Die Klasse 5e der Peter Rosegger-Schule in Reutlingen. Als private „Inklusionsinitiative „von unten" lernen hier seit sechs Monaten fünf geistig behinderte Kinder – zusammen mit einundzwanzig Gymnasiasten des Albert Einstein- Gymnasiums pro Kernfach Mathe, Englisch und Deutsch je eine Stunde in der Woche zusammen. Die grün-rote Landesregierung zielt mit ihrem aktuellen Gesetzentwurf indes noch einen entscheidenden Schritt weiter: Eltern behinderter Kinder haben künftig bei der Schulwahl ihrer Kinder freie Wahl.
Das Land hebt die sogenannte Sonderschulpflicht auf. Die eltern dürfen damit entscheiden, ob sie ihre Kinder in eine Sonderschuleinheit schicken oder ins Regelschulwesen, so Ministerpräsident Winfried Kretschmann heute in Stuttgart. Hier bei handle es sich nicht nur um ein Wollen, so Kultusminister Stock. Vielmehr setze man damit auch eine UN-Norm um. Damit spreche man sich klar für einen Paradigmenwechsel und eine Gesellschaft aus, in der es normal sei, dass Menschen mit und ohne Behinderung zusammen lebten – und lernten.
Allerdings mit einer Einschränkung: Man will nicht für individuelle Lernlösungen sorgen, sondern vielmehr nur für „Gruppenlösungen" Konkret: einen Elternanspruch für jede Schule gibt es nicht. Hier sollen die Schulämter über die vorliegenden Eltern-Anträge eruieren, wo der schrittweise Aufbau inklusiver Angebote im Rahmen der Möglichkeiten auch Sinn mache. Insgesamt heiße dies: man müsse von weiteren regelungen abrücken – wie dem ziel, dass alle Schüler auf ein gleiches Bildungsziel verpflichtet seien.
Die Sonderschulen sollen dabei aber nicht geopfert werden, sondern ebenso weiterentwickelt werden – hin zu sonderpädagogischen Beratungszentren. Vorsichtige bejahende Signale kommen vom Städtetag. Man trage die Beschlüsse mit. "Auch eine große Reise beginne mit dem ersten Schritt"- so OB a. D. Gudrun Heute-Bluhm, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Baden-Württembergischen Städtetags. Auch das Großvorhaben Inklusion könne nur schrittweise eingeführt werden - und eben nicht sofort überall, wie im Gesetzentwurf vorgesehen. Deshalb seien Schwerpunktschulen für Inklusion zumindest faktisch in den Anfangsjahren unvermeidlich. Solche Schulen würden dann die Vorreiter für andere sein und Erfahrungen für andere sammeln. Für ein „alles ist möglich" fehle auf absehbare Zeit bei den Kommunen, beim Land und vor allem in den Schulen die Mittel. Es schüre auch unnötig Ängste bei Eltern um den Bestand des Sonderschulwesens.
Kritik von anderen, die mit im Boot sitzen: Der Präsident des Landkreistags, Joachim Walter, hebt hervor: eigentlich habe man sich das sogenannte Schwerpunktkonzept der Vorgänger-Regierung gewünscht. Das von vorneherein festlege, an welchen Schulen entsprechende Möglichkeiten aufzubauen seien.
Auch beim Thema der jetzt neu auflaufenden Kosten blieben zunächst auch noch entscheidende offene Fragen. So gebe es Dissens über die Finanzierung der von den Landkreisen zu tragenden kosten für die Eingliederungshilfe. Hier gebe die Landesregierung zwar zu, dass ein Anspruch bestehe. Auf Dauer wolle sich die Landesregierung aber als Zahler nicht verpflichten.
Jetzt müsse man erst einmal abwarten, wie sich die neu auflaufenden Kosten für die Eingliederungshilfen dann faktisch gestalteten. Unumgänglich sei, noch nicht geklärte Finanzierungsdetails jetzt schnell abzuklären. Und dann sehe man weiter.
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