Weltethosrede in der Aula in Tübingen | Bildquelle: RTF.1

Tübingen:

Ethik und Steuerrecht vereinbar? Weltethos-Rede von Dr. Paul Kirchhof

Stand: 02.11.14 20:45 Uhr

Ob Altkanzler Helmut Schmidt oder die Friedensnobelpreisträger Shirin Abadi und Desmond Tutu - sie alle waren schon in Tübingen. Denn dort wird in der Neuen Aula alljährlich die sogenannte "Weltethos-Rede" gehalten. Die beschäftigt sich traditionell mit drängenden ethischen oder weltpolitischen Fragen. Bei der 11.Auflage war am Freitag Abend der ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof zu Gast.

Wer zahlt schon gerne Steuern!? Ob nun Mehrwertssteuer, Erbschaftssteuer, Tabaksteuer, Hundesteuer oder Einkommenssteuer. Überall verdient der Staat mit. Doch warum müssen wir all diese Abgaben zahlen? Dieser Frage ist Verfassungs- und Steuerrechtler Paul Kirchhof bei seiner Welt-Ethos-Rede einleitend nachgegangen.

Der Staat hätte kein Staatsunternehmen. Er herrschte nicht über Löhne und Preise, aus denen er sich finanzierte, er hätte keine eigene ökonomische Finanzquelle, also müsse er sich finanzieren durch Teilhabe am Erfolg privaten Wirtschaftens. Und das nenne man Steuern (...) Das indivuduelle Einkommen sei auch die Leistung der Rechtsgemeinschaft, die ihm eine Infrastruktur anböte, damit er dieses Einkommen erzielen könne (...) Und dann sage diese Rechtsgemeinschaft, repräsentiert durch den Staat: wenn du diesen Vorteil nutzt zu deinem persönlichen Erfolg, dann müsstest du einen maßvollen Teil dieses Erfolges zur Finanzierung dieses Systems abgeben.

Doch spätestens seit dem Fall Uli Hoeneß ist das Thema Steuerhinterziehung präsenter denn je. Ein Prominenter, der deshalb ins Gefängnis muss und nicht mit einer Geldstrafe davonkommt. Ein seltener Fall in Deutschland. Trotzdem liegt es für Kirchhof in der Natur des Menschen Strategien zu entwickeln, möglichst wenig Steuern zu zahlen.

Das Steuerrecht stelle seinen Schlagbaum auf an der Autobahn, wo der Wirtschaftsverkehr stattfände. Der Bürger suchte die Nebenwege, um diesen Schlagbaum und damit die Maut zu vermeiden.

Kirchhoff nennt ein Beispiel für ein solches Steuerschlupfloch.

Eine Firma in Deutschland hätte eine Tochter im Ausland, eine Basisgesellschaft. Und verteilte ihren Gewinn, den sie in Deutschland erwirtschaftet hätte, unter den Bedingungen der Infrastruktur, durch Konzernumlagen und Verrechnungspreise an die Tochter. Das sei kein Problem, weil sie ja 100 Prozent beteiligt sei. Die einzige Funktion dieses Vertrages sei Steuern zu sparen.

Bis zu fünf Jahren Haft stehen in der Bundesrepublik auf die Straftat Steuerhinterziehung. Erst vor ein paar Tagen haben sich insgesamt 51 Länder auf ein Abkommen geeinigt, dass den Austausch von Daten über Auslandskonten vorsieht. Trotzdem nimmt der 71-jährige den Durchschnittsbürger aber in mancherlei Hinsicht auch in Schutz.

Wenn sie sich heute Abend mal ärgern wollten, nähmen Sie sich mal einen Text eines Einkommenssteuergesetzes, lesen Sie den mal und prüfen Sie, ob Sie wüssten, was Sie zu bezahlen hätten. Sie würden scheitern. Spätestens beim Paragraphen 2, Absatz 3. (...) Und dann würde fast immer eine Steueränderung am 31.12 im Bundesgesetzblatt verkündet. Inkrafttreten 1.1. Der Gesetzgeber unterstellte: man läse an Silvester Bundesgesetzblatt. Das sei ein Irrtum.

Der Steuerbetrug entspringe laut Kirchhof in den allermeisten Fällen aus dem Kalkül, es werde schon keiner was bemerken. Es gabe jedoch einen entscheidenden Unterschied zwischen Recht und Moral. Die Richter verurteilen und setzen das Strafmaß fest. Die Moralisten verurteilen und würden dabei oft selbst maßlos.

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