Die Reaktion der Weltgemeinschaft auf die zunehmende Gewalt und das Flüchtlingselend sei beschämend, sagt Çalışkan. Statt den Schutz der Zivilbevölkerung ins Zentrum internationaler Politik zu stellen, blockierten nationale, geopolitische und wirtschaftliche Interessen ein gemeinsames Handeln und würden die Konflikte noch weiter anheizen. Von den ständigen Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrats fordert Amnesty, im Fall von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen verbindlich auf ihr Veto zu verzichten.
2014 sei ein katastrophales Jahr für Millionen von Menschen gewesen, die unter der Bedrohung durch Entführungen, Folter, sexualisierte Gewalt, Anschläge, Artilleriefeuer und Bomben auf Wohngebiete leben müssten, stellte Çalışkan fest. Die eskalierenden bewaffneten Konflikte hätten zur größten Flüchtlingskatastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg geführt. Aber nicht die reichen Länder würden die meisten Flüchtlinge aufnehmem, sondern die Nachbarländer. So habe der Libanon über 715 Mal mehr syrische Flüchtlinge aufgenommen als die gesamte EU in den vergangenen drei Jahren.
Mit Blick auf die syrischen Flüchtlinge forderte Çalışkan, dass es deutlich mehr Unterstützung für die Nachbarstaaten und deutlich mehr Aufnahmeplätze in der EU bedürfe. Gleichzeitig müsse sich die Politik mit den langfristigen Ursachen der Konflikte beschäftigen. Ein Nährboden für die Eskalation der Gewalt seien vergangene und andauernde Menschenrechtsverletzungen. Der Einsatz für die Menschenrechte sei deshalb langfristige Friedenssicherung.
Auch unverantwortliche Rüstungsexporte würden zu den dokumentierten Grausamkeiten beitragen, sagte Çalışkan. Als Erfolg wertet Amnesty den 2014 in Kraft getretenen internationalen Waffenhandelsvertrag. Er müsse jetzt mit Leben gefüllt werden, um die Lieferung von Waffen an Staaten und bewaffnete Gruppen zu stoppen, die Kriegsverbrechen und schwere Menschenrechtsverletzungen begehen würden. Auch Deutschland sei hier gefordert. Die Bundesregierung müsse mehr für die Konfliktprävention tun und deutsche Waffenexporte noch strenger kontrollieren. Deutschland solle viel mehr Friedensfachkräfte, Polizistinnen und Polizisten, Justizbeamte und politische Mediatoren und Mediatorinnen in Konfliktgebiete entsenden. Der Aufbau von Justiz und Polizeiwesen und die Etablierung einer Kultur der Menschenrechte sei die Basis für Frieden. Rechtsstaat statt Rüstung exportieren – sollte daher das Motto des Exportweltmeisters Deutschland werden, sagte Çalışkan.
Amnesty warnte die Staaten davor, im Kampf gegen nicht-staatliche Gruppen selbst die Menschenrechte zu verletzen. Die Staaten könnten viel mehr tun, um den Verbrechen nicht-staatlicher bewaffneter Verbände, Milizen und Terrorgruppen entgegenzutreten und die Zivilbevölkerung zu schützen. Dieser Kampf dürfe aber kein Vorwand sein, selbst die Menschenrechte hintan zu stellen und von den Grausamkeiten der Verbündeten zu schweigen - seien es ukrainische Freiwilligenverbände, Saudi-Arabien, schiitische Milizen im Irak oder Kenia, fordert Çalışkan. Es könnten nur dann dauerhaft friedliche, menschenwürdige Verhältnisse geschaffen werden, wenn man überall auf der Welt und für alle Menschen glaubwürdig für die Menschenrechte eintrete, egal zu welcher Konfliktpartei sie gehörten.
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