Boris Palmer im RTF.1-Interview | Bildquelle: RTF.1

Tübingen:

Gemeinderatsrede des Tübinger OBs Boris Palmer: Attentat ist Angriff auf Werte der europäischen Aufklärung

Stand: 11.01.15 01:13 Uhr

Der Tübinger Gemeinderat hat seine heutige Sitzung mit einer Schweigeminute anlässlich des Massakers von islamistischen Terroristen an den Redakteuren eine französischen Satire-Zeitschrift mit einer Schweigeminute begonnen. Zuvor hatte sich der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer mit der folgenden Rede an die Stadträte gewandt:

"einen Tag nach den schrecklichen Ereignissen in Paris können wir heute nicht einfach zur Tagesordnung des Tübinger Haushaltes übergehen. In Paris sind nicht nur zwölf unschuldige Menschen brutal ermordet worden. Der Angriff mitten in Frankreichs Hauptstadt galt mehr unseren Grundwerten als den Individuen. Die Freiheit zu glauben und die Freiheit, eine Meinung zu äußern, sind zwei zentrale Errungenschaften der europäischen Aufklärung.

Diese Freiheiten haben wir über Jahrhunderte erkämpft und erarbeitet. Gerade wir Deutschen haben in der Nazizeit eine Barbarei über Europa gebracht, die Meinungs- und Glaubensfreiheit durch einen staatlich organisierten Terror auszulöschen versuchte. Wir kennen die furchtbaren Folgen dieses Irrwegs.

Wenn wir heute über den Haushalt für das Jahr 2015 beraten, so ist das nicht einfach nur ein Zahlenwerk. Wie wir die öffentlichen Mittel verwenden, diskutieren und entscheiden wir offen und demokratisch. Niemand darf gehindert werden, dazu eine Meinung zu äußern. Niemand soll aus Angst vor Gewalt oder gar Mord eine Kritik oder auch beißenden Spott unterdrücken. Niemand darf in den Beratungen wegen seines Glaubens einen Nachteil haben. Was wir am Ende beschließen werden, dient dazu, die öffentliche Ordnung in unserem Gemeinwesen zu garantieren, damit wir auf der Grundlage einer solidarischen Daseinsvorsorge ein freies und selbstbestimmtes Leben führen können.

Wir können daher nicht einfach zur Kenntnis nehmen, wie verblendete Terroristen sich missbräuchlich auf Allah berufen und mit der Kalaschnikow eine Zeitungsredaktion auslöschen, weil diese einige Karikaturen des Propheten Mohammed veröffentlich hat. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich Angst in unserer Gesellschaft breit macht und die Freiheit der Meinungsäußerung unter Morddrohungen einen schleichenden Tod stirbt. 35.000 Menschen haben gestern auf dem Place de la République in Paris die richtige Antwort gefunden: „pas peur", „not afraid" stand auf Plakaten zu lesen. Auch wir dürfen keine Angst haben, dieser unmenschlichen Gewalt entgegenzutreten.

Zugleich dürfen wir nicht zulassen, dass die Terroristen unsere Gesellschaften von innen heraus zerstören. Wenn Marine Le Pen nun die Todesstrafe als Reaktion auf die Attentate fordert, mag das im Affekt verständlich sein. Doch wissen wir durch das Beispiel der USA, dass nicht die Todesstrafe, sondern die Eindämmung von Gewalt und Waffenbesitz gegen Mord auf offener Straße hilft.

Ganz falsch wäre es auch, den furchtbaren Terror zum Anlass zu nehmen, Muslime in unserem Land für den Terrorismus verantwortlich zu machen. Fremdenfeindlichkeit und PEGIDA-Parolen treten die europäischen Werte der Aufklärung und Toleranz mit Füßen. Es ist auch keine exklusive Idee von Islamisten, unschuldige und unbeteiligte Menschen im Namen einer Ideologie zu töten. Der NSU hat Menschen ermordet, weil sie türkisch aussahen und Döner verkauften. Diese Art von Mord ist nicht einfach islamistisch oder rechtsradikal, sie ist schlicht menschenverachtend.

Wir wollen in unserer Stadt friedlich zusammenleben. Wir wissen, welch ungeheuren Wert eine offene Gesellschaft hat. Wir sehen an unserer Universität, wie Menschen aus der ganzen Welt Spitzenforschung betreiben, die nur mit Landeskindern auf Provinzniveau zurückfallen würde. Wir werden unsere Freiheit verteidigen. Auch deshalb sind heute unsere Gedanken bei den Opfern des Terrors in Paris und ihren Freunden und Verwandten.

Ich möchte Sie bitten, sich für eine Schweigeminute zu erheben. "

 

Unsere weiteren Artikel zum Thema!

WERBUNG:



Seitenanzeige: