Plenum im Landtag Stuttgart | Bildquelle: RTF.1

Stuttgart:

Land will Sonderschulpflicht abschaffen

Stand: 19.06.15 14:20 Uhr

Es ist eine seit Monaten zum Teil mit heftigen Emotionen geführte Debatte: Ist es richtig, behinderten und gehandicapten Kindern den Zugang zu normalen Regelschulen zu ermöglichen. Ein Gesetzentwurf der grün-roten Landesregierung sieht genau das vor: Ab dem kommenden Schuljahr soll die Sonderschulpflicht fallen. Eltern haben dann die Freiheit der Wahl. Gestern wurde über die Vorlage im Landtag debattiert. Erstaunlicherweise waren sich die vier im Landtag vertretenen Parteien in den zentralen Punkten einig. Doch es gab seitens der schwarz-gelben Opposition auch Kritik


Dieser Gesetzentwurf würde die Inklusion und damit die Teilhabe von Menschen mit Behinderung im Land weiter voranbringen, hieß es von grüner und sozialdemokratischer Seite. Gar von einem Meilenstein in der Schulpolitik war die Rede. Die Landesregierung bringe laut Thomas Poreski (Grüne) eine Schulgesetzänderung auf den Weg, die die Sonderschulpflicht abschaffe und jedem Kind das Recht auf inklusive Beschulung gebe. Es gehöre dann zu der Schule, an der es unterrichtet werde und zähle selbstverständlich auch zum Klassenteiler. Eltern von Kindern mit Behinderung könnten sich künftig frei für eine inkluisive Beschulung entscheiden, ebenso wie für den Unterricht an einer Sonderschule. Die staatliche Schulverwaltung gewährleiste laut Poreski das individuelle Wunsch- und Wahlrecht auf Inklusion.

Eine spezielle Schule können die Eltern zwar nicht bestimmen, eine wohnortnahe inklusive Regelschule sei jedoch gewährleistet. Durch den Gesetzentwurf müssten und würden sich laut Poreski alle Schulen inklusiv weiterentwickeln. Die Sonderschulen selbst sollen sich zu sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren weiterentwickeln und die allgemeinen Schulen bei der Umsetzung von Inklusion beraten. Das Ziel sei laut Kultusminister Andreas Stoch (SPD) dabei, dass grundsätzlich alle allgemeinen Schularten künftig noch mehr von der großen Erfahrung und der hohen Kompetenz der Sonderschulen profitieren würden. Stoch und seine Kollegen würden nicht wollen, dass es in eine Diskussion gerate, in der die Sonderschulen Angst um ihre Existenz haben müssten, denn die Sonderschulen in Baden-Württemberg würden hervorragende Arbeit leisten. Sie seien laut Stoch bei den Eltern hoch anerkannt.

CDU und FDP sehen dennoch die Qualität der Sonderschulen in Gefahr. Zwar sei es gut, dass die Landesregierung diesen Gesetzentwurf endlich eingebracht habe, allerdings habe sie durch das lange Zögern bei den betroffenen Eltern und Lehrern sowie bei den Städten und Landkreisen Unsicherheit geweckt.

Laut der ehemaligen Arbeits- und Sozialministerin Dr. Ulrike Stolz (CDU) stelle sich die Frage, ob am Ende eine minimale sonderpädagogische Förderung von wenigen Wochenstunden herauskomme und die Lehrkräfte an den Regelschulen möglicherweise alleine dastehen würden. Unklar sei ihr nach auch, ob überhaupt ein Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot festgestellt werde, wenn die Schulen in Zukunft nur in besonders gelagerten Fällen einen Antrag stellen dürften. Unklar sei auch, welche pädagogischen Ziele der zieldifferente Unterricht verfolge.

Unklarheiten würden laut Dr. Timm Kern (FDP) auch hinsichtlich der Folgen des zukünftigen Elternwahlrechts bestehen. Wenn Eltern für die allgemeine Schule votieren würden und kein inklusives Angebot für den Förderschwerpunkt in erreichbarer Nähe bestehen würde, bleibe möglicherweise nur eine Einzelinklusion oder die Bildung gemischter Gruppen. Das stelle laut Kern nicht nur die Schulen und Schulträger vor große organisatorische Probleme, sondern berge auch das Risiko eines empfindlichen Qualitätsverlusts bei der Bildung und Förderung von Schülern mit Behinderungen.

Auch sei die Frage nicht geklärt, wie das ausgebaute Inklusionsangebot von den Kommunen finanziert werden solle – so Kern. Antworten gabs von Klaus Käppeler (SPD): Bis 100 Millionen wprde das Land den Kommunen zunächst als Ersatzleistung für die kommenden Jahre in Aussicht stellen. Sollte die Praxis zeigen, dass diese Mittel nicht ausreichen würde, sei ein weiterer Zuschlag bereits vereinbart. Für den Schulbau gelte Konnexität. Für die übrigen Felder wie Schülerbeförderung oder Eingliederungshilfe gelte die Zusage des Landes, dass bei einer Abweichung von mehr als zehn Prozent gegenüber den Ansätzen nachverhandelt werden könne.

Über den Gesetzentwurf soll jetzt weiter im Ausschuss für Kultus, Jugend und Sport und im Finanzausschuss beraten werden.

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