Der gezielte Angriff auf Tabit und die Massenvergewaltigung von Frauen und Mädchen in dieser Stadt markierten einen neuen Tiefpunkt in der Geschichte der Gräuel in Darfur, so Daniel Bekele, Leiter der Afrika-Abteilung von Human Rights Watch. Die sudanesische Regierung solle aufhören, dies zu leugnen, und unverzüglich dafür sorgen, dass Friedenstruppen und internationale Ermittler Zugang nach Tabit erhielten.
Die ersten Anschuldigungen wegen Massenvergewaltigung wurden am 2. November in einem Bericht des in den Niederlanden beheimateten Radiosenders Dabanga erhoben. Der Sudan leugnete den Bericht und verweigerte den Friedenstruppen den Zugang nach Tabit. Am 9. November ließ die Regierung die Blauhelme zwar für einen kurzen Zeitraum passieren, die Sicherheitskräfte hinderten sie jedoch daran, eine glaubwürdige Untersuchung durchzuführen.
Die sudanesische Armee führte drei verschiedene Militäroperationen durch, während derer Soldaten von Haus zu Haus gingen, plünderten, Männer festnahmen, Bewohner schlugen und Frauen und Mädchen in ihren Häusern vergewaltigten. Human Rights Watch hat 27 voneinander unabhängige Fälle von Vergewaltigung dokumentiert und glaubwürdige Hinweise auf über 194 weitere Fälle erhalten. Zwei Überläufer sagten gegenüber Human Rights Watch unabhängig voneinander, ihre Befehlshaber hätten ihnen befohlen, „Frauen [zu] vergewaltigen".
Tabit wird größtenteils von Menschen aus der Volksgruppe der Fur bewohnt und stand in den vergangenen Jahren unter der Kontrolle bewaffneter Rebellengruppen. Human Rights Watch fand jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich zur Zeit der Angriffe Kämpfer der Rebellen in Tabit und Umgebung befanden.
Eine Frau im Alter zwischen 40 und 50 Jahren beschrieb den Angriff auf sie und ihre vier Töchter, von denen zwei jünger als 11 Jahre waren. Sie begannen uns zu schlagen, dann seien sie und ihre drei Töchter vergewaltigt worden. Einige von ihnen hätten das Mädchen festgehalten, während ein anderer es vergewaltigte. Einer nach dem anderen habe dies so gemacht.
Eine andere Frau sagte, die Soldaten hätten sie brutal geschlagen und aus ihrem Haus gezerrt. Als sie zurückgekehrt sei, habe sie bemerkt, dass die Männer drei ihrer Töchter vergewaltigt hätten, alle jünger als 15 Jahre. Die kleinen Kinder seien geschlagen und die ältere Tochter vergewaltigt worden.Die Soldaten hätten Kleider in ihre Münder gestopft, damit niemand sie schreien hörte, so die Befragte.
In zwei Nächten trieben die Soldaten laut Augenzeugenberichten große Gruppen von Männern an den Stadtrand von Tabit und setzten ihre Frauen und Kinder damit der Gefahr von Übergriffen in ihren Häusern aus. Die Soldaten bedrohten und schlugen die Männer die gesamte Nacht hindurch.
Seit diesen Angriffen hat die sudanesische Regierung UN-Ermittlern den Zugang zu der Stadt verweigert. So versucht sie zu verhindern, dass Opfer und Augenzeugen Informationen über die Verbrechen weitergeben. Zahlreiche Opfer und Augenzeugen gaben an, Regierungsbeamte hätten damit gedroht, jeden zu inhaftieren oder zu töten, der offen über die Angriffe spreche.
Die Behörden haben Bewohner von Tabit, die öffentlich über die Vorfälle sprachen, verhaftet oder gefoltert. Ein Mann, der während eines Gesprächs mit einem Verwandten belauscht und daraufhin in ein Gefängnis des Militärgeheimdiensts gebracht worden war, sagte gegenüber Human Rights Watch: dass ihr angedroht worden sei, sie zu töten werde, wenn sie noch einmal über Tabir spräche. Anschließend sei sie getreten und gefesselt worden und mit Peitschen und Stromkabeln geschlagen.
Die Behörden haben auch verhindert, dass Menschen in die Stadt gelangen oder diese verlassen. Ein Bewohner von Tabit sagte gegenüber Human Rights Watch, die Menschen lebten seit den Angriffen in einem „Gefängnis unter freiem Himmel".
Die Angriffe auf Tabit erfolgten im Kontext zunehmender Angriffe von Regierungstruppen auf Zivilisten. Die neu geschaffenen „Schnellen Unterstützungstruppen" (Rapid Support Forces, kurz RSF), welche hauptsächlich aus ehemaligen Milizionären bestehen, standen an der Spitze einer Serie von Angriffen auf Dörfer im Jahr 2014. Im Januar 2015 berichtete der UN-Expertenausschuss zum Sudan, im vergangenen Jahr seien im Sudan mehr als 3.000 Dörfer niedergebrannt worden, vorwiegend bei Angriffen, die von Regierungstruppen angeführt wurden. Das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten erklärte, durch die Angriffe im Jahr 2014 seien mehr als eine halbe Million Menschen vertrieben worden; für die ersten drei Wochen im Jahr 2015 belaufe sich diese Zahl bereits auf rund 70.000.
Die UN und die AU sollen den Sudan auffordern, den Friedenstruppen uneingeschränkten Zugang nach Tabit zu gewähren und dafür zu sorgen, dass allen Bedürftigen medizinische Hilfe zur Verfügung steht. Das Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte soll ein Expertenteam für sexuelle und genderspezifische Gewalt zusammenstellen, um die mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen in Tabit zu untersuchen. Die AU soll dies durch die Bereitstellung von Ermittlern unterstützen, die über Fachwissen auf dem Gebiet sexueller und genderspezifischer Straftaten verfügen.
Der Sudan tue alles in seiner Macht stehende, um die schrecklichen Verbrechen seiner Soldaten in Tabit zu vertuschen. Doch die Überlebenden hätten sich furchtlos dafür entschieden, offen zu sprechen, so Bekele. Der UN-Sicherheitsrat und die AU sollten den Sudan auffordern, diese Angriffe zu beenden, die Bewohner von Tabit durch rasches Handeln zu schützen und eine glaubwürdige Untersuchung durchzuführen."
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