Boris Palmer im RTF.1-Interview | Bildquelle: RTF.1

Tübingen:

Boris Palmer mahnt Grüne zu Realismus in Flüchtlingsfrage - "Abschiebungen mittragen"

Stand: 08.08.15 14:50 Uhr

Der Tübinger Oberbürgermeister und Grünen-Realpolitiker Boris Palmer hat seine Partei aufgefordert, sich in der Flüchtlingsfrage nicht hinter hehren mitmenschlichen Zielen zu verschanzen sondern sich der Wirklichkeit zu öffnen. Aus der Wirklichkeit erwachse "zwangsläufig der Konflikt, dass man bereit sein muss, Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern mitzutragen".

Dem RedaktionsNetzwerk Deutschland, dem mehr als 30 Tageszeitungen angehören, sagte Palmer: "Für uns Grüne ist das leider ein harter Realitätstest. Es hat uns schon öfter erwischt, dass wir mit großem Enthusiasmus hehre Ziele verfolgt haben und dann hat die Wirklichkeit sich nicht danach gerichtet."

Es sei "richtig und nachvollziehbar, dass wir die Partei der Mitmenschlichkeit sein wollen, aber objektiv ist es nicht machbar, dass wir die Aufnahme- und Betreuungskapazitäten so schnell ausbauen können, wie derzeit die Zahlen steigen."

Palmer steht seit 2007 an der Spitze der Stadt Tübingen. Wie überall hat auch Tübingen große Schwierigkeiten, die zahlreichen Flüchtlinge unterzubringen. Aus der Wirklichkeit erwachse "zwangsläufig der Konflikt, dass man bereit sein muss, Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern mitzutragen".

Das falle Grünen immer schwer, weil das "nämlich nicht sehr mitmenschlich" sei. Palmer beklagte in diesem Zusammenhang Auswüchse in seiner Partei. "Von manchen wird man bei den Grünen schon deshalb als fremdenfeindlicher Reaktionär angegriffen, wenn man auf diesen Tatbestand hinweist. Es ist aber die harte Wirklichkeit: Wir können nicht für alle eine sichere Zuflucht sein."

Palmer sieht Chancen für schwarz-grüne Koalition

Palmer äußert sich in dem Interview auch zur SPD: Einem möglichen SPD-Kanzlerkandidaten Sigmar Gabriel räumt er bei der Wahl 2017 gegen Angela Merkel lediglich eine Erfolgswahrscheinlichkeit zwischen Null und neun Prozent ein: "Unter der Annahme, dass sie noch einmal kandidiert und er ihr Gegenkandidat ist, würde ich sagen, die Wahrscheinlichkeit ist einstellig."

Im Gegensatz dazu schätze er die Wahrscheinlichkeit für eine schwarz-grüne Koalition "auf jeden Fall zweistellig" ein. Allerdings müssten die Grünen ihr Ergebnis vom letzten Mal deutlich verbessern. "Mit acht Prozent wie 2013 wären die Grünen aber gar nicht wichtig genug, weil es dann für Merkel auch ohne uns reichen dürfte. Wenn wir aber 15 oder mehr Prozent holen, dann kann es sein, dass gegen uns nicht regiert werden kann."

Dann sei es nur noch die Frage, "ob die CDU bereit ist, den inhaltlichen Preis für Schwarz-Grün zu bezahlen, oder ob sie es sich bequemer macht und wieder mit der SPD geht", sagte Palmer. Als grüne Koalitionsbedingungen nannte der Politiker zwei Punkte: "Ohne einen raschen Kohleausstieg oder einem Ende jeder Diskriminierung von Homosexualität wird es mit uns nicht gehen." Dennoch sei für die Grünen von allen möglichen Konstellationen Schwarz-Grün die wahrscheinlichste.

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