Die Staats- und Regierungschefs der 19 Euro-Mitgliedstaaten haben sich auf ein umfangreiches Reformpaket verständigt und so den Weg für Aufnahme von Verhandlungen über ein Programm des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) geebnet. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, sie wolle dem Bundestag die Aufnahme von Verhandlungen "aus voller Überzeugung" empfehlen.
Athen muss bis Mittwoch eine Reihe grundlegender Reformen parlamentarisch umsetzen und das Gesamtpapier annehmen. Danach können der Bundestag und andere nationale Parlamente über das Verhandlungsergebnis abstimmen. Das erklärte Bundeskanzlerin Merkel nach einem 17-stündigen Verhandlungsmarathon über eine dritte Griechenlandhilfe in Brüssel.
Vor der Presse in Brüssel sagte die Kanzlerin, bei dem beschlossenen Programm würden die Vorteile die Nachteile überwiegen. Die Beschlüsse müssten nun Schritt für Schritt umgesetzt werden. Das liege nun bei den griechischen Verantwortlichen. Die Kanzlerin geht davon aus, dass Griechenland für die nächsten drei Jahre zwischen 82 und 86 Milliarden Euro Finanzhilfe braucht.
SPD-Fraktionschef Oppermann konstatiert: Die Einigung entspreche der sozialdemokratischen Vorstellung von Solidarität als Hilfe zur Selbsthilfe. „Die Einigung ist ein Sieg der Vernunft. Es ist gut, dass der Grexit vermieden wurde. "Die Einigung entspricht der sozialdemokratischen Vorstellung von Solidarität als Hilfe zur Selbsthilfe.Dazu gehören zumutbare eigene Anstrengungen. Die Unterstützung kommt Zug um Zug gegen die notwendigen Veränderungen", so Oppermann. "Es ist nun am griechischen Parlament, die richtigen Zeichen zu setzen und ersten Reformen schnell zuzustimmen.Wenn das geschieht, bin ich zuversichtlich, dass der Bundestag mit breiter Mehrheit für die Aufnahme von Verhandlungen stimmen wird."
Unterschiedliche Ansichten in der CDU/CSU-Fraktion
CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt hat die Einigung der Euro-Gruppe mit Griechenland begrüßt. "Der Kompromiss wird getragen vom Prinzip Hilfe gegen konkrete, harte Reformen, also Solidarität und Eigenverantwortung. Die Bundeskanzlerin und Finanzminister Schäuble haben hervorragende Arbeit geleistet", sagte Hasselfeldt der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post". Deutschland sichere mit seinem Einsatz die Zukunftsfähigkeit des Euro. Zu der anstehenden Abstimmung im Bundestag sagte Hasselfeldt: "Jetzt muss die griechische Seite schnellstens unter Beweis stellen, dass sie ebenso einer positiven Entwicklung und der europäischen Partnerschaft verpflichtet ist, und die vereinbarten prioritären Maßnahmen innerhalb der nächsten 48 Stunden durchs Parlament bringen." Das sei "die zwingende Voraussetzung" dafür, dass der Bundestag ein Mandat zur Aufnahme von Verhandlungen über weitere Hilfen für Griechenland erteile. Es sei unglaublich viel Vertrauen zerstört worden, das müsse jetzt mühsam wieder aufgebaut werden.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch will dem Griechenland-Paket im Bundestag dagegen nicht zustimmen. "Das Paket ist weder glaubwürdig noch tragfähig", sagte Willsch dem "Tagesspiegel". Willsch hatte den Griechenland-Hilfen bereits in der Vergangenheit nicht zugestimmt. Zu der am Montagmorgen in Brüssel gefundenen Vereinbarung sagte der Unionspolitiker, hier würden "weiterhin mit viel Geld Risse im System zugeklebt". Unter anderem kritisierte Willsch den Umfang des geplanten Treuhandfonds von 50 Milliarden Euro. Dieser Umfang sei bereits als Privatisierungsziel im ersten Hilfspaket festgehalten worden. Erreicht worden seien noch nicht einmal zehn Prozent davon.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Europaparlaments, Elmar Brok (CDU), hat die Einigung der Eurozone auf ein drittes Hilfsprogramm begrüßt, aber zugleich darauf hingewiesen, dass der Grexit damit noch aktuell nicht völlig abgewendet sei. "Griechenland muss jetzt liefern", sagt Brok der in Bielefeld erscheinenden Neuen Westfälischen. Der jetzt beschlossene Weg sei die "Einigung auf ein Programm, das von Griechenland umgesetzt werden muss." Wenn die Weichenstellungen nicht bis Mittwoch im Parlament von Athen erfolge "ist das Spiel zuende". Es gehe um Strukturveränderungen im griechischen Staat. Dazu gehöre der Aufbau einer Finanzverwaltung und eines Katasterwesens. "Die Griechen müssen etwas tun, bevor ein neues Programm beginnt." Brok ließ zugleich keinen Zweifel daran, dass die Einigung in der Nacht zu Montag in Kompromiss in letzter Minute gewesen sei. "Wenn das nicht geklappt hätte, wäre heute (Montag) Nachmittag der Grexit verkündet worden."
Grünen-Politiker Bütikofer: "Der herzlose, herrische Deutsche hat wieder ein Gesicht"
Der Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer hat die Einigung der Eurozone mit Griechenland aufs Schärfste kritisiert. "Merkel, Schäuble und Gabriel haben das Vertrauen in 2,5 Tagen verbrannt, was in 25 Jahren aufgebaut wurde", sagte der Vorsitzende der Europäischen Grünen im Europaparlament am Montag in Brüssel im phoenix-TV-Interview. Deutschland sei bei den Verhandlungen aus der Rolle gefallen. Statt Integration in Europa zu betreiben, habe das Land eine "herrische Rolle" eingenommen. Der "herzlose, herrische und hässliche Deutsche hat wieder ein Gesicht und das ist das von Schäuble", sagte Bütikofer weiter. Der deutsche Finanzminister habe die Griechen "auf Biegen und Brechen aus der Eurozone vertreiben" wollen.
Sahra Wagenknecht: Diese "Einigung" zerstört Europa
"Mit Angela Merkel, Wolfgang Schäuble und Siegmar Gabriel als Berlin-Troika hat Europa keine Zukunft. Erneut sollen Steuermilliarden für die Fortsetzung einer absurden und gescheiterten Politik verschleudert werden. Die neuen 'Hilfspakete' dienen wieder nur der Zahlung alter Schulden mit neuen Schulden und der Stützung der griechischen Banken. Der wirtschaftliche Niedergang und die soziale Misere in Griechenland werden sich unter den Kürzungsprogrammen absehbar weiter verschärfen. Das Ganze ist nichts als ein neuer Akt verantwortungsloser Konkursverschleppung", kommentiert Sahra Wagenknecht das Verhandlungsergebnis der Staats- und Regierungschefs der Eurozone in Brüssel. Die Erste Stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE weiter:"Durch das neue Griechenland-III-Paket wird das Gesamtrisiko für den öffentlichen Haushalt in Deutschland die 100-Milliarden-Grenze überschreiten. Zugleich wird nicht nur die Fortsetzung der Kürzungspolitik, sondern auch der neue Privatisierungsfonds, eine Art Treuhand 2.0, dafür sorgen, dass die Aussichten, auch nur einen Teil unseres Geldes jemals wiederzusehen, sich weiter verschlechtern. Wir haben in Deutschland nach der Wiedervereinigung einschlägige Erfahrungen mit der Verschleuderung öffentlichen Vermögens durch eine Treuhandanstalt gemacht. Die Neuauflage einer solchen Geldverbrennungsmaschine zum Vorteil einflussreicher Wirtschaftskreise und korrupter Oligarchen ist nun wirklich das Letzte, was Griechenland in seinem Elend braucht.
Anstatt blind und gegen den Rat nahezu aller angesehenen Ökonomen eine gescheiterte Politik in Griechenland fortzusetzen, hätten Merkel und Schäuble mit einem Kurswechsel das Leiden der Griechen und den Schaden für uns alle zumindest begrenzen können. Griechenland braucht keine neuen Milliardenpakete, sondern einen Schuldenschnitt und außerdem eine höherer Besteuerung der reichen Oligarchen. Nur wenn die Wirtschaft dank neuer Investitionen wieder auf die Beine kommt, können auch wir davon ausgehen, dass wenigstens ein Teil des in der Vergangenheit bereit gestellten Steuergeldes zurückgezahlt werden kann."
FDP: Chance auf Neustart der Eurozone verpasst
"Wir sind in Sorge, dass sich durch diesen Gipfel die Fliehkräfte in Europa weiter verstärken", meint der FDP-Vorsitzende Christian Lindner. "Am Wochenende wurde die Chance für einen Neustart der Euro-Zone leider nicht genutzt. Denn statt Verlässlichkeit und wirksamer Wirtschaftsreformen regiert mehr denn je das Prinzip Hoffnung.Das neue Spar- und Reformpaket löst die strukturellen Probleme Griechenlands und seiner Bürger nicht. Es fehlen echte Impulse für mehr Wettbewerbsfähigkeit, die Wolfgang Schäuble zu Recht angemahnt hatte. Mit dem Gipfelbeschluss soll stattdessen eine Krisenstrategie fortgesetzt werden, gegen die sich das griechische Volk in einem Referendum ausdrücklich gewehrt hat", moniert Lindner.
Tsipras müsse dafür alle seine Wahlversprechen brechen. "Mit Syriza hat Griechenland keine glaubwürdige und stabile Regierung mehr. Deshalb sind größte Zweifel angebracht, ob die zugesagten Reformen nachhaltig verfolgt werden. Bereits in dieser Woche wird sich im Parlament in Athen zeigen, wie verlässlich die Zusagen von Herrn Tsipras sind".
Die Bundesregierung selbst habe zudem in den letzten Tagen dokumentiert, dass von der Finanzkrise Griechenlands keine Gefahr für die Stabilität der gesamten Euro-Zone ausgehe, so Lindner, und weiter: "Für ein drittes Hilfspaket aus dem ESM sind damit die rechtlichen Voraussetzungen offensichtlich nicht gegeben. Wenn die Bundeskanzlerin dennoch diesen Weg wählt, dann wird das in den letzten Jahren geschärfte Recht gebeugt. Damit stünde Europa wieder dort, wo die Eurokrise einst ihren Anfang genommen hat. Die von der FDP seinerzeit durchgesetzte Beteiligung des Deutschen Bundestages wird so zur Farce."
Parlament in Athen muss bis 15. Juli entscheiden
Bevor die Kanzlerin dem Bundestag die Aufnahme von Verhandlungen empfehlen will, muss das griechische Parlament bis kommenden Mittwoch unter anderem Reformen bei Mehrwertsteuersystem und Renten beschließen. Darüber hinaus müsse das griechische Parlament auch dem gesamten Beschlusspaket des Gipfels zustimmen. Eine Woche später muss das Parlament Beschlüsse zur Rekapitalisierung der Banken treffen.
Weitere umfassende Reformen müssen in den nächsten drei Jahren bei den Pensionen, bei den Produktmärkten, auf dem Arbeitsmarkt und durch Privatisierungen folgen.
Treuhandfonds für Schuldenabbau und Investitionen
Um griechische Schulden abzubauen und gleichzeitig Investitionen zu fördern, sollen 50 Milliarden Euro aus Privatisierungserlösen in einen Treuhandfonds fließen. 12,5 Milliarden stehen davon für Investitionen zur Verfügung. Einen sogenannten "Haircut" bei den Schulden werde es nicht geben, so die Kanzlerin, aber man sei bereit über längere Laufzeiten zu sprechen.
Das Hilfsprogramm konkret auszuformulieren werde viel Zeit in Anspruch nehmen. Aber die Kanzlerin "geht davon aus, dass das klappt", und dass das griechische Parlament die nötigen Beschlüsse fasst. Die drei Institutionen IWF, EZB und EU-Kommission kehren zur Überprüfung der griechischen Reformen nach Athen zurück. Der IWF bleibt auch weiter als Kreditgeber dabei.
Angesichts des akuten Finanzbedarfs Griechenlands wegen anstehender Rückzahlungen von Krediten, beraten die Euro-Finanzminister noch heute über eine Brückenfinanzierung.
Merkel: Keine Vertrauensfrage
Die Bundeskanzlerin will eine Beschlussvorlage an den Bundestag über ein ESM-Verhandlungsmandat nicht mit der Vertrauensfrage verbinden. Die Kanzlerin betonte, dass zunächst die Beschlüsse des griechischen Parlaments vorliegen müssten, ehe man das Parlament einberufen könne. Das werde sie dann mit dem Bundestagspräsidenten und den Fraktionen besprechen.
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