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Kobane:

Rettung für Kobane - Peshmerga-Truppen erreichen die hart umkämpfte Stadt

Stand: 18.04.15 09:57 Uhr

Peshmerga-Truppen haben zusammen mit schweren Waffen am späten Freitag Abend von der Türkei kommend die türkisch-syrische Grenze überquert. Das meldet die türkische Nachrichtenagentur Anadolou. Die von Islamisten belagerte Stadt ist von der Grenze aus in fünf Minuten zu erreichen. Die US-geführte Anti-IS-Koalition habe den Grenzübertritt der Peshmerga-Truppen unterstützt, in dem gleichzeitig Luftschläge gegen Stellungen der IS-Islamisten geflogen worden seien.

Peshmerga kamen in zwei Gruppen

Die Peshmerga-Truppen waren aufgeteilt in zwei Gruppen in der Türkei eingetroffen: Am vergangenen Mittwoch, dem 29.10.2014, war eine erste Abteilung mit dem Flugzeug auf dem türkischen GAP-Flughafen eingetroffen. Sie waren zunächst im Suruc-Distrikt in der südöstlich gelegenenen türkischen Provinz Sanliurfa stationiert worden.

Eine zweite Abteilung hatte den türkischen Suruc-Distrikt Türkei am späten Freitag Abend, dem 31.10.2014,  auf dem Landweg über den Yumurtalik-Grenzübergang  erreicht. In der Fahrzeugkolonne transportierte die Peshmerga auch die für den Kobane-Einsatz vorgesehenen schweren Waffen.

Durchbruch nach 6 Verhandlungsrunden zwischen Türkei und Peshmerga

Der kurdischen Nachrichtenagentur Rudaw zufolge habe es sechs Verhandlungsrunden zwischen der Peshmerga und der Türkei gebraucht, bis die entsprechende Vereinbarung über den Transit durch die Türkei geschlossen worden war.

Kobane wird - Stand Ende Oktober 2014 - seit 40 Tagen von islamistischen IS-Terroristen belagert und angegriffen.

Massaker an verbliebenen Zivilisten befürchtet

Die kurdisch-syrischen Verteidiger befürchten ein Massaker durch die US-Islamisten an der in Kobane verbliebenen Zivilbevölkerung. Bisher konnte Kobane nur mit leichten Waffen und durch Luftunterstützung der US-geführten Koalitionsstreitkräfte verteidigt werden.

Kurden verbitten sich politische Einmischung

Der Stellvertreter der kurdisch-syrischen PYG sagte, die Kurden in Syrien und im Irak seien in der Lage, ihre Vereinbarungen miteinander selber zu treffen.

Der türkischen Präsident Erdogan müsse nicht alles bestimmen. Erdogan hatte zuvor gemutmaßt, die kurdisch-syrische PYG lehne eine Hilfe durch die kurdisch-irakischen Peshmerga ab.

Kurdisch-Irakisches Regionalparlament billigt Barzanis Unterstützung

Rudaw zufolge wurde die Unterstützung durch die Peshmerga vom kurdisch-irakischen Präsidenten Barzani angeordnet und vom kurdisch-irakischen Kurdistan-Regional-Parlament" gebilligt.

In einem ersten Schritt wurden etwa 160 Peshmerga-Kämpfer nebst schweren Waffen nach Kobane verlegt. Die Soldaten stammen den Angaben zufolge aus der 1. und 2. Verteidigungs-Armee der Peshmerga.

Freie Syrische Armee schließt ebenfalls Abkommen mit Kurden in Syrien

Dem türkische Verteidigungsminister Cavusoglu zufolge ist auch zwischen der kurdisch-syrischen PYD und der oppositionellen Freien Syrischen Armee (FSA) ein Abkommen geschlossen worden.

Demnach sollen auch Truppen der FSA die Stadt Kobane zusammen mit kurdischen Kämpfern verteidigen. Die Türkei werde dem Aussenminister zufolge auch den FSA-Truppen den Transit nach Kobane ermöglichen.

Bruder des Präsidenten führt die Kobane-Einsatztruppe persönlich

Die kurdischen Peschmerga-Einheiten werden von Sihad Barzani, Bruder des Präsidenten des irakischen Kurdenstaates, persönlich angeführt. Dies meldete die kurdische Nachrichtenseite Rudaw.

Offensichtlich hat im Kobane-Konflikt die "Peschmerga-Lösung" für den türkischen Präsidenten Erdogan großen Charme:

Präsident Erdogan lehnt Kobane-Unterstützung durch PKK ab

Der türkische Präsident Erdogan hatte es zuvor abgelehnt, dass die Verteidiger in Kobane Unterstützung durch die kurdisch-türkische PKK erhalten.

Die PKK, die Kurden-Organisation in der Türkei, wird von Erdogan als Terrororganisation bezeichnet. Auch Deutschland und die USA haben die PKK als Terror-Organisation verboten.

Anti-IS-Koalition unterstützt Kobane-Verteidiger mit Luftangriffen auf IS

Kobane liegt in Syrien nahe der syrisch-türkischen Grenze und wird seit Ende September 2014 von islamistischen Kämpfern des sogenannten "IS" angegriffen und von kurdisch-syrischen PYG-Einheiten verteidigt. Die Verteidiger befürchten im Falle einer Eroberung durch die "IS" ein Massaker unter der verbliebenen Zivilbevölkerung.

Die Verteidiger werden durch eine Internationale Koaltionen unter Führung der USA und unter Teilnahme mehrerer arabischer Staaten durch Waffentransporte per Luft und durch Luftschläge gegen den "IS" unterstützt.

Die Türkei hatte sich bisher geweigert, die Verteidiger in Kobane direkt militärisch zu unterstützen.

Peschmerga bevorzugt

Erdogans Problem ist offensichtlich, dass die Kurden-Organisation PYG im syrischen Kobane von der kurdisch-türkischen PKK gegründet wurde. Offensichtlich will Erdogan vermeiden, direkt hinter der türkisch-syrischen Grenze einen PKK-orientierten, zukünftigen Kurdenstaat zu stärken, indem Waffenhilfe gewährt und die Grenze für PKK-Kämpfer geöffnet wird.

Anders als mit der kurdisch-türkischen PKK und der kurdisch-syrischen PYG unterhält die Türkei mit dem irakischen Peschmerga-Kurdenstaat KRG gute Beziehungen. Der irakische Kurdenstaat wurde nach dem Sturz Saddam Husseins als Teil der Nachkriegsordnung des Irak gegründet. Er ist teilweise autonom, aber Teil der Irakischen Republik.

Teilautonomer Kurdenstaat ist großer Erfolg der amerikanischen Irak-Intervention

Die Entstehung eines eigenen, teilautonomen Kurdenstaates im Irak nach dem Irak-Krieg wird als eine der größten positiven Folgen der amerikanischen Intervention im Irak angesehen.

Zuvor war der Anspruch der Kurden, deren Siedlungsgebiet aufgrund historischer und kolonialer Grenzziehung auf die drei Staaten Syrien, Türkei und Irak, und teils auch auf Iran, verteilt ist, auf einen eigenen Kurdenstaat über Jahrhunderte blutig verfolgt und unterdrückt worden.

In dieser verfahrenen Situation traten nun Peschmerga-Vertreter des irakischen Kurdenstaates KRG nach eigener Aussage an den Türkischen Präsidenten Erdogan mit dem Vorschlag heran, Soldaten und schweres Kampfgerät der Peschmerga nach Kobane zu verlegen. Dem stimmte Erdogan Ende Oktober zu.

Lösung hat Charme für Erdogan

Für Erdogan hat dieser Vorschlag offensichtlich in zweierlei Hinsicht Charme: Zum einen vermeidet er so, über die kurdisch-syrische PYG indirekt die von ihm bekämpfte kurdisch-türkischeTerrororganisation PKK zu stärken.

Zum anderen etabliert sich dadurch im Kurdengebiet auf syrischer Seite die kurdisch-irakische Peschmerga des KRG und könnte den Einfluss der PKK in einem dauerhaft befreiten syrischen Kurdengebiet zurückdrängen oder diesem zumindest die Waage halten und ein mögliches Machtmonopol der PKK in einem zukünftigen syrischen Kurdenstaat verhindern.

Kobane-Unterstützung auf höchster Peshmerga-Ebene angesiedelt

Wie hoch das Projekt einer militärischen Peschmerga-Unterstüzung für Koba im irakischen Kurdenstaat selbst angesiedelt ist, zeigt die Führungsstruktur der Peschmerga-Eingreiftruppe: Nach Verlautbarungen der Peschmerga wird die Kampfeinheit vom Bruder des Peschmerga-Präsidenten selbst geführt.

Der designierte Anführer der Peshmerga-Kobane-Einheiten und Präsidentenbruder, Sihad Barzani, ist Kommandeur der kurdisch-irakischen Artillerie-Brigade. Sein Bruder Massoud Barzani ist Präsident der Kurdischen Regionalregierung im Irak, KRG.

Das kurdische Nachrichtenportal Rudaw rechnet damit, dass die Peschmerga-Kampfeinheiten von derzeit 160 Soldaten mittelfristig auf über 1.000 Soldaten aufgestockt werden sollen.

Liste mit Namen aller beteiligten Soldaten und Liste aller schweren Waffen übermittelt

Rudaw zufolge sagte ein Offizier der Peshmerga-Einheit, man habe die besten neuen amerikanischen Waffen, Militärgerät und Bekleidung.

Nach Angaben der Kurdische Regionalregierung gegenüber Rudaw hat die Peshmerga gegenüber der Türkei und den USA die Namen aller für Kobane vorgesehenen Soldaten sowie aller mitgeführten schweren Waffen übermittelt.

Peshmerga-Verpflichtungen: Keine Abgabe von schweren Waffen, Rückzug nach festgelegtem Zeitraum

Peshmerga-Quellen zufolge habe es, so Rudaw, zudem mehrere verbindliche Zusagen gegenüber der Türkei und der USA gegeben:

Die Peshmerga habe sich demnach verpflichtet, an die kurdisch-syrischen Kämpfer keine schwere Waffen abzugeben. Ausserdem habe die Peshmerga sich dazu verpflichtet, sich nach einem vereinbarten Zeitraum wieder aus Kobane zurück zu ziehen.

Syrischer Kurdenführer Salih Muslim hat keine Vorbehalte gegen die Peschmerga

Einem Bericht von Rudaw zufolge hat der syrische Kurdenführer Salih Muslim am 28.Oktober 2014 die Behauptung des Türkischen Präsidenten zurückgewiesen, er habe Vorbehalte gegen die militärische Unterstützung durch die irakisch-kurdische Peschmerga.

Muslim, der Vizevorsitzender der größten syrisch-kurdischen Partei, der Democratic Union Party (PYD) ist, sagte demzufolge gegenüber CNN Türkei, er glaube nicht, dass die kurdisch-irakische Peshmerga Kobane von seinen kurdisch-syrischen Kämpfern übernehmen wolle. Erdogan wolle Verwirrung (meddling) schaffen.

IS versuchte, einen Kontrollturm zu errichten

Der Kommandeur des 4. Peshmerga-Bataillons, Bapir Sheikh Wasani, teilte Rudaw zufolge mit, dass es zu Kampfhandlungen zwischen Pesherga und "IS" gekommen sei, als die Islamisten versuchten, einen Wachturm zu errichten, der ihnen einen Blick über die kurdischen Linien ermöglicht hätte.

Die Peshmerga habe die strategisch wichtige Stadt Zumar von der IS zurückerobert. Die Stadt liegt an der strategisch wichtigen Straße, die das IS-Gebiet in Syrien mit der von IS besetzten Stadt Mossul verbindet. Mossul ist die größte von der IS gehaltenen Stadt im Irak.

Rudaw teilte erbefalls mit, dass in der kurdisch Stadt Erbil im Irak am 27.10.2014 das wöchentliche Treffen zwischen Vertretern des kurdischen Militärs und Vertretern der US-geführten Koalition stattgefunden habe. Dabei sei deren Anti-IS-Strategie besprochen worden.

Lexikon der beteiligten Akteure:

Kurden: Die kurdische Ethnie soll vom antiken Volk der Meder abstammen. Mit dem Zerfall des Osmanischen Reiches fand sich die kurdische Bevölkerung in vier verschiedenen Staaten - Türkei, Irak, Iran, Syrien - wieder. Der größte Anteil von rund 15 Millionen Menschen lebt in Türkisch-Anatolien. Weitere 8 Millionen Kurden leben im äußersten Westen Irans. Nach einem Bericht des kürzlich verstorbenen Peter-Schollatour leben mittlerweile auch mehrere Millionen Kurden in den türkischen großstädten Ankara und Istanbul.

Kobane: Kurdisch-syrische Stadt mit ehemals über 200.000 meist kurdischen Einwohnern nahe der Türkischen Grenze. Kobane wird - Stand 28.10.2014 - seit 40 Tagen von islamistischen "IS"-Kämpfern belagert. Die Einnahme von Kobane würde zwei weitläufige von der "IS" kontrollierte syrische Gebiete entlang der türkischen Grenze miteinander verbinden, und ist deshalb für die "IS" von hoher strategischer Bedeutung. Für die Anti-IS-Koalition ist Kobane nach Angaben von US-Militärs zwar nicht von militär-strategischer Bedeutung. Ein Sieg der kurdischen Einheiten gegen die "IS" im Kampf um Kobane würde aber das Ansehen der "IS" als bisher unbesiegt entscheiden schwächen. Zudem wird im Falle einer Einnahme von Kobane durch die "IS" ein Massaker an der noch verbliebenen Zivilibevölkerung befürchtet. Die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Kobane werden von der Kommandeurin Maissa Abdo (Kampfname Narine Afrine) angeführt.

Rojava: In den vergangenen Jahren haben sich laut CNN mehrere, offensichtlich drei, Mini-Kurdenstaaten auf nordsyrischem Gebiet etabliert. Kurdisch-syrische Offizielle bezeichnen diese drei Enklaven als "Rojava". Hauptstadt der kurdisch-syrischen Region Al-Dschasira ist Kamishli.

PKK: Kurdenorganisation in der Türkei. Die PKK wird von Deutschland, der Türkei und den USA als Terror-Organisation eingestuft. PKK-Führer Öcalan sitzt in türkischer Haft. In den letzten Jahren wurden Friedensverhandlungen zwischen dem inhaftierten Öcalan und der Türkei geführt.

KRG: Kurdische Regionalregierung im Irak. Im Zuge der US-amerikanischen Intervention im Irak und nach dem Sturz des sunnitischen irakischen Diktators Saddam Hussein wurde einem Teil des irakischen Kurdengebietes weitgehendste Autonomie zugestanden. Seither hat sich, gefördert auch durch den Ölreichtum der Autonomieregion, in der kurdischen Autonomieregion ein blühendes Staatswesen entwickelt. Nach dem Sturz Saddam Husseins war zu die Zuordnung bestimmter Regionen zum kurdischen Autonomiegebiet strittig: Die Milionenstadt Mossul wurde damals nicht der kurdischen Autonomieregion zugeschlagen und befindet sich heute in der Hand der sogenannten "IS". Die kurdische Stadt Kirkuk wurde damals ebenfalls nicht der kurdischen Autonomieregion zugeschlagen. Kirkuk wurde, nachdem die irakischen Truppen vor der IS geflohen waren, von den Peshmerga-Truppen der KGR besetzt. Präsident der KGR ist Massoud Barzani. Barzani repräsentiert eine der beiden einflussreichsten kurdisch-irakischen Organisationen, die bereits vor dem Sturz Saddam Husseins für ein autonomes kurdisches Gebiet im Irak eintraten.Vor der Schaffung des KRG hatten die Kurdenführer Barzani und Talebani mit ihren Parteien Demokratische Partei Kurdistans (KDP) und Patriotische Union Kurdistans (PUK) miteinander konkurriert.

PYD: Bei der "Democratic Union Party (PYD)" handelt es sich um eine der größten Kurden-Organisationen im kurdisch-syrischen Gebiet. Die PYD wurde mit Unterstützung oder von der PKK gegründet. Die PYD wird - als PKK-Schwesterorganisation - von der Türkei deshalb sehr misstrauisch betrachtet. Die Türkei versucht, eine Untstützung der PYD zu vermeiden, da sie offensichtlich befürchtet, dass damit indirekt auch die kurdisch-türkische PKK gestärkt werde. Präsidentin der PYD ist Asia Abdullah.

YPG: Streitkräfte des kurdisch-syrischen Rojava-Gebietes. Leiter des politischen Flügels der YPG ist Salih Muslim.

Anti-IS-Koalition: Eine Koalition mehrerer arabischer (Saudi-Arabien, Vereinigten Arabische Emirate, Bahrain, Katar (unterstützend), Jordanien,...) und westlicher Staaten (USA, Frankreich, Großbritannien, Kanada, Belgien, Dänemark, Australien,...) unterstützt unter Führung der USA den Kampf der irakischen und kurdisch-irakischen Einheiten durch Luftschläge. Nach Auskunft US-amerikanischer Militärs habe die "IS" seither ihre Strategie entscheidend ändern müssen: Sie könne nicht mehr offen und auch nicht mehr in großen Verbänden agieren.

"IS": Islamistische Terrororganisation. "IS" steht für "Islamistischen Staat". Die "IS" ist auch unter ihrem früheren Namen "ISIS - Islamischer Staat für Irak und Syrien" oder unter "ISIL -Islamischer Staat für den Irak und die Levante" bekannt. Islamische Organisationen bestreiten, dass die "IS" das Wort "islamisch" für sich vereinnahmen dürfe. Sie sei vielmehr "islamistisch".

FSA: Freie Syrische Armee. Vom Westen unterstützte, militärische syrische Opposition. Auf Bitten der YPG hat die FSA laut Rudaw insgesamt 200 Soldaten nach Kobane entsandt. Generalkommandeur der FSA-Streitkräfte in Kobane ist Abdul Jabbar al-Ageddi. Die FSA-Angebörige ereichten Kobane über syrisches Gebiet. Aus diesem Grund sei zahlenmässig zunächst keien größere Eingreiftruppe möglich gewesen. Die FSA-Einheiten seien mit einfachen Raketen, Kalaschnikos und RPGs - Raketengranaten mit Propellerantrieb ausgerüstet.

HADEP: Gemäßigte Kurdenpartei in der Türkei.

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