Innenminister Reinhold Gall | Bildquelle: RTF.1

Heidelberg:

Gedenken an die im Dienst getöteten Polizeibeamten - Innenminister Gall spricht auf Ökumenischer Gedenkfeier der Polizei

Stand: 22.11.14 16:42 Uhr

In einer ökomenischen Gedenkfeier der Polizei hat der Baden-Württembergische Innenminister Gall am heutigen Sonntag, 22.11.2014 in der Heiliggeistkirche in Heidelberg den im Dienst getöteten und verunglückten Polizistinnen und Polizisten des Landes gedacht.

Hier die Gedenk-Rede von innenminister Gall in ihrer schriftlichen Fassung:

"Wieder ist die kalte, dunkle Jahreszeit eingekehrt, wieder fegen Herbst­stürme die letzten Blätter von den Bäumen, wieder legt sich Nebel auf die Erde. Wieder erinnert uns der November an die Dunkelheit im Leben, an Tod und Sterben. Wieder kommen wir zusammen, um diese Dunkelheit zu teilen und ihr unser Mitgefühl als ein Licht entgegenzustellen.

Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen allen, dass Sie heute gekom­men sind und diesen Tag im November wieder zu unserem gemeinsamen Erinnern werden lassen.

ERINNERUNG ALS STETIGE SPURENSUCHE

Seit nun vier Jahren gedenken wir bei unserer öffentlichen Gedenkfeier mit dieser Glasstele Menschen, die aufgrund der besonderen Gefahren des Polizeidienstes verunglückt sind oder getötet wurden. Dieses Erin­nern und Gedenken findet nicht nur an diesem Tag und nicht nur an die­sem Ort hier statt. Es findet Tag für Tag und durch viele Menschen in der Polizei und darüber hinaus statt.

Denn viele Menschen tragen zum Wachhalten der Erinnerung bei. Sei es, dass Sie sich bei der Ausrichtung der Gedenkfeier, wie dieses Jahr hier in Heidelberg, einbringen, sei es, dass Sie auf Spurensuche nach Schicksa­len in der Polizei gehen und der Erinnerung einen Namen geben.

So auch bei der ehemaligen Polizeidirektion Esslingen, dem heutigen Po­lizeipräsidium Reutlingen. Dort wird durch die Polizeichronik die Erinne­rung an das Schicksal von Ludwig SCHUHMANN, der im Jahr 1959 im Polizeidienst getötet wurde, bewahrt. Ludwig SCHUHMANNS Name lie­ßen wir nun auf die Glasstele eingravieren und erinnern heute an ihn.

LUDWIG SCHUHMANNS SCHICKSAL 1959

Dieses Erinnern und Gedenken begann mit einer Meldung der Esslinger Allgemeinen Zeitung am Montag den 26. Januar 1959. Sie lautete: „Eßlinger Kriminalkommissar im Dienst ermordet. Täter gestern Nacht am Bahnhof Stuttgart gefasst". Was war geschehen? Kriminalkom­missar SCHUHMANN hatte vom 24. Januar bis 25. Januar 1959 zusam­men mit einem Kripokollegen Nachtdienst.

In den Morgenstunden des 25. Januar teilte eine Anruferin, die Haushäl­terin Frieda Hahn, einen Einbruch im Bekleidungshaus der Firma Kögel mit. Denn sie hatte gegen 5 Uhr verdächtige Geräusche im Keller gehört. Da Ludwig SCHUHMANN bei der ihm bekannten Firma Kögel bereits wie­derholt Einbrüche aufgenommen hatte und es kurz vor Dienstende war, rückte er alleine aus. Sein Kollege erledigte derweilen Abschlussberichte auf der Dienststelle.

Am Tatort angekommen, ging Kriminalkommissar SCHUHMANN durch die offene Kellertüre nach unten. Dort wollte er den Einstieg des Täters, den er im Kohlenschacht vermutete, vermessen. Ludwig SCHUHMANN ging davon aus, dass sich der Einbrecher - wie in den Fällen zuvor - nicht mehr im Objekt befand. Doch dieser war noch am Tatort und verbarg sich hinter einem Mauervorsprung im Kohlenkeller.

Er ließ den Kriminalbeamten an sich vorbeigehen und schoss dann von hinten auf Ludwig SCHUHMANN. Danach zog er sein Opfer auf den Kokshaufen und flüchtete durch den Kohleschacht. Der Täter konnte in der Folgenacht in einem Zug Richtung Stuttgart festgenommen werden. Es handelte sich um einen 26-jährigen Arbeiter aus Stuttgart.

WER WAR LUDWIG SCHUHMANN?

Eine wichtige Frage beschäftigt uns bis heute: Wer war Ludwig SCHUHMANN? Aus den Archivberichten der Eßlinger Zeitung wissen wir, dass Kriminalkommissar Ludwig SCHUHMANN 61 Jahre alt war und kurz vor seiner Pensionierung stand. Er war verheiratet und hatte vier Kinder. Im Nachruf beklagt die Polizei den Verlust eines - ich zitiere: „von großem Pflichtbewusstsein erfüllten Polizeibeamten", der nicht nur wegen seiner vorbildlichen Leistungen und seiner „hervorragenden menschlichen Ei­genschaften" geschätzt wurde. Rund 38 Jahre hatte Kriminalkommissar SCHUHMANN der Polizei angehört. Am 1. Dezember 1920 hatte er sich in der noch jungen Weimarer Republik in den Dienst der Polizei gestellt. Seit 1951 war er bei der Kriminalpolizei.

Ludwig SCHUHMANN war ein erfahrener Beamter, der in seinen vielen Dienstjahren schon unzählige Einbrüche aufgenommen und vermutlich weit gefährlichere Situationen erlebt haben muss, bis er kurz vor seiner Pensionierung 1959 ermordet wurde. Dieser Mord liegt nun ein halbes Jahrhundert (55 Jahre) zurück. Wenn wir an diesen Dienstweg denken, der in den 20er Jahren begann und 1959 so tragisch endete, klingt das für unsere Ohren zunächst sehr fern. Doch das Schicksal ist näher und uns verbindet mehr damit als wir vielleicht denken. Denn Gefahrensituati­onen, die in jeder Minute aus dem Nichts der scheinbaren Routine heraus erwachsen, sind der Polizei gestern wie heute sehr vertraut.

TÄGLICHE GEFAHREN - HEUTE

Wenn wir an die zunächst scheinbar geringe Gefahrensituation von Lud­wig SCHUHMANN erinnern, kommen uns unweigerlich auch Gedanken an die aktuelle Zunahme von Wohnungseinbrüchen ins Bewusstsein - nicht nur hier in Baden-Württemberg, sondern bundesweit.

Wir werden uns der Gefahren bewusst, die Polizeibeamtinnen und -

beamte auch bei scheinbaren Routine-Maßnahmen auf sich nehmen. Und wir fragen uns: Wie oft schwebte und schwebt wohl das Damoklesschwert bei ähnlichen Situationen schon über unseren Polizistinnen und Polizis­ten?

Auf unserer Glasstele erinnern uns: 

Albert HIEBER von der Schorndorfer Polizei (27.09.1946), Manfred MAYER  (27.01.1987) und Mans MOSBACH (04.05.1987) von der Karlsruher Polizei, Gustav KERN (10.12.1946) und Markus PAUL (11.12.1998) von der Mannheimer Polizei und nun auch Ludwig SCHUHMANN auf so tragische Weise daran, welche Gefahren Polizeibeamtinnen und -beamte (allein) bei Einbrüchen auf sich nehmen. Eben nicht nur bei offenkundig hohen Gefahrenlagen, sondern im Alltag des Polizeidienstes.

Der Polizeidienst ist gefahrenvoll, er verlangt unseren Beamten und Be­amtinnen großes Können, hohe Konzentration, Erfahrung, Umsicht und viel Mut ab. Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber wir müssen Sie uns im Alltag immer wieder aufs Neue bewusst machen. Ich danke allen, die sich täglich dieser Gefahren zum Trotz in den Dienst unserer Bürgerinnen und Bürger stellen.

Liebe Polizeibeamtinnen und -beamte: Es klingt vielleicht abgenutzt, aber ich wünsche mir und Ihnen allen, dass Sie bei aller Routine immer auch die Vorsicht und die vielzitierte Eigensicherung als dritten Streifenpartner an Ihrer Seite haben. Wir alle wissen, dass sich das nicht immer erfüllt und die Polizei in all den Jahren immer wieder tragische Schicksale zu beklagen hat.

TODESTAGE 2014

Dies wird uns auch bei der Erinnerung an die Todestage des Jahres 2014 traurig klar. So haben wir am 8. August an Harald POPPE und Peter QUAST erinnert, die vor 25 Jahren (1989) aus einer polizeilichen Routi­nesituation heraus auf der Gaisburger Brücke in Stuttgart ermordet wur­den. Wir erinnern in diesem Jahr auch an den 60. Todestag von Xaver BAIR (PP Stuttgart), der auf einer Dienstfahrt verunglückte. Wir erinnern an den 50. Todestag von Erwin OPITZ (PP Karlsruhe, 08.02.1964, Nähe­res nicht bekannt). Wir erinnern an den 40. Todestag von Wolf-Dietmar HINKE, Waldemar BÖHM und Herbert ERLEWEIN, die bei einem Hub­schrauberabsturz das Leben verloren. Wir erinnern an den 30. Todestag von Gerhard HERZOG vom Polizeiposten Gaienhofen (Konstanz), der bei einer Streifenfahrt starb. Und wir erinnern an den 20. Todestag von Martin ENDRES aus Schwäbisch Hall, der bei einer Widerstandshandlung im Dienst einen Herzinfarkt erlitt.

Wir erinnern an alle Menschen in der Polizei, die in diesem Jahr sterben mussten und sind in Gedanken bei all jenen, die um einen Menschen trauern.

ZUSAMMENSTEHEN UND TROST IN DER POLIZEI

Heute wie gestern verbindet uns bei der Polizei etwas, das wir auch den Schilderungen über die Trauer um Ludwig SCHUHMANN im Jahr 1959 entnehmen können. Den Berichten entnehmen wir - ich zitiere:

„Das Gotteshaus war bis auf den letzten Platz gefüllt. Darunter viele Poli­zeibeamte aus Eßlingen, Kommissare aus Stuttgart und Kollegen aus al­len Teilen des Landes. [...] ‚Gott legt uns eine Last auf' - ist der Eindruck, unter dem alle stehen. Wir sollten aber nicht allein auf die bitter-schwere Last sehen, sondern uns darauf besinnen, dass wir in allem gehalten sind. Mit Händels ‚Lass mich in Tränen' beschloss das Musikkorps der Schutzpolizei Stuttgart die Trauerfeier."

Meine sehr geehrten Damen und Herren, was uns gestern wie heute ver­bindet, ist das gemeinsame Trauern, das Zusammenstehen und Mitgefühl in der Polizei und aus der Polizei heraus, das gemeinsame Gedenken und Erinnern. Das ist der Grund, weshalb wir jedes Jahr zusammenkommen und diesen Tag im November begehen.

Es ist unser Ausdruck, Ihnen, werte Angehörige, zu sagen: Wir vergessen nicht! Wir sind bei Ihnen.

Dafür stehen die Namen und das Licht der Stele, das wir immer wieder neu entzünden."

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