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Hohenheim:

Verfassungsgericht kippt Erbschaftsteuer - Steuer-Professor warnt vor Schlupflöchern - Handwerk zufrieden

Stand: 17.12.14 22:20 Uhr

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Die Steuervorteile für Firmenerben sind nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Bis 30. Juni 2016 hat nun der Gesetzgeber Zeit, eine Neuregelung zu finden. Bis dahin gilt das bisherige Regelwerk weiter. Steuer-Experte Prof. Dr. Holger Kahle von der Universität Hohenheim hätte sich das Urteil schärfer gewünscht. Er sieht nach wie vor die Gefahr steuerlicher Schlupflöcher.

Das Urteil kam für viele nicht überraschend: Die Erbschaftsteuer verstößt in zentralen Punkten gegen das Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner heutigen Entscheidung das bisher geltende Recht gekippt und den Gesetzgeber aufgefordert, bis 30. Juni 2016 eine Neuregelung zu treffen.

Kleine und mittlere Unternehmen dürfen dabei aber auch zukünftig steuerlich entlastet werden, um ihre Existenz und Arbeitsplätze nicht zu gefährden. Deshalb ist das Handwerk recht zufrieden mit der Entscheidung. Darüber hinaus ist es jedoch den Richtern zufolge unverhältnismäßig, Betriebsvermögen ohne eine Bedürfnisprüfung zu privilegieren.

Ebenfalls kritisiert hat das Gericht, dass Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten keine Mindestlohnsumme einhalten müssen, um in den Genuss der Steuervorteile zu kommen. Betriebsvermögen mit einem Anteil an Verwaltungsvermögen bis zu 50 % blieben bisher auch von der Erbschaftsteuer verschont. Beides würde nicht dem Erhalt von Arbeitsplätzen dienen.

Offene Fragen bleiben bestehen

Prof. Dr. Holger Kahle, Steuerexperte an der Universität Hohenheim, begrüßt das Urteil im Grundsatz: „Die Entscheidung kam nicht überraschend, da nach geltendem Recht keine steuerliche Belastungsgleichheit vorliegt." Er hätte es sich jedoch schärfer gewünscht, da etliche große Fragen weiterhin offen blieben.

Ein Problem sei zum Beispiel die Unterscheidung zwischen kleinen und mittleren Unternehmen einerseits und Großunternehmen andererseits. „Die Trennlinie ist nicht klar", meint Prof. Dr. Kahle. „Diese Unterscheidung kann neue Steuer-Schlupflöcher schaffen."

Viele Betriebsübernahmen erwartet

Für die nächsten Monate, so lange die alten Regelungen noch gelten, erwartet der Experte eine steigende Zahl von Unternehmensübertragungen: „Viele werden natürlich versuchen, diese Frist noch zu nutzen."

Das sei betriebswirtschaftlich nicht immer sinnvoll, warnt Prof. Dr. Kahle. Fähigkeit und Kompetenz der Firmennachfolger sollten doch Voraussetzung für die Übertragung sein.

Inwieweit das Urteil zu einer Erhöhung des Steueraufkommens aus der Erbschaftsteuer führen wird, hängt nun von der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber ab. Eine Prognose ist daher schwierig. Es ist aber nicht zu erwarten, dass mittelständische Unternehmen künftig gravierend stärker belastet werden. Für Großunternehmen sieht dies aber anders aus.

Prof. Dr. Kahle: Konzeptionswechsel besser als Flickwerk

„Dem Gesetzgeber stehen jetzt zwei Möglichkeiten offen: Zum einen kann er das Regelwerk quasi reparieren, so wie es das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat", so Prof. Dr. Kahle. Seine Empfehlung an die Politik wäre jedoch die andere Alternative: Einen Konzeptionswechsel vorzunehmen und das Gesetz neu aufzusetzen.

Das bedeutet im Einzelnen: „Alle Erwerbe sollten gleich behandelt werden, egal ob privat oder betrieblich. Zur Schonung der mittelständischen Unternehmen müssten dann aber die Steuersätze auf 5 - 10 % gesenkt werden, wie es auch bereits der wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium propagiert hat."

Verbinden müsste man die Steuerzahlung dann außerdem mit der Möglichkeit zur Stundung, also einer Streckung auf z. B. 10 Jahre. Für den Fall, dass ein Betrieb tatsächlich nicht zahlen kann, empfiehlt Prof. Dr. Kahle entsprechende Ausnahmeregelungen.

"Leider", befürchtet der Wissenschaftler, werde der Gesetzgeber vermutlich nicht diesen Weg gehen: „Finanzminister Wolfgang Schäuble hat bereits angekündigt, dass er keine grundlegende Reform des Erbschaftsteuergesetzes plant." Es werde also wohl ein hochkompliziertes Flickwerk bleiben – mit neuen Steuerschlupflöchern, die sich daraus ergeben.

Prof. Dr. Holger Kahle ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre und Prüfungswesen am Institut für Financial Management der Universität Hohenheim. Er gilt als Experte für Unternehmensbesteuerung. Im Zentrum der Forschungstätigkeit seines Lehrstuhls stehen die nationale und internationale Unternehmensbesteuerung, der Einfluss der Besteuerung auf betriebliche Entscheidungen sowie das externe Rechnungswesen.


Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, befürchtet durch das Urteil und die vielen Auflagen große Verunsicherung bei hunderttausenden Betrieben.

Die Politik müsse jetzt kurzfristig Rechtssicherheit für die Unternehmen schaffen und gesetzesfest klarstellen, dass das bisherige Gesetz bis zur angemahnten Neuregelung uneingeschränkt gilt. Ansonsten drohen kurzfristig negative Auswirkungen auf Investitionsentscheidungen und Arbeitsplätze.

Die Unternehmen setzen laut Schweitzer auf die Zusage der Regierung, dass die Unternehmensnachfolge auch künftig nicht durch die Erbschaftsteuer gefährdet und sie deshalb auch mittelstandsfreundlich gestaltet wird. Das Urteil lege dem Gesetzgeber eine Reihe von schwierigen Detailfragen auf den Tisch. Es komme darauf an, eine Regelung zu finden, die möglichst unbürokratisch ist gerade für kleine Unternehmen. Aber auch die vom Gericht geforderte 'Bedürfnisprüfung' müsse den betrieblichen Anforderungen gerecht werden. Das gelte auch für die Neuregelung beim Verwaltungsvermögen."

Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), erklärte zum Erbschaftssteuer-Urteil: "Betriebsvermögen von kleinen und mittleren Betrieben, die in personaler Verantwortung geführt werden, dürfen im Erbfall verschont werden. Die Politik muss bei der weiteren Reform der Erbschaftssteuer diesen Grundsatz berücksichtigen. Das ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes die gute Nachricht für kleine und mittlere Unternehmen."

Wollseifer betont: "Die Betriebe des Handwerks – nahezu ausnahmslos Familienbetriebe - wirtschaften nachhaltig, planen generationenübergreifend. Sie sind damit ein bedeutender und einzigartiger Stabilitätsfaktor für Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland. Sie sind in vielen Regionen darüber hinaus unverzichtbar als Ausbilder, Arbeitgeber und Nahversorger. Eine Schwächung ihrer Substanz und eine Zerstörung ihrer wirtschaftlichen Struktur hätten fatale Folgen. Denn das in den Betrieben gebundene Kapital ist - anders als Aktien oder Geldvermögen – nicht jederzeit übertragbar. Steuerzahlungen können daher schnell existenzbedrohend wirken. Auch zu viel Bürokratie durch aufwendige Nachweispflichten bei neuen Regelungen ist für die kleinen Betriebe nicht tragbar. Es gilt, die Übergabe von zehntausenden solcher Familienbetriebe allein in den kommenden Jahren zu sichern – und damit die Arbeits- und Ausbildungsplätze und das wirtschaftliche und unternehmerische Wissen."

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