Pressekonferenz zu Inklusion | Bildquelle: RTF.1

Stuttgart:

Ja, aber - Mehrzahl von Lehrern bejaht die Inklusion, fordert aber mehr Geld und Personal

Stand: 18.05.15 17:14 Uhr

66 Prozent der Lehrer in Baden-Württemberg haben sich für die Inklusion an Schulen ausgesprochen. Das hat eine repräsentative bundesweite Umfrage des Meinungsforschungsinstituts forsa ergeben, die der Verband Bildung und Erziehung, kurz VBE, in Auftrag gegeben hat. Die Lehrer befürworten die Unterrichtung von Kindern mit und ohne Handicap aber nur unter der Voraussetzung, dass die finanziellen, räumlichen und personellen Resourcen gesichert sind. Und das sei momentan bei weitem noch nicht der Fall.


Das Albert-Einstein-Gymnasium in Reutlingen zeigt, wie gut Inklusion funktionieren kann. Hier gibt es seit Beginn des Schuljahres eine Inklusionsklasse, in der Gymnasiasten zusammen mit Kindern einer Schule für geistig Behinderte lernen. Für inklusive Schulklassen an baden-württembergischen Schulen spricht aus Sicht der Befragten die Förderung sozialer Kompetenzen, die Förderung von Toleranz, die bessere Integration behinderter Kinder und das gemeinsame Voneinander-Lernen.

Dagegen spricht vor allem der Mangel an nötigen Bedingungen vor Ort: Wenn es an die personelle Ausstattung gehe, dann würden sich dem Landesvorsitzenden des VBE Gerhard Brand zufolge 98 Prozent der befragten Lehrerinnen und Lehrern bundesweit und 94 Prozent in Baden-Württemberg für eine Doppelbesetzung von Lehrer und Sonderpädagoge in inklusiven Klassen aussprechen. Nur zwei von drei befragten Lehrern würde aber an einer Schule ein Sozialpädagoge, bzw. ein Sonderpädagoge als Unterstützung zur Verfügung stehen. In jedem zweiten dieser Fälle aber nicht immer, sondern nur teilweise – so Brand. Eine Doppelbesetzung sei laut Kultusminister Andreas Stoch zwar geplant, jedoch gäbe es noch keine Aussage über Zeitpunkt und Umfang.

Nur wenige Lehrer haben eine sonderpädagogische Ausbildung. Auch bekämen die Lehrkräfte nicht genug Unterstützung im Hinblick auf die physischen und psychischen Belastungen, denen sie sich an einer solchen Schule aussetzen müssen. Es gäbe laut Brand auch Beispiele, da würden den Lehrern mal ein Stuhl um die Ohren fliegen, weil ein Kind, das eine psychische Belastung hat, oder einen Förderbedarf hat, vielleicht drei Tage lang ganz wunderbar in Ihrem Unterricht partizipiert habe – und dann genüge ein Signal und dieses Kind würde einen Stuhl nach vorne schmeißen und aus dem Klassenzimmer rennen. Dann könne sich der Lehrer überlegen, ob er dem Kind hinterherlaufe, bevor es unters Auto kommt, und seine Klasse im Stich lasse – was an einer Grundschule nicht gehen würde – oder ob er seine Klasse beaufsichtige und der Kleine abhauen würde.

Ein weiteres Problem: Die räumliche Situation an Schulen mit integrativen Klassen sei vollkommen unzureichend – so Brand. Knapp die Hälfte der Schulen habe keine Räume für Kleingruppen oder Differenzierungsräume. Aufzüge für Schüler mit körperlicher Behinderung gäbe es auch nicht an jeder Schule.

Die Ergebnisse der repräsentativen Lehrerbefragung seien laut Brand ein Alarmsignal an die Politik: "Wir sagen ganz klar: Ja zur Inklusion, aber Nein zu einer Umsetzung, die im Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention steht und die nötigen Ressourcen und Unterstützungsmaßnahmen verweigert." Die Forderung des VBE: Bund, Länder und Kommunen müssen Inklusion gemeinsam und mit tragfähigen Finanzierungskonzepten anpacken. Die Verantwortlichen müssten aufhören, die notwendigen personellen, sächlichen und räumlichen Ressourcen zu verweigern oder unter Finanzierungsvorbehalt zu stellen.

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