-Platz übernachten. Egal aus welcher Richtung, immer wieder ist von „Familientreffen" oder „Klassenfahrt" die Rede. Ohne selbst für einen Auftritt gebucht worden zu sein, hat sich fast die ganze Hip-Hop-Szene auf den Weg in die Stadt aus Eisen gemacht: Mit einem Bier in der Hand kann man Olson und Ahzumjot treffen, die gespannt den Auftritten lauschen. Wieder andere wie Célo und Abdi sind gekommen, um Ziehvater Haftbefehl auf der Bühne zu unterstützen und selbst wahre Größen wie Kraftklub-Frontmann Felix Brummer oder Max Herre treiben sich ohne eigene Shows auf dem Festival herum.
So viel an diesem Wochenende der Nachwuchs gelobt wird, gehören auch die langersehnten großen Shows zu den Highlights des Festivals. Manch ein Besucher fragt sich noch Tage später, wie es Marten Laciny mit seinen Alter Egos Marteria und Marsimoto gleichzeitig auf eine Bühne schafft. Damit nicht genug, stürmen am zweiten Festivaltag nach dem eigentlichen Headliner A$AP Rocky plötzlich die Berliner K.I.Z. auf die Bühne. Wer schon auf dem Rückweg zum Zelt ist, mobilisiert letzte Kräfte und binnen Minuten ist der Platz vor der Hauptbühne wieder gut gefüllt. Mal als „Kannibalen in Zivil" unterwegs, andernorts als „Klosterschüler im Zölibat" bekannt, liefern Tarek, Maxim, Nico und DJ Craft mit frischem Album im Gepäck einen würdigen Ausklang.
Doch nach den Headliner-Shows kann mit genügend Kraft auf dem splash! sogar bis in die frühen Morgenstunden gefeiert und getanzt werden. Dann lösen DJ-Pulte die Mikrofone ab und die Arme wandern aus der Luft an die Plattenteller. Wer K.I.Z. am Samstag verpasst hat, bekommt lange nach dem Abschlussfeuerwerk die Chance, Zeuge einer außergewöhnlichen Show zu werden. Der „Soundclash", ein musikalisches Kräftemessen zwischen dem bayrischen Duo „Drunken Masters" und den „Turntable Hools", der K.I.Z.-DJ-Formation, lässt die Zeltwände am Sonntagabend erzittern und die Besucher ein letztes Mal in die Luft springen. Mit schier unendlicher Kondition und einer großen Portion Spaß kitzeln die beiden Teams bis in die frühen Morgen stunden die letzte Energie aus ihren Fans.
Am frühen Montagmorgen hat sich der Himmel wieder zugezogen – es regnet. Eifrig werden Zelte abgebaut und Schlafsäcke zusammengerollt. Eine Bierdose rollt langsam durchs feuchte Gras und ein zurückgelassener Pavillon knickt unter einer Windböe ein. Ein letztes Mal erwacht die Hip-Hop-Szene rund um die Stadt aus Eisen und tritt den Heimweg an. Doch sie werden wiederkommen, zum neunzehnten Mal, und der Termin steht auch schon fest: Das splash! Festival 2016 findet vom 07. bis 10. Juli 2016 statt. (Von Florian Gehm und Alina Zimmermann.)
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