Das Urteil kam für Professor Kahle nicht überraschend: Die Erbschaftsteuer verstößt in zentralen Punkten gegen das Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner heutigen Entscheidung das bisher geltende Recht gekippt und den Gesetzgeber aufgefordert, bis 30. Juni 2016 eine Neuregelung zu treffen.
Kleine und mittlere Unternehmen dürfen dabei aber auch zukünftig steuerlich entlastet werden, um ihre Existenz und Arbeitsplätze nicht zu gefährden. Darüber hinaus sei es jedoch den Richtern zufolge unverhältnismäßig, Betriebsvermögen ohne eine Bedürfnisprüfung zu privilegieren.
Ebenfalls kritisiert hat das Gericht, dass Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten keine Mindestlohnsumme einhalten müssen, um in den Genuss der Steuervorteile zu kommen. Betriebsvermögen mit einem Anteil an Verwaltungsvermögen bis zu 50 % blieben bisher auch von der Erbschaftsteuer verschont. Beides würde nicht dem Erhalt von Arbeitsplätzen dienen.
Offene Fragen bleiben bestehen
Prof. Dr. Holger Kahle, Steuerexperte an der Universität Hohenheim, begrüßt das Urteil im Grundsatz: "Die Entscheidung kam nicht überraschend, da nach geltendem Recht keine steuerliche Belastungsgleichheit vorliegt." Er hätte es sich jedoch schärfer gewünscht, da etliche große Fragen weiterhin offen blieben.
Ein Problem sei zum Beispiel die Unterscheidung zwischen kleinen und mittleren Unternehmen einerseits und Großunternehmen andererseits. "Die Trennlinie ist nicht klar", meint Prof. Dr. Kahle. "Diese Unterscheidung kann neue Steuer-Schlupflöcher schaffen."
Viele Betriebsübernahmen erwartet
Für die nächsten Monate, so lange die alten Regelungen noch gelten, erwartet der Experte eine steigende Zahl von Unternehmensübertragungen: "Viele werden natürlich versuchen, diese Frist noch zu nutzen."
Das sei betriebswirtschaftlich nicht immer sinnvoll, warnt Prof. Dr. Kahle. Fähigkeit und Kompetenz der Firmennachfolger sollten doch Voraussetzung für die Übertragung sein.
Inwieweit das Urteil zu einer Erhöhung des Steueraufkommens aus der Erbschaftsteuer führen wird, hängt nun von der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber ab. Eine Prognose ist daher schwierig. Es ist aber nicht zu erwarten, dass mittelständische Unternehmen künftig gravierend stärker belastet werden. Für Großunternehmen sieht dies aber anders aus.
Professor Kahle: Konzeptionswechsel besser als Flickwerk
"Dem Gesetzgeber stehen jetzt zwei Möglichkeiten offen: Zum einen kann er das Regelwerk quasi reparieren, so wie es das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat", so Prof. Dr. Kahle. Seine Empfehlung an die Politik wäre jedoch die andere Alternative: Einen Konzeptionswechsel vorzunehmen und das Gesetz neu aufzusetzen.
Das bedeutet im Einzelnen: "Alle Erwerbe sollten gleich behandelt werden, egal ob privat oder betrieblich. Zur Schonung der mittelständischen Unternehmen müssten dann aber die Steuersätze auf 5 - 10 % gesenkt werden, wie es auch bereits der wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium propagiert hat."
Steuerstundung statt Steuerverschonung
Verbinden müsste man die Steuerzahlung dann außerdem mit der Möglichkeit zur Stundung, also einer Streckung auf z. B. 10 Jahre. Für den Fall, dass ein Betrieb tatsächlich nicht zahlen kann, empfiehlt Prof. Dr. Kahle entsprechende Ausnahmeregelungen.
Leider, befürchtet der Wissenschaftler, werde der Gesetzgeber vermutlich nicht diesen Weg gehen: "Finanzminister Wolfgang Schäuble hat bereits angekündigt, dass er keine grundlegende Reform des Erbschaftsteuergesetzes plant."
Es werde also wohl ein hochkompliziertes Flickwerk bleiben – mit neuen Steuerschlupflöchern, die sich daraus ergeben.
Zur Person:
Prof. Dr. Holger Kahle ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre und Prüfungswesen am Institut für Financial Management der Universität Hohenheim. Er gilt als Experte für Unternehmensbesteuerung. Im Zentrum der Forschungstätigkeit seines Lehrstuhls stehen die nationale und internationale Unternehmensbesteuerung, der Einfluss der Besteuerung auf betriebliche Entscheidungen sowie das externe Rechnungswesen.
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