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Ver.di checkt den Nachtdienst und deckt Missstände auf

Stand: 16.03.15 15:35 Uhr

ver.di hat bundesweit an 225 ausgewählten Krankenhäusern in der vergangenen Nacht von Donnerstag auf Freitag einen Nachtdienstcheck durchgeführt, um sich ein Bild von der Arbeitssituation im Nachtdienst zu machen. In Baden-Württemberg waren es 28 Kliniken, die begangen wurden. Seit geraumer Zeit beklagen die Beschäftigten in Krankenhäusern den Personalmangel und die prekäre Arbeitssituation. In deutschen Krankenhäusern gibt es insgesamt zu wenig Stellen für Pflegekräfte und andere Beschäftigtengruppen.

Nachts ist die Personaldecke besonders dünn. In der Regel ist auf einer Normalstation nur eine Pflegekraft anwesend. Je nach Größe der Station betreut diese Pflegekraft maximal bis zu vierzig Patienten. Für Intensivstationen empfehlen die Fachgesellschaften, dass zwei Patienten von einer Pflegekraft betreut werden. Das ist tagsüber schon oft nicht gewährleistet, nachts sind es bis zu vier Intensiv-Patienten, die von einer Fachkraft alleine betreut werden.

ver.di hat in diesem Check danach gefragt, wie viele Patienten nachts von einer Pflegekraft betreut werden. Weiter wurde nach der Häufigkeit gefragt, mit der erforderliche Tätigkeiten unterlassen wurden, nach gefährlichen Situationen im Nachtdienst in den letzten vier Wochen und danach, wie oft die Händedesinfektion aufgrund der Engpasssituation unterbleibt und ob eine ungestörte Pause möglich war.

Die Ergebnisse des Nachtdienstchecks (bundesweit):

Im Durchschnitt betreut bundesweit eine Pflegekraft im Nachtdienst 19 Patienten auf einer Normalstation. In mehr als der Hälfte aller Fälle(55 Prozent) muss eine Pflegekraft allein 25 Patienten betreuen. Auf den Intensivstationen sind es durchschnittlich 3,3 Patienten pro Pflegekraft. Bei dieser Besetzung muss nicht viel geschehen, damit wichtige Dinge unerledigt bleiben. Dies zeigen auch die Antworten auf die anderen Fragen.

Es ist auffällig, dass über 50 Prozent der Pflegebeschäftigten angeben, dass im Nachtdienst eine ungestörte Pause nicht möglich ist. Nur 16,5 Prozent der Pflegekräfte geben an, dass sie immer alle erforderlichen Tätigkeiten erledigen können. 15,5 Prozent sagen, dass erforderliche Tätigkeiten selten wegfallen, 23,1 Prozent geben an erforderliche Tätigkeiten manchmal und 17,3 Prozent oft wegen des Zeitdrucks nicht erledigen zu können. Immerhin rund 20 Prozent der Pflegekräfte haben bestätigt, dass zum Beispiel die Händedesinfektion wegen des hohen Arbeitsdrucks vernachlässigt wird. Zwar werden die Hände regelmäßig desinfiziert, aber oft ist keine Zeit die Einwirkzeiten abzuwarten. Etwa 40 Prozent aller Befragten geben an, dass es in den letzten vier Wochen gefährliche Situationen für Patienten gab, die mit mehr Personal vermeidbar gewesen wären.

Die Ergebnisse des Nachtdienstchecks in Baden-Württemberg:

Diese bundesweiten Ergebnisse decken sich weitgehende mit den Angaben der Befragten in den Krankenhäusern in Baden-Württemberg. Obwohl der Durchschnitt der Patienten pro Pflegekraft in Baden-Württemberg bei 18 Patienten auf der Normalstation und bei 3,0 Patienten pro Fachkraft auf den Intensivstationen etwas günstiger ist als im Bundesdurchschnitt, sind die Aussagen bezüglich des Wegfalls notwendiger Tätigkeiten etwas schlechter als im Bundesdurchschnitt. Bei den Aussagen zu vermeidbaren gefährlichen Situationen liegt Baden Württemberg sogar um 7 Prozent über dem Bundesdurchschnitt.

Schon im Routinebetrieb sei es nachts kaum möglich, allen Patienten gerecht zu werden. Wenn dann noch Patientenaufnahmen, unruhige Patienten, Patienten in kritischem Zustand oder Notfallsituationen hinzukämen, sei die Arbeit für eine einzelne Pflegekraft oft nicht mehr zu schaffen, sagt Irene Gölz, ver.di-Landesfachbereichsleiterin Gesundheitswesen.

Politisch Verantwortliche reden von der hohen Versorgungsqualität in Deutschland. Diese hohe Qualität wird in einer aktuellen Studie daran festgemacht, dass es 7,3 Klinikbetten pro tausend Einwohner gibt.
Das sei zwar Weltrekord bei den Klinikbetten pro Einwohner, aber Betten würden keine Patienten versorgen so Jürgen Lippl, als Gewerkschaftssekretär zuständig für die Krankenhäuser in Baden Württemberg. Pflegekräfte und andere Berufe im Krankenhaus täten dies. Sie seien entscheidend für die Qualität der Versorgung. Bei den Pflegekräften pro Patient habe Deutschland im Vergleich der Industrieländer die rote Laterne.

In Deutschland betreut eine Pflegekraft 10,3 Patienten gleichzeitig. In Großbritannien sind es 7,7 Patienten pro Pflegekraft und in den Niederlanden nur 4,9 Patienten pro Pflegekraft. Was bedeutet diese Besetzungssituation konkret für die Patienten: Überlastungsanzeigen von Pflegekräften sind hier sehr aufschlussreich. Sie geben an, dass sie auf Patientenklingeln nicht zeitnah reagieren können, dass sie es nicht schaffen pflegebedürftige Patienten ausreichend beim Essen und Trinken zu unterstützen und dass sie Medikamente nicht zeitgerecht verabreichen können. Hier liegt die Qualität der Versorgung im Argen. Weder mehr Wettbewerb noch mehr Kontrollen werden hieran etwas verändern. Das ist nur mit mehr Personal zu verbessern. Das derzeit von der Bund-Länder-Kommission in Aussicht gestellte Pflegeförderprogramm bringt eine Pflegekraft mehr pro Klinik. Damit ist das Problem nicht zu lösen.
Es brauche Regelungen, die dafür sorgen, dass nachts mindestens zwei Pflegekräfte für eine Station zuständig sind, so Jürgen Lippl. Es sei wichtig, die Empfehlungen der Fachgesellschaften für Intensivpflege auch nachts einzuhalten. Gesetzliche Vorgaben, die dies sicherstellen, wären die ersten Schritte in die richtige Richtung. Wenn das erledigt sei, müsse die Politik dafür sorgen, dass sich auch tagsüber das Verhältnis von Pflegekräften zu Patienten verbessere, so Jürgen Lippl weiter.

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