| Bildquelle:

Münster:

Warum 2014 "Weihnukka" gefeiert werden konnte - Über die Geschichte des jüdischen Chanukka und der christlichen Weihnacht

Stand: 27.01.15 11:27 Uhr

24.12.2014. Warum 2014 "Weihnukka" gefeiert werden konnte: Über die Geschichte des jüdischen Chanukka und der christlichen Weihnacht, über die historische Entwicklung beider Feste in der Antike, über den Zusammenhang mit der Wintersonnenwende, und und ob das Christentum das Copyright auf das Weihnachtsfest abgegeben hat. darüber sprach Liturgiewissenschaftler Prof. Dr. Clemens Leonhard, Münster in einem Vortrag vor dem Excellenzcluster Religion der Uni Münster. Der Excellenzcluster hat den Text des Vortrags veröffentlicht.

Der Autor Prof. Dr. Clemens Leonhard ist Direktor des Seminars für Liturgiewissenschaft der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster und Mitglied desExzellenzclusters „Religion und Politik". Er leitet das Projekt C2-12 „Mitgliedschaft und Zugehörigkeit: Verein, Stadt und Reichsreligion in der Antike".

Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören jüdische und christliche Liturgien und Festtage,insbesondere ihre Zusammenhänge, Parallelen, ihre Identität und Alterität, sowie die Gestalt, Deutungen und historischen Kontexte von christlichen Liturgien in der Antike.

Über die Geschichte des jüdischen Chanukka und der christlichen Weihnacht, die 2014 erstmals seit 1976 zeitlich zusammenfallen, schreibt Liturgiewissenschaftler Prof. Dr. Clemens Leonhard vom Exzellenzcluster „Religion und Politik" der Universität Münster in einer „Ansichtssache" auf der Website www.religion-und-politik.de des Forschungsverbunds. Der letzte Tag des achttägigen Chanukkafestes fällt auf den 24. Dezember. Damit steht Heiligabend genau am Schluss des jüdischen Lichterfestes. Welcher historische Zusammenhang zwischen den großen Feste der beiden monotheistischen Religionen besteht, ob Juden und Christen in diesem Jahr „Weihnukka" feiern können und ob das Christentum eigentlich das Copyright auf das Weihnachtsfest abgegeben hat, lesen Sie hier:

Für Juden und Christen lässt sich in diesem Jahr so problemlos „Weihnukka" feiern wieselten. Denn die beiden Feste, die das Kunstwort miteinander vereint, fallen im Dezember 2014 erstmals seit langem zeitlich zusammen: Chanukka und Weihnachten,das Lichterfest der Juden und das der Christen werden zeitgleich begangen.

Der letzteTag des achttägigen Chanukkafestes fällt auf den 24. Dezember. Damit steht Heiligabend genau am Schluss von Chanukka. Doch haben die großen Feste der beiden monotheistischen Religionen etwas gemeinsam, außer dass die Feiernden gern Kerzenanzünden?

Geht das Weihnachtsfest der Christen, deren Religion aus dem Judentum desersten Jahrhunderts nach Christus hervorging, auf das jüdische Chanukka zurück? Oderhaben beide einen gemeinsamen Ursprung? Handelt es sich gar im Kern um ein und dasselbe Fest?

Es kommt darauf an, wen man fragt. Blättern wir in den Geschichtsbüchern und befragen zum Beispiel einen Römer aus dem späten vierten oder fünften Jahrhundert nach Christus über Weihnachten. „Freilich ist",wie er sagen wird, „der 25. Dezember der Geburtstag Christi". Das steht bereits imoffiziellen Kalender.

Der Römer wird sich auch noch daran erinnern, dass erst ein Jahrhundert zuvor der Kult des Sonnengottes in Rom in Mode gekommen war und von offizieller Seite reichlich gefördert und um diese Jahreszeit auch zu einem Fest am kürzesten Tag des Jahres gebündelt wurde.

Den Sonnengott „Sol invictus" in der Winterzeit zu feiern, war insofern sinnvoll, als man ab dem Tag der Sommersonnenwende nach damaliger Vorstellung den Eindruck haben konnte, der Sonnengott verlöre langsam an Kraft: Die Tage werden kürzer und kürzer.

Ende Dezember fällt der Wendepunkt und ab dem Tag der Wintersonnenwende steigt die Wirkung der Sonne wieder.An dieser Stelle im Geschichtsbuch mischt sich womöglich ein antiker jüdischer Gelehrter und Kenner des Talmuds in das fiktive Gespräch ein: „Ihr Römer und Christen könnt gerne darum streiten, ob Weihnachten oder das Fest des unbesiegten Sonnengottes zuerst da war und wer bestimmen kann, worum es am 25. Dezember geht.Ich kann euch versichern, dass eure Kulte und das, was ihr darüber denkt, nebensächlich sind. Hört euch an, wie es wirklich zugegangen ist."

Der jüdische Gelehrte bringt darauf die Erzählung aus dem babylonischen Talmud, der im Traktat Avoda Zara 8a über ein Winterfest berichtet, das Adam, der erste Mensch, eingeführt habe: Da der mythische Adam als erwachsener Mann geschaffen wurde, erlebte er als Erwachsener sehr bald den ersten Herbst. Als er merkte, dass die Nächte immer länger wurden, fürchtete er der talmudischen Erzählung zufolge, Gott wolle die Welt wohl als Strafe für seine Sünde in Finsternis untergehen lassen. Er begann acht Tage zu fasten.

Da stellte er plötzlich fest,dass die Tage wieder länger wurden. Aus Freude und Dankbarkeit über diese Erkenntnis beschloss er, jedes Jahr vor der Wintersonnenwende ein achttägiges Fest zu feiern.„Nachdem Adam, der erste Mensch, lange auf der Welt war, bevor Ihr Römer kamt, sollte allen klar sein, wer das Winterfest erfunden hat", wird der jüdische Gelehrte sagen.

Wir können die Geschichte des Gelehrten heute zusammenfassen: Die Römer und später die Christen haben das ursprüngliche Fest zur Wintersonnenwende offensichtlich umgedeutet, in keinem Fall aber erfunden. So lautet heute eine Theorie, um das Datum des Weihnachtsfestes zu erklären:

Christen haben das Fest des unbesiegten Sonnengottes am 25. Dezember adaptiert. Das Gedächtnis der Geburt Jesu Christi hat den Sonnengott verdrängt. Einer anderen Theorie zufolge errechnete man das Weihnachtsdatum aus verschiedenen Angaben der Kindheitsgeschichten Jesu nach dem Neuen Testament.

Mit dem Römer und dem jüdischen Gelehrten jedenfalls hätten wir über die Frage, welche Feste der erste Mensch gefeiert hat, in einen Streit geraten können – wenn dem Römer nicht gerade rechtzeitig aufgefallen wäre, dass sein jüdischer Gesprächspartner über Feste spricht, die im Judentum gar nicht gehalten werden. Den Talmud interessieren an dieser Stelle der 24. Dezember und die Saturnalia, die am 17. Dezember gefeiertw erden (also an dem Tag, an dem Adam im ersten Jahr der Existenz der Welt in Verzweiflung geraten sei).

Ist auch Chanukka eine adaptierte Wintersonnwendfeier? Unter anderem, um diese Frage gleich gar nicht aufkommen zu lassen, erzählt derTalmud vom ersten Menschen und nicht vom Judentum: Er bezieht sich mit der Adam Erzählungnicht auf Chanukka, obwohl man bei einem ausgerechnet achttägigen Fest zum Ende des römischen und unseres Sonnenjahres schon auf die Idee hätte kommen können, dass ein Zusammenhang besteht.

Denn Chanukka dauert ja ebenfalls acht Tage.Doch die acht Tage des Chanukkafestes berechnen sich anders nach dem jüdischenKalender. Hier gilt nicht der in vielen Teilen der Welt heute übliche, gregorianische Kalender, der im 16. Jahrhundert den seit der Antike gültigen julianischen Kalender ablöste und sich am Lauf der Sonne orientiert.

Die Festtage des jüdischen Kalendersfallen auf Tage, die von Neumond bis Neumond gezählt werden. Die Mondphasen stimmen nicht mit unseren 12 schematischen Monaten des Sonnenjahres überein.Deswegen fallen die acht Tage von Chanukka jedes Jahr auf unterschiedliche Tage im Sonnenjahr, dabei aber immer auf dieselben Tage von einem Neumond an gerechnet.

Da Chanukka acht Tage umfasst, überschneiden sie sich manchmal mit den christlichen Weihnachtsfeiertagen, manchmal aber auch nicht.Im vierten Jahrhundert, in dem das fiktive Gespräch stattfindet, war das christliche Weihnachten einige Jahrzehnte alt, das römische Fest des unbesiegten Sonnengottes ein gutes Jahrhundert, aber das jüdische Chanukka schon mehrere Jahrhunderte.

So wird der jüdische Gelehrte sofort eine Erzählung nachreichen, um nicht nur römische Feste und Weihnachten, sondern auch Chanukka zu erklären und es zugleich von den anderen beiden Festen abzugrenzen, obwohl es eben etwa zur selben Jahreszeit gefeiert wird.„Gehen wir in der Geschichte weiter zurück", sagt der jüdische Gelehrte und berichtet erneut aus dem Talmud, der im Traktat Schabbat 21b über Chanukka spricht:

Im zweiten Jahrhundert vor Christus eroberte der seleukidische Herrscher Antiochus IV., der aus einer der Nachfolgedynastien Alexanders des Großen stammte, Jerusalem und entweihte den dortigen Tempel, in dem er ihn in ein Heiligtum für den griechischen Gott Zeus verwandelte. Als es jüdischen Aufständischen (die später „Makkabäer" genannt wurden) gelang, die Stadt und den Tempel wieder unter ihre Kontrolle zu bringen, richteten sie den alten Kult Israels am Jerusalemer Tempel nach seinen Regeln wieder ein und bemühten sich um neue kultische Reinheit.

Die Griechen unter Antiochus hatten aber nach jüdischer Vorstellung alles Öl im Tempel unrein gemacht. Die Aufständischen durchsuchten daher den Tempel und fanden ein kleines Gefäß mit Öl, das noch mit dem unversehrten Siegel des früheren Hohenpriesters verschlossen und damit rein war. Das Öl hätte höchstens für einen Tag gereicht. Doch es geschah nach dem Talmud das Wunder, dass der siebenarmige Leuchter im Tempel mit dem kleinen Fläschchen Öl acht Tage lang brannte. Die Juden machten diese Tage zu einem achttägigen Fest.

Das Fest heißt „Chanukka", nämlich „Einweihung", wegen der Wiedereinweihung des Tempels im Jahr 165 vor Christus. Weil es dabei auch um die Rückeroberung der Stadt Jerusalem geht, erinnert Chanukka an den Mut und die militärische Kraft der biblischen Helden der Makkabäer.Heute können wir festhalten: Chanukka ist von Anfang an ein jüdisches Fest.

Ein Grieche oder Römer damaliger Zeit, der unter anderem Jupiter oder Zeus verehrt, könnte mit diesem Anti-Zeus-(oder auch Anti-Jupiter)-Fest nichts anfangen. Obwohl die verschiedenen Hinweise auf Chanukka das Fest mit Licht verbinden, kommt erst in der Spätantike (im Jerusalemer Talmud) das Anzünden von Lichtern als spezifisch religiöse Praxis in den Blick. Es lässt sich nicht beweisen, gilt aber als wahrscheinlich, dass die rabbinischen Gelehrten jener Zeit Chanukka zwar als ganz und gar nicht-römisches und nicht-christliches Fest feierten und erklärten ‒ dabei aber doch Bräuche ihrer Umwelt wiedas Anzünden von Lichtern aufnahmen.

Vielleicht sahen sie sich in den eigenen Reihen mit Menschen konfrontiert, die die Zeit um die Wintersonnenwende nicht einfach ignorieren, sondern wie ihre nicht-jüdischen Nachbarn festlich gestalten wollten.

Die jüdischen Gegenschichten zu Chanukka, die lose mit der Wintersonnenwende verbunden sind, sagen uns heute zwar nichts mehr darüber, ob polytheistische Griechen und Römer oder auch Christen damals Chanukka feierten und Juden umgekehrt di eWintersonnenwende als Fest des unbesiegten Sonnengottes begingen. Sie zeigen aber,dass man sich Gedanken über die Feste der anderen machte – besonders diejenigen Feste, die der eigenen Praxis nahe kamen.

Einige Zeitgenossen empfanden eine solche Nähe als gefährlich, wie manche historischen Quellen nahelegen. Andere wiederum feierten die Feste der anderen Religionen tatkräftig mit:

Der christliche Prediger Johannes Chrysostomus wettert im späten vierten Jahrhundert massiv gegen Christen, die zu jüdischen Festen in die Synagoge gehen. Das tat er, wie er sagte, weil Leute aus seiner Zuhörerschaft solche Besuche machten.

Die antiken Ursprünge von Weihnachten, über die uns das fiktive Gespräch belehrt, machen die Antwort auf die Frage, wem Weihnachten denn nun gehört, unsicher – wenn man davon ausgeht, dass Religionen gleichsam Rechte auf Erfindungen ihrer Vorfahren haben. Da sich heute niemand als Erbe der polytheistischen Römer ansehen will, bleibtso etwas wie ein Anspruch des Christentums auf den Besitz des Festes im 21.Jahrhundert unwidersprochen.

Das heißt aber nicht, dass Juden im Verlauf der Geschichte mit Weihnachten nichts zu tun hatten: Fragte man etwa einen Juden aus Mittel- oder Osteuropa der Frühen Neuzeit, würde er sagen, dass Juden Weihnachten zwar überhaupt nicht feiern, aber genauso wie Christen massiv davon betroffen sind – nämlich von dem, was er „Nittel-Nacht" nennen würde. Der jüdische Begriff „NittelNacht" bezeichnet in jüdischen Quellen die Nacht vor dem Fest „Geburt des Herren" –Natale Domini.

Seit dem 16. Jahrhundert finden sich Andeutungen in jüdischen und antijüdischenQuellen, dass sich Juden in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember die ganze Nacht über in ihren Häusern versammelten, wach blieben, aus Angst vor Gespenstern Knoblauch aßen und Gesellschaftsspiele spielten. Von manchen Tätigkeiten, wie demsonst betriebenen Studium der Gesetze, wird in den Texten massiv abgeraten.

Die christliche Vorstellung von Weihnachten hatte damals nämlich eine dunkle Seite, die heute im Christentum keine Rolle mehr spielt. Manche Quellen bewahren angsteinflößende Aspekte von Weihnachten. Die US-amerikanische Judaistin Rebecca Scharbach hat jüngst (in Fortsetzung einschlägiger Forschungsarbeiten von Marc Shapiround Israel Yuval) gezeigt, dass unter den Christen und Juden fast dieselben Vorstellungen über Gefahren der Weihnachtsnacht und geeignete Mittel zur Abwehrbestanden.

In der Weihnachtsnacht sollten auch Christen tunlichst zu Hause bleiben, gegebenenfalls Knoblauch gegen die Gespenster essen oder auf ihre Haustüre auftragen,keine heiligen Handlungen vollziehen, die ja nur die Wiedergänger und schrecklichen Geister reizen würden.Während der Weihnachtsnacht (in manchen Gegenden auch zum 6. Januar) oder der Nittel-Nacht – je nach religiöser Perspektive – zogen mehr oder weniger unfreundlich verkleidete Gestalten durch die Straßen, jagten den Kindern einen Schrecken ein, ließen sich von ihnen anbeten und schenkten ihnen Nüsse und Äpfel, wenn sie brav waren.

Die Kinder glaubten, die Gestalten würden ihnen, wenn sie nicht gehorchten, den Bauch aufschlitzen und die Eingeweide herausschneiden. Christen und Juden teilten die Angstvor Wiedergängern und unheimlichen Mächten – seien es das Christkind, Knecht Ruprecht, Frau Perchta oder andere.

Die Quellen belegen, dass auch ganz reale, menschliche und tatsächlich gefährliche Gestalten ihre jüdischen Nachbarn in dieser Nacht bedrohten – aus purer Judenfeindlichkeit. Immerhin wurde 1235 unter den FuldaerJuden aufgrund einer nach dem Weihnachtsabend lancierten Ritualmordlüge einMassaker begangen.

Das Weihnachtsfest wurde zum Anlass für die Gewalt an der Minderheit der Juden genommen. Dabei zeigen die historischen Quellen, dass jüdische Beobachter dieser Szenen die schlechte Gesellschaft, in der das vermeintliche Christkind auftrat, etwas anders deuteten als ihre christlichen Nachbarn. Sie verstanden Jesus als integralen Teil dieser Gruppe, während Christen die Unholde als bösen Gegenpart zum Christkind sehen konnten. Dennoch spielten auch Darsteller des Christkinds sehr ambivalente Rollen.

Die Legenden, die man sich unter Juden erzählte, beschreiben Jesus als schrecklichen Wiedergänger, der durch die Latrinen des Dorfes zieht und Menschen bedroht, die ihre Wohnhäuser verlassen. Christliche Theologen dieser Zeit mögen Weihnachten als ausschließlich christliches Fest erklärt und jüdische Gelehrte die Ängste ihrer Zeitgenossen als Aberglaube dargestellt haben. Der Schrecken, der damit verbunden war, traf jedoch Christen und Juden gleichermaßen.

Obwohl in den Quellen aus dieser Zeit Chanukka nicht ins Spiel gebracht wird, zeigt auch dieser bedauerliche Abschnitt der Geschichte der Beziehungen zwischen Christen und Juden, dass das Weihnachtsfest nicht nur in seinen antiken Anfängen, sondern auch in späteren Epochen Gegenstand der symbolischen (durch Übernahme von Bräuchen und kleinere Umdeutungen der mit ihnen verbundenen Vorstellungen) und literarische nAuseinandersetzung zwischen Christen und Juden blieb.

Auf andere Weise erlebten deutsche Juden des 19. und frühen 20. Jahrhundert dasWeihnachtsfest. Zahlreiche Quellen berichten über die selbstverständliche Feier des Festes in ihren Familien – gelegentlich zusätzlich zum Chanukkafest. Welche dieserFamilien einen Weihnachtsbaum und welche einfach nur einen geschmücktenTannenbaum (einen Unterschied, den man an einem Baum nicht ablesen kann) aufgestellt haben, müsste man sie wiederum in einem fiktiven Gespräch fragen.

Natürlich gab es unter Juden auch Gegenstimmen gegen diese Praxis. Sie betonten Chanukka als jüdische Alternative zu Weihnachten. Wer Chanukka in dieser Weise begriff, betrachtete es – wenn auch als Gegenposition – doch als Fest, das sich mit Weihnachten vergleichen ließ. Daran zeigt sich einmal mehr: Ein religiöses Fest hat kein unveränderliches, ahistorisches Wesen und keine Existenz jenseits dessen, wie reale Menschen es tatsächlich feiern, interpretieren oder auch ostentativ nicht feiern.

Dashängt auch mit dem religiösen Gehalt zusammen, den die jeweiligen Zeitgenossen dem Fest noch zuschreiben: Juden des 19. Jahrhunderts konnten Weihnachten feiern, weil es mittlerweile ein ziemlich säkulares Fest geworden war. Dass Juden der Neuzeit also Weihnachten feierten, machte es zu einem Fest in einer Schnittmenge von Bräuchen und Vorstellungen zwischen Judentum und Christentum, die letztlich religiös indifferent waren.

Auch heute ist das Feiern des Weihnachtsfestes weit über christliche Haushalte hinaus an vielen Orten der Welt verbreitet. Die Verbreitung war im Laufe der Jahrhunderte so erfolgreich, dass alle Menschen und vor allem Religionsvertreter, die die Weltreligionen gerne nach Theorie und Praxis in klar begrenzte Systeme einteilen wollen, das Weihnachtsfest nicht mehr religiös klar definieren können.

Wenn so viele Menschen verschiedene mit Weihnachten assoziierte Elemente in ihr eigenes Brauchtum übernehmen, ohne sich um christliche Inhalte zu kümmern, die damit verbunden werden, müssen heutige Zeitgenossen zugeben, dass das Christentum das Copyright auf dieses Fest abgegeben hat.

Einen antiken Römer würde das nicht in Erstaunen versetzen.Er würde anmerken, dass das Christentum ohnehin zu den jüngeren Nutzern der Wintersonnenwende als Festanlass gehört. In europäischen Breiten haben längst Akteure außerhalb der Kirchen die Gestaltung von Weihnachten übernommen – eine Gestaltung die für dermaßen viele Deutungen offenbleibt, dass man sich des Deutens enthalten könnte.

In vielen Städten machen Weihnachtsmärkte den Heiligabend zu einem öffentlich unsichtbaren, privaten Anhängsel einer großen, mehrwöchigen, städtischen Festperiode. Weihnachten endet in dieser Sichtweise ein bis zwei Tage vor Heiligabend. Die große Nähe von Weihnachten und Chanukka, die über die Jahrhunderte, wenn auch in unterschiedlicher Ausgestaltung, nicht nachgelassen hat, drücken manche Beobachter weise ironisch, aber nicht ohne Sympathie mit dem Begriff „Weihnukka" aus.

In den USA heißt dies „Christmukka", in Anlehnung an das englische „Christmas", insofern Elemente von Weihnachten und Chanukka zusammengedacht oder auch zusammengefeiert werden. In Deutschland, wo die jüdische Minderheit leider viel kleiner ist als in Nordamerika, kann man Chanukka im öffentlichen Raum kaum wahrnehmen, selbstwenn es wie 2014 zeitgleich zu Weihnachten gefeiert wird.

Umso schöner, dass manche jüdischen Gemeinden inzwischen an öffentlichen Plätzen in Deutschland Chanukkaleuchter anzünden, womit sie auch Chanukka zu etwas gesellschaftlicher Sichtbarkeit verhelfen.Einerseits kann hierzulande niemand mehr im späteren Dezember ein Fest feiern, das etwas mit Lichtern zu tun hat, ohne dass es irgendwie mit Weihnachten assoziiert wird –und sei es, dass eine Veranstaltung dermaßen wenig mit Weihnachten zu tun hat, dass man erst recht auf mögliche Zusammenhänge neugierig wird.

Andererseits hat das Feiern von ausgewählten Bräuchen eines Festes die Feiernden niemals auf theologische Festinhalte oder Elemente einer bestimmten Memorialkultur verpflichtet. Ob es sich bei einer neun-armigen Lichterpyramide im Fenster um einen stilisierten Chanukkaleuchteroder eine bloß hübsche, ansonsten aber bedeutungslose Advent-Dekoration handelt, darf der Betrachter entscheiden.

2014 fällt der letzte der acht Tage von Chanukka auf Heiligabend. Christen und Juden sind durch die Feier der beiden Feste getrennt, oder vielleicht in der getrennten Feier vereint. Die Terminkollision zwingt zur Entscheidung, wobei sich die Bräuche und Accessoires auch vermischen lassen.

Dabei wäre zu hoffen, dass gerade angesichts der historischen Zusammenhänge von Weihnachten und Chanukka christliche und jüdische Gläubige zu den beiden Festen zusammenkommen und gelegentlich gemeinsam feiern –gleich, ob die Feste vom Datum her zusammenfallen oder, wie 2015 wieder,auseinanderliegen.

Dann endet Chanukka schon am 14. Dezember. Die historischen Ursprünge und Fortentwicklungen von Chanukka und Weihnachtenzeigen, dass sie nicht als dasselbe Fest betrachtet werden dürfen, obwohl sie einander in mancher Hinsicht ähneln.

Sie sind keine Feier der Wintersonnenwende, obwohl sie historisch damit zusammenhängen. Die zentralen religiösen Inhalte der beiden Feste, die Menschwerdung Christi und die Wiedereinweihung des Tempels von Jerusalem, sind voneinander unabhängig.

Da Juden in Europa eine Minderheit waren, hat das Fest der christlichen Mehrheit weitere Kreise gezogen als Chanukka – so weite Kreise, dass sich schon lange nicht mehr als Christ outet, wer Weihnachten feiert. Das ist der Preis des Verbreitungserfolgs.

Umso wünschenswerter, dass Christen und andere, die zufällig keine persönlichen Kontakte zu Juden in Deutschland pflegen, mindestens so viel Sympathie für das Judentum und ihr Lichterfest entwickeln, wie viele Juden für das Weihnachtsfest – und dass sie zu Weihnachten an all die Juden denken, die ungefähr zur selben Zeit Chanukka feiern.

Bleibt die spannende Frage, was das in einhundert Jahren für Chanukka und Weihnachten bedeutet. (exc)

Der Autor Prof. Dr. Clemens Leonhard ist Direktor des Seminars für Liturgiewissenschaft der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster und Mitglied desExzellenzclusters „Religion und Politik". Er leitet das Projekt C2-12 „Mitgliedschaft undZugehörigkeit: Verein, Stadt und Reichsreligion in der Antike". Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören jüdische und christliche Liturgien und Festtage,insbesondere ihre Zusammenhänge, Parallelen, ihre Identität und Alterität, sowie die Gestalt, Deutungen und historischen Kontexte von christlichen Liturgien in der Antike.

WERBUNG:



Seitenanzeige: