Ausstellung "Fotschung - Lehre - Unrecht" | Bildquelle: RTF.1

Tübingen:

"Forschung -Lehre- Unrecht" - Ausstellung im Schloßmuseum Hohentübingen beleuchtet NS-Verstrickung der Universität

Stand: 31.05.15 22:14 Uhr

Sie zählt zu den ältesten und renommiertesten Universitäten Europas: Die Eberhard-Karls-Universität in Tübingen. Sie wurde 1477 auf Betreiben von Graf Eberhard im Bart gegründet. Und: sie gilt als eine Wiege der europäischen Geistesgeschichte. Hegel, Melanchthon, Mörike, Hölderlin und viele andere haben hier ihre Spuren hinterlassen. Doch: es gibt auch eher dunkle und dunkelste Kapitel, die mit den dazugehörenden Personen hineinreichen in die NS-Vernichtungslager und darüber hinaus auch in die Nachkriegszeit. Im Dritten Reich wurde der Universität das eher zweifelhafte Etikett zuteil, sich "schon immer der Wahrung des deutschen Wesens gewidmet zu haben", nicht zuletzt aufgrund des "Fernhaltens jüdischer Einflüsse", wie es lobend hieß. Eine bundesweit einzigartige Ausstellung im Tübinger Schloßmuseum vermittelt jetzt Einblicke auf diese schuldhaften NS-Verstrickungen. Der Titel: Forschung - Lehre - Unrecht.


Ein vertrautes Bild unserer Tage: Die Neue Aula der Eberhard-Karls-Universität in der Wilhelmstrasse: sie gehört zu den schönsten und bekanntesten Seiten von Tübingen. Umso verstörender diese Bilder: gleicher Ort, andere Zeit: die erstmalige Hissung der NS-Flagge vor der Neuen Aula durch SA-Studenten, dann das Innere des universitären Prachtsaals, das ersammelte, offensichtlich restlos begeisterte jugendliche Studenten beim gemeinschaftlichen Hitlergruss zeigt.

Das Foto und die daraus resultierende Verstörung, die es verursacht: ein zentrales Motiv der bundesweit in ihrer Breite einzigartigen Ausstellung, die die Verstrickung einer altehrwürdigen Universität in Schlaglichtern beleuchtet. Diese Schlaglichter erscheinen in der Gestalt von sechs thematischen Kuben, die sich kantig in die dauer-ausgestellten Exponate der Antike, in die Geschichte des Wahren, Schönen, Guten, schieben.

Über allem schwebe auch hier die alles entscheidende Frage und doch nie beantwortbare Frage, die immer Gegenstand der NS-Forschung sei, so Professor Ernst Seidl, der Leiter des Museums der Universität Tübingen: Wie nämlich konnte ein Hort des Geistes so entarten, wie es damals geschehen ist. Man müsse sich wohl von dem Gedanken verabschieden, dass es sich bei den Protagonisten immer um Unmenschen gehandelt habe, so Seidl. Viele hätten "quasi ihre Arbeit gemacht". Und wenn es dann doch noch ein paar Bedenken gegeben habe, dann habe der vorhanden Druck oft dafür gesorgt, dass man aben über die Bedenken hinweg gegangen sei. Zudem sei da Dritte Reich ja irgendwann auch ein Terror-Regime gewesen.

Trotz aller Zeitläufe, die die Vorgänge etwas verständlicher erscheinen lassen: eine rühmliche Rolle kann die Tübinger Universität nicht für sich beanspruchen. Eher im Gegenteil. Das sehe man schon an dem Umstand, dass in Tübingen in der Nachfolge der ereignisse von 1933 im Vergleich mit allen anderen deutschen Universitäten am wenigsten wissenschaftliche Mitarbeiter entlassen worden seien. Das habe aber nicht an Widerstand gegen die staatlichen Anordnungen gelegen, sondern daran, dass es schon zuvor kaum jüdische Studenten und schon gar keinen jüdischen Ordinarius gegeben habe, so Seidl. Tatsächlich habe es schon lange vor 1933 nationalkonservative und antijüdische tendenzen gegeben. Fakt sei auch, dass bereits anlässlich der Uni-Gründung 1477, alle Juden aus der Stadt vertrieben worden seien.

Das, was trotzdem noch im Sinn an gewünschter Gleichschaltung in struktureller und inhaltlicher Hinsicht zu tun war, wurde durch einen eigens eingesetzten Staatskommissar vorangetrieben. Der entmachtete unter anderem den Universitätssenat als Kontrollorgan. Die wichtigsten Entscheidungsbefügnisse wurden vom Land Württemberg ins Reichswissenschaftsministerium nach Berlin übertragen, der Rektor fortan nicht mehr von den Fakultäten gewählt, sondern eingesetzt.

Im jenem Kubus, der "Strukturen und Planungen" aufzeigt, ist Hermann Hoffmann zu sehen. Er SA-Mann und Psychiater war der Prototyp eines solchen NS-Führer-Rektors. Er wurde 1937 von oben in das universitäre Spitzenamt geschoben. Hoffmann starb 1944 an einem. Herzinfarkt. In das von ihm in Auftrag gegebenen offiziellen Rektorenporträt ist sich das nationalsozialistische idealbild eines Rektors gespiegelt. Hoffmann lässt sich in SA-Uniform, darstellen. Die altehrwürdige Rektorenkette verschwindet fast im Gesamtordinat aus zahlreichen NS-Orden und einer Kampfbinde.

Hoffman setzt die ideologischen Vorgaben für die Neuausrichtung der Universität buchstabengetreu um. Wie an allen anderen Hochschulen ist das neue zentrale Fach die sogennnte Rassenkunde. Und die habe natürlich einserseuits dazu gedient, dem Führer-Prinzip zu dienen, so Seidl. Andererseits habe sie die ideoogisch vorgegebene Überlegenheit der deutsch-arischen Rasse gegenüber anderen Volksgruppen untermauern sollen.

Wie beispielsweise gegenüber den Sint und Roma. Diese waren ein Gegenstand der intensiven Tübinger Rassenforschung, zu deren wichtigsten Protagonisten Wilhelm Gieseler und Sophie Ehrhardt. Sie galt als "Zigeuner-Fachfrau" und wirkte noch bis in die 70er Jahre an der Eberhard-Karls-Universität. Ehrhardt erhielt gar Gelder von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Nur ihren rassekundlichen Schwerpunkt hatte Ehrhardt wieder in Richtung der Anthropologie verlagert.

Auch an  Ehrhardt Wirken erinnert ein Ausstellungsstück, das eigentlich im KZ Sachsenhausen ausgestellt wird. Es der Abdruck des Gesichts von Albert Bock, einem Sinti und Roma. Ein Abdruck, der "rasseprototypisches" Kopfmodell darstellen soll.

Die ideologischen Ansätze der Rassenkunde wurde dabei auch über andere Disziplinen gestülpt. Nicht nur in der Zoologie, bei der Züchtung von Riesentauben. Mehr noch: Die Rassenkunde wurde  zum übergeordneten Leitprinzip aller wissenschaftlicher Forschungen und Disziplinen erhoben.  Das ist auch  im Kubus "Lehre und Studium" gut zu erkennen, in dem sich ein vollgestopftes interdisziplinäres Bücherregal mit rassebezogenen Schriften befindet. Neben bekannt-berüchtigten Titeln wie "Volk und Rasse" gibt es auch Skurriles zu sehen, wie die Titel "Rasse und Unterkiefer" oder "Rasse und Karies":

Ergreifend dunkel und düster: der letzte Kubus, der ein Bild der Opfer zu vermitteln sucht: Hier werden ganz unterschiedliche Geschichten herausgegriffen. Bewegend: eine Wand, an der Namen von Menschen stehen, deren Körper der medizinischen Anatomie zur Verfügung gestellt wurden". Und dass sie "mehr oder weniger einem Tod erlagen, der Folge des Terroregimes war. Es waren Zwangsarbeiter, Gefangene". Oft  seien sie "den Folgen dieser schrechlichen Situation erlegen". Viele starben durch Krankheiten wie Lungen-TB. Man habe sich entschieden, "diese Opfer hier aufzulisten, obwohl wir nicht wissen, das jedes Opfer tatsächlich auch ermordet wurde".

Die Ausstellung zieht auch den geschichtlichen Bogen der universitären NS-Verstrickung auch in die Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft und in die westdeutsche Nachkriegszeit weiter. Viele der Tübinger Täter, wie der Tübinger Rassekundler Hans Fleischhacker, setzten später ihre akademischen Karrieren fort. Fleischhacker wurde zwar 1945 angeklagt, später aber freigesprochen. Einem Wissenschaftler zu beweisen, dass er tatsächlich direkt an der Ermordnung von Menschnen beteiligt war, das sei  juristisch einfach nicht ganz so einfach  gewesen, so Seidl. Fleischhacker hatte mit den Handabdrücken von jüdischen iIsassen des KZ in Litzmannsstadt gearbeitet-. Er hatte in Auschwitz Menschen selektiert. Dass er direkt an den Morden beteiligt war, habe ihm aber nicht direkt bewiesen werden können.

Auch die ehemalige Rassenforscherin Sophie Ehrhardt konnte ihre ihre Arbeit jetzt als Anthropologin fortsetzen. Die Universität konnte oder wollte beim Wiederaufbau auf belastetes Personal nicht verzichten.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 19. September im Museum der Universität Schloß Hohentübingen.

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