Nach Auskunft der Experten wurde das sogenannte fetale Alkoholsyndrom (FAS) erstmals 1973 in den USA diagnostiziert und ist seither auch in Deutschland bekannt, allerdings zumeist nur in Fachkreisen, obwohl es mit konservativ geschätzt 200.000 Betroffenen hierzulande kein Randphänomen ist. In Deutschland werden jedes Jahr im Schnitt 2.000 Kinder geboren, die alle Anzeichen eines FAS zeigen und schätzungsweise rund 10.000 Kinder, die einzelne Anzeichen von FAS aufweisen.
Das FAS steht für die schwersten Formen der Schädigung eines Fötus durch Alkohol und umfasst körperliche, geistige sowie Verhaltensstörungen. Das gesamte Spektrum der vorgeburtlichen Alkoholschädigung wird mit dem Begriff Fetal Alcohol Spectrum Disorders (FASD) zusammengefasst. Diese Schädigungen sind irreparabel und bleiben ein Leben lang. Die zahlreichen Formen dieser Schädigung sind nach Angaben der Experten ausgesprochen schwer zu diagnostizieren, weshalb auffällige Kinder oft zu einer ganz anderen Krankheit oder Störung zugeordnet werden.
Viele Ärzte wollten eine solche Diagnose wegen der zahlreichen Unsicherheiten auch nicht stellen. Nur etwa ein Fünftel der Fälle werde überhaupt sofort erkannt, der Rest nicht oder erst mit Verzögerung. Die Experten sprachen von einem „absolut kritischen Zukunftsthema", weshalb Einrichtungen geschaffen werden sollten, wo Diagnose-Spezialisten ausgebildet und Behandlungen konzipiert werden könnten.
Kinder, die unter FAS oder FASD leiden, hätten große Schwierigkeiten, sich im Alltag zurechtzufinden und scheiterten oft im Leben. Es müsse davon ausgegangen werden, dass zahlreiche Betroffene in die Psychiatrie abgeschoben würden oder im Gefängnis landeten, ohne jemals therapiert worden zu sein. Bei Erwachsenen werde eine solche Diagnose bisher überhaupt nicht gestellt, obwohl natürlich viele Kinder mit FAS-Syndrom inzwischen längst erwachsen seien und immer noch Hilfe benötigten, selbst wenn sie geistig nicht zurückgeblieben sind.
Das FAS-Syndrom ist nach Aussage der Experten keineswegs auf einschlägige Milieus beschränkt. So sei das Trinkverhalten von Frauen mit einem hohen sozialen Status, guten Jobs und breiter Bildung oft ebenso problematisch wie das von Frauen aus sozial niedrigen Schichten. Das Ausmaß des Problems sei auch in den Kreisen von Kinder- und Frauenärzten, Psychologen, Erziehern und Lehrern noch gar nicht angekommen. Hinzu komme erschwerend die breite gesellschaftliche Akzeptanz von Alkohol in quasi allen Lebenslagen und die Unkenntnis darüber, dass auch eine geringe Menge Alkohol den Fötus schon schwer schädigen kann.
Nötig ist nach Ansicht der Experten eine besonders sensible Beratung der Frauen, die keinesfalls stigmatisiert werden dürfen. Auch dürfe es künftig nicht zu einer reinen Abfrage heikler Angaben kommen oder gar zu einer Art „Alkoholpolizei". Die Erfahrung zeige, dass schwangere Frauen oder Mütter mit kleinen Kindern, die nach ihrem Alkoholkonsum befragt würden, schlicht nicht die Wahrheit sagten. Die Frauen entzögen sich auf diese Weise einer möglichen Diagnose, die aber auch für die Nachsorge von entscheidender Bedeutung sei. Das Problem gehe aber nicht nur die Frauen an, sondern ebenso die Männer, die mit ihrem Trinkverhalten das ihrer Partnerinnen maßgeblich mit beeinflussten. Die Männer müssten somit „auch in die Pflicht genommen werden".
Die Experten forderten neben spezialisierten Einrichtungen auch geeignete Initiativen, um das Problem in der Bevölkerung bekannt zu machen und auf die Gefahren konkret hinzuweisen. Denkbar wären Warnbotschaften wie bei Zigaretten, Werbekampagnen oder verpflichtende Hinweise von Ärzten und Hebammen zu Beginn einer Schwangerschaft.
Die Sachverständigen waren: Prof. Dr. Hans-Ludwig Spohr, Charité Campus Virchow Klinikum; Prof. Dr. Florian Heinen, Pädiatrische Neurologie im Dr. von Haunerschen Kinderspital; Gisela Michalowski, 1. Vorsitzende der FASD Deutschland e. V.; Elke Mattern, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft.
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