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Deutschland:

Studie sieht erheblichen Spielraum für höhere Besteuerung von hohen Einkommen und Gewinnen

Stand: 02.07.15 20:23 Uhr

Die Steuersätze für Unternehmen und die Spitzensätze der Einkommensteuer sind in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland und vielen anderen Industrieländern sehr stark gesenkt worden. Der Spielraum für eine höhere Besteuerung von Besserverdienenden und Unternehmen ist größer als vielfach behauptet. Wenn die Steuer- und Finanzpolitik künftig wieder stärker zugunsten einkommensschwacher Haushalte umverteilen würde, kann davon die gesamte Volkswirtschaft profitieren. Zu diesen Ergebnissen kommt eine aktuelle, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte, Untersuchung.

Bei der Besteuerung von Unternehmensgewinnen habe es in den vergangenen drei Jahrzehnten einen „internationalen Wettlauf nach unten" gegeben, schreiben die Forscher Sarah Godar, Christoph Paetz und Prof. Dr. Achim Truger von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin.* In den Ländern, für die OECD-Daten verfügbar sind, sei der Durchschnitt der Steuersätze seit 1981 um mehr als 20 Prozentpunkte gesunken – von 47,5 Prozent auf 27,3 Prozent. In Deutschland betrug der Rückgang sogar gut 30 Prozentpunkte – von 60 auf 30,2 Prozent (siehe auch die Infografik; Link unten).

Auch die persönlichen Einkommensteuern seien stark zurückgegangen. So lag der Spitzensteuersatz im Jahr 1981 in den OECD-Ländern bei durchschnittlich 65,7 Prozent, im Jahr 2010 nur noch bei 45,8 Prozent. In Deutschland sank er im selben Zeitraum um immerhin 8,5 Punkte von 56 auf 47,5 Prozent (inkl. Solidaritätszuschlag). Zudem seien viele Regierungen dazu übergegangen, Kapitaleinkommen geringer zu besteuern als Arbeitseinkommen – in Deutschland etwa durch die umstrittene Abgeltungsteuer. Dadurch sei die Steuergerechtigkeit „zunehmend infrage gestellt" worden, schreiben die Forscher.

Angesichts der wachsenden Ungleichheit und der angespannten Lage der öffentlichen Haushalte gebe es zwar Anzeichen für ein Umdenken in der Steuerpolitik, so die Forscher. In den vergangenen Wochen haben etwa sowohl die Industrieländerorganisation OECD als auch der Internationale Währungsfonds Studien vorgelegt, die vor negativen wirtschaftlichen Folgen zu großer Ungleichheit warnen und zu mehr Umverteilung im Steuersystem raten (mehr auf unserer Themenseite Ungleichheit/Verteilung; Link unten).

Dennoch schreckten die meisten Länder vor höheren Spitzensteuersätzen zurück, weil diese als schädlich für Beschäftigung und Wachstum gelten. Empirisch lasse sich ein negativer Effekt jedoch nicht belegen, konstatieren Godar, Paetz und Truger auf Grundlage eines umfangreichen Überblicks über den Forschungsstand. Gerade die jüngere Literatur komme zur Einschätzung, dass „die ökonomischen Argumente gegen eine progressive Besteuerung wesentlich schwächer sind als zumeist behauptet". Am Beispiel Deutschland zeigen die Wissenschaftler, dass eine regressive Steuerpolitik mehr Schaden anrichten kann: Steuersenkungen und damit verbundene Einnahmeausfälle seien ein wesentlicher Grund für die Stagnation der Wirtschaft am Beginn der 2000er-Jahre gewesen und für die hartnäckige Investitionsschwäche der öffentlichen Hand.

Ein höherer Grad an Progression – also ein Steuersystem, das hohe Einkommen und Gewinne stärker belastet als bisher – könne sogar vorteilhaft für die Volkswirtschaft sein. Der Grund: Der Staat könne höhere Einnahmen für mehr öffentliche Investitionen nutzen, was sich positiv auf das Wachstum auswirke. Außerdem steigere eine stärkere Umverteilung zugunsten einkommensschwacher Haushalte den privaten Konsum und damit die Nachfrage. Es gebe aktuell „erheblichen Spielraum" zur Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf Einkommen, der Unternehmenssteuersätze und der Steuern auf Kapital und Vermögen. Die Regierungen sollten diese Möglichkeiten nutzen, empfehlen die Wissenschaftler. Auf europäischer Ebene halten sie eine Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung für sinnvoll. Diese sollte auch eine allgemeine Mindestbesteuerung vorsehen, um Steuerdumping zu verhindern.

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