Wer nach Baisingen kommt, der entdeckt die Spuren des jüdischen Lebens auf Schritt und Tritt. Nicht nur die Synagoge, auch der Jüdische Friedhof erinnert an die Menschen, die hier einst gelebt hatten. Ende des 16. Jahrhunderts sind die ersten Juden hier nachgewiesen. Synagoge und Friedhof gab es damals noch nicht. Es waren Vertriebene, die sich hier angesiedelt hatten. Denn in Württemberg und Vorderösterreich durften sie nicht mehr wohnen.
"Die Möglichkeit war für sie, entweder in den Osten Europas zu gehen oder in Dörfer zu gehen, die von kleinen Baronen, Grafenfamilien regiert wurden", sagte Karlheinz Geppert, Kulturamtsleiter im Ruhestand und Experte für die jüdische Geschichte Baisingens. Gegen die Zahlung einer Sondersteuer durften die Juden dort leben.
"Das ist der Grund, warum sie hier in Baisingen waren, das hat den Schenken von Stauffenberg gehört, oder weil sie in Rexingen waren, das hat der Johanniterkommende gehört", so Geppert.
Unter einer Sternenkuppel hatten sich die Gläubigen versammelt. Jeder hatte seinen eigenen, nummerierten Platz. Männer und Frauen waren dabei strikt getrennt. Die Männer saßen im Erdgeschoss. Von ihren Gebetsbänken sind nur noch die Umrisse zu erkennen. Das Mobiliar wurde von den Nazis verbrannt. Oben, auf der Empore, saßen die Frauen.
Im Gebetsraum steht noch eine Sukka oder Laubhütte, die aber nicht immer dort zu sehen ist. In solchen Hütten feiern die Juden im Herbst das Sukkot- oder Laubhüttenfest. Diese Hütte der Familie Gideon hat sich erhalten, weil sie einem Bauern als Hühnerstall diente.
All diese Informationen stehen in der Broschüre „Das jüdische Baisingen", die der Autor Karlheinz Geppert komplett überarbeitet neu aufgelegt hat. "In der neuen Auflage war mir zum einen wichtig, nicht nur Baisingen zu behandeln, sondern auch Rottenburg", so Geppert. Denn Baisingen ist heute eine Rottenburger Teilgemeinde. "Rottenburg hat auch eine jüdische Geschichte, dort gibt es seit 2016 ein jüdisches Denkmal." Außerdem wurden neue Forschungsergebnisse mit aufgenommen.
Als wahrer Schatz für die Forschung erwies sich die Genisa, eine Art Archiv, oberhalb der Sternenkuppel. Hier hatte sich allerlei Schriftgut erhalten. "Es ist im Judentum so, dass Dinge, religiöse Gegenstände, insbesondere dort, wo der Name Jahwe auftaucht, dass man das nicht achtlos wegwirft sondern verwahrt", erklärt Hubert Dettling, Geschäftsführer des Fördervereins. "Nicht unbedingt versteckt, aber man hat es in die Synagoge gebracht, und dort hat man es eben dem Zeitlichen überlassen." Im kleinen Museum auf der Frauenempore sind diese Schätze heute zu sehen.
Zu Hochzeiten lebten in Baisingen 240 Juden, doch schon im 19. Jahrhundert verringerte sich die Zahl durch Auswanderungen. In der NS-Zeit endete das jüdische Leben. Mehr als 60 Juden wurden aus Baisingen deportiert. Die meisten von ihnen starben in den Konzentrationslagern. Nur wenige Überlebende kehrten zurück, darunter die Familie Kahn.
"Die Familie lebte hier über zehn Generationen bereits hier in Baisingen, und Harry Kahn hat auch seinen alten Beruf wieder aufgegriffen als Viehhändler", so Geppert. "Er lebte hier mit seiner Frau bis zu seinem Tod, und es ist schon eine Besonderheit, dass man tatsächlich zurückkommt nach diesen schrecklichen Ereignissen und hier wieder Fuß fasst."
Seit dem Tod von Harry Kahns Witwe 1980 leben in Baisingen keine Juden mehr. Die Synagoge aber diente als Scheune. Daran erinnert noch ein Scheunentor.
1988 kaufte die Stadt Rottenburg das Gebäude und richtete dort eine Gedenkstätte ein. Und diese kann besichtigt werden: Das ganze Jahr über Sonntags von 14 bis 16 Uhr. Außerhalb dieser Öffnungszeiten werden nach vorheriger Anmeldung auch Führungen für Gruppen angeboten. Eintritt und Führungen sind frei. Wer sich also ein Bild über die 400-jährige Geschichte der Baisinger Juden machen möchte, ist hier, in der Judengasse, herzlich willkommen.
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