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Ulm:

Hirnforscher decken auf: Wille ist freier als gedacht

Stand: 11.02.15 15:00 Uhr

Sind wir Sklaven unseres Unbewussten und können nichts dagegen tun? Hirnforscher sagen: Nein! Unser Bewusstsein kontrolliert unbewusste Prozesse im Gehirn. Der Wille und die automatische Verarbeitung arbeiten Hand in Hand, nicht gegeneinander. Das hat eine Forschergruppe an der Universität Ulm um den Psychologen Professor Markus Kiefer herausgefunden.

Sind wir Sklaven unseres Unbewussten und können nichts dagegen tun? Hirnforscher sagen: Nein! Unser Bewusstsein kontrolliert unbewusste Prozesse im Gehirn. Der Wille und die automatische Verarbeitung arbeiten Hand in Hand, nicht gegeneinander. Das hat eine Forschergruppe an der Universität Ulm um den Psychologen Professor Markus Kiefer herausgefunden.

Unbewusste Prozesse, die im Widerspruch zu unseren Absichten stehen, werden weitgehend von unserem Bewusstsein blockiert. Unser Wille sei freier als gedacht, sagt Markus Kiefer, Sprecher eines deutschlandweiten Projektnetzwerkes zur Bewusstseinsforschung. Seine Forschungsgruppe konnte mit Messungen der Hirnaktivität im Magnetresonanztomographen (MRT) zeigen, dass bewusste Vorsätze die Arbeit unserer automatischen Systeme im Gehirn steuern. Die Forscher wiesen erstmals nach, dass solche Vorsätze für eine gewisse Zeit Netzwerke von Bereichen im Gehirn etablieren, die den unbewussten Informationsfluss im Gehirn steuern. Diese Ergebnisse wurden nun in der renommierten Fachzeitschrift Human Brain Mapping veröffentlicht.

Seit den Arbeiten des Begründers der Psychoanalyse Sigmund Freund wurde unhinterfragt angenommen, dass unser Unbewusstes autonom und nicht vom Bewusstsein kontrollierbar ist. Die Vorstellung des chaotischen und unkontrollierbaren Unbewussten prägt bis heute auch die akademische Psychologie und Kognitionsforschung. Dieses Dogma sei in der Vergangenheit kaum kritisch hinterfragt worden, so Professor Markus Kiefer. Die Befunde widerlegten diese Lehrmeinung. Sie zeigten eindeutig, dass unser Bewusstsein zu den Absichten passende unbewusste Vorgänge in unserem Gehirn verstärke, nicht passende dagegen abschwäche, so Kiefer. Dadurch werde gewährleistet, dass unser bewusstes Ich Herr im Haus bleibt und nicht durch eine Vielzahl unbewusster Tendenzen beeinflusst wird. Die Menschen seien also keinesfalls Sklaven ihres Unbewussten, wie lange Zeit angenommen, meint Kiefer.

Diese Kontrolle des Unbewussten durch das Bewusstsein zeige sich, so Kiefer, auch im Alltag: Wer in den Supermarkt gehe, um Spülmittel zu kaufen, sei wenig empfänglich für die Schokolade im Süßwarenregal. Die Situation sei ganz anders, wenn ich gerade hungrig bin und dabei wäre, Nahrungsmittel einzukaufen. Ähnliches gelte auch beim Autofahren: Wer einen Fußgänger auf der Fahrbahn erwarte, könne ihn mit höherer Wahrscheinlichkeit auch dann rechtzeitig erkennen und abbremsen, wenn er am Rande seines Gesichtsfeldes auftauche und damit nicht bewusst wahrnehmbar sei. Die bewussten Absichten und Einstellungen entscheiden somit darüber, ob ein unbewusster Prozess in unserem Gehirn überhaupt ablaufen kann.

Für die Studie haben die Forscher der Ulmer Universitätsklinik für Psychiatrie die Gehirnaktivität von Probanden beim Lesen von sichtbaren Worten im Magnetresonanztomographen gemessen. Zuvor wurden andere Worte, so genannte Bahnungsreize, für eine ganz kurze Zeit eingeblendet, so dass sie nicht bewusst wahrnehmbar waren. Bedeutungsmäßig verwandte unbewusste Bahnungsreize beschleunigten die Erkennenszeiten der nachfolgend gezeigten kritischen Wörter (z.B. Tisch-Stuhl, Henne-Ei) nur dann, wenn die Probanden zuvor die Absicht hatten, die Bedeutung von Wörtern zu verstehen. Hatten die Probanden dagegen die Absicht, auf die Form von Buchstaben zu achten und die Wortbedeutung zu ignorieren, hatten die unbewussten Bahnungsreize keinen Einfluss auf die Erkennenszeiten der sichtbaren Worte.

Diese Blockade unbewusster Prozesse durch die bewussten Absichten der Probanden konnte auch anhand der Messung der Hirnaktivität nachgewiesen werden. Wie bei den Erkennenszeiten auch, wurde die Gehirnaktivität beim Lesen der sichtbaren Worte nur dann durch die unbewussten Bahnungsworte verändert, wenn die Probanden zuvor, auf die Bedeutung von Bildern beachteten. Beachteten die Probanden zuvor die Form von Bildern, hatten die unbewusst wahrgenommenen Worte keinen Einfluss auf die Gehirnaktivität beim Lesen. Es zeigte sich, dass die bewussten Absichten der Probanden, auf Bedeutung oder Form zu achten, für eine gewisse Zeit unterschiedliche Netzwerke von Hirnarealen etablierten, welche die Verarbeitung der unbewusst wahrgenommenen Reize beeinflussten.

Mit 1,9 Millionen Euro förderte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ein deutschlandweites Projektnetzwerk zur Bewusstseinsforschung, in das das Ulmer Projekt eingebettet ist. Kiefer ist Sprecher dieses Netzwerkes. Mühelos koordiniere das Gehirn im Alltag bewusste und unbewusste Prozesse, etwa bei der Wahrnehmung. Aber was dabei im Kopf passiere, sei sehr kompliziert und nach wie vor zum Teil unverstanden. Philosophen würden seit Jahrtausenden über die Natur des Bewusstseins und sein Verhältnis zu den unbewussten Vorgängen streiten. Man könne nun mit modernsten Methoden bewusste und unbewusste Prozesse im Gehirn sichtbar machen und so zur Lösung dieser alten Frage beitragen. Im Gegensatz zur früheren Lehrmeinung werde durch diese Forschung deutlich, dass sich bewusste und unbewusste Vorgänge im Gehirn wechselseitig beeinflussen.

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