Ausstellung über Grafeneck | Bildquelle: RTF.1

Tübingen/Grafeneck:

"Unwertes Leben" - Ausstellung erinnert an das Schicksal behinderter und geistig kranker Menschen

Stand: 10.11.14 09:21 Uhr

Heute vor 76 Jahren standen in Deutschland die Synagogen in Flammen - ein weithin sichtbares Zeichen für die im November 1938 beginnende Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten. Doch nicht nur sie wurden zusammengetreiben, in Konzentrationslagern interniert und getötet, auch behinderte und psychisch kranke Menschen waren den Nazis ein Dorn im Auge. Für sie wurden eigene "Vernichtungsanstalten" eingerichtet - eine davon ganz in der Nähe, in Grafeneck, im Kreis Reutlingen. Eine Ausstellung im Regierungspräsidium Tübingen erinnert jetzt an die Geschehnisse und die Opfer.

Theodor K. - 36 Jahre – Diagnose: Schizophrenie. Theodor K. - ein Name, ein Schicksal. 1940 kommt der junge Mann aus einer Klinik in Göppingen nach Grafeneck und wird ermordet. In der Sterbeurkunde steht "Lungentuperculose" als Todesursache.

Die Familie habe im Nachlass des jungen Mannes, der aus der Klinik in Göppingen an die Familie gegangen sei, einen kleinen Butterkeks gefunden, erzählt Thomas Stöckle, der Leiter der Gedenkstätte Grafeneck. Der Butterkeks sei wahrscheinlich völlig achtlos einfach mit eingeräumt worden, als man den Nachlass zusammen gestellt habe und auf diesem kleinen Butterkeks hätten dann die Eltern gesehen, dass der junge Mann noch das Wort "Mörder" eingeritzt hatte.

Grafeneck – eine kleine Einrichtung der Diakonie, die 1939 von den Nazis für "Reichszwecke" beschlagnahmt wurde. Das Grafeneck für den nahen Tod stand – viele der Opfer wußten es.

Die Busse seien meistens im Konvoi nach Grafeneck gekommen, also drei Busse zusammen, weiß Stöckle. Meistens seien es zwischen 50 und 75 Opfer gewesen. In Grafeneck habe man sie in Empfang genommen, sie seien entkleidet worden und man habe die Personalien festgestellt. Anschließend seien noch statistische Aufzeichnungen gemacht worden und dann habe aber sofort der Mord statt gefunden. Stöckle berichtet von einer Gaskammer in der die Opfer mit CO-Gas erstickt worden wären und einem Krematorium direkt neben an, in dem man die Leichen verbrannt habe.

Warum über 10.600 Menschen ihr Leben lassen mussten: weil das per Definition des Staates "unwert" war. Überlegungen zur Kategorisierung gab es seit Ende des 19. Jahrhunderts. Die schlechte wirtschaftliche Lage Deutschlands nach Ende des 1. Weltkriegs tat ihr Übriges.

Das habe dieses Gedankengut befördert, dass man Leben einteilen könne in wertvoll und unwert und abhängig gemacht werde das im Regelfall immer von der Frage der Produktivität, erklärt Stöckle. Man denke sehr stark in Rassenkategorien, wenn man an das dritte Reich denke, aber man habe das Leben in produktives und unproduktives Leben eingeteilt und daran würden sich die Begriffe "wert" und "unwert" orientieren.

Abseits der Einrichtungen wurde über die Opfer entschieden. Vor Ort fanden sich nur die "ausführenden Organe", wie der leitende Arzt Horst Schumann. Ein Verfahren gegen ihn, wegen seiner Taten in Grafeneck, wurde neunzehnhunderteinundsiebzig eingestellt, weil er für verhandlungsunfähig befunden worden war.

"Nur ein kleiner Teil der Täter wird nach dem Krieg vor Gericht gestellt und bestraft. Die meisten kehren in die Gesellschaft zurück, aus der sie gekommen sind." verrät die Ausstellung.

Zwischen 1945 bis 1949/50 hätte es eine relativ große Zahl von Zeitungsartikeln, von Reaktionen, von Umgang mit dieser Geschichte, von Thematisierung dieser Geschichte gegeben und auffällig sei dann, das ab 1949/50, das was man heute Schweigen, Verdrängen, Verweigern sich mit dieser Geschichte auseinander zu setzen nenne, eingesetzt habe, so Stöckle.

Mittlerweile ist das einer "Erinnerungskultur" gewichen – die in Gedenkstätten, wie der in Grafeneck gelebt wird. Opfer-, aber auch Täterschicksale "miterleben" – in der Ausstellung im Regierungspräsidium Tübingen ist das noch bis zum 20. November möglich.

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