Deutsche Einheit  | Bildquelle: RTF.1

Deutschland :

30 Jahre Deutsche Einheit - Sind wir nach all der Zeit wirklich eine vereinte Nation?

Stand: 06.10.20 18:58 Uhr

Am heutigen Samstag steht ein besonderes Jubiläum an - 30 Jahre Deutsche Einheit. Und wir von RTF1 haben uns aus diesem Anlass, unter anderem mit dem Altbundespräsidenten, Joachim Gauck und dem ehemaligen Bundeswirtschaftsminister, Professor Helmut Haussmann, zum Gespräch getroffen und die beiden Experten zum Verhältnis zwischen Ost und West befragt.


Es ist ein Fest der Demokratie, ein Fest der Freiheit, über ein friedliches Wunder: in diesem Jahr feiern wir 30. Jahre Deutsche Einheit. Fast elftausend Tage, in denen wir Schritt für Schritt wieder das geworden sind, was wir immer sein wollten: eine vereinte Nation. Aber sind wir das nach 30 Jahren jetzt wirklich?

Studien zeigen, dass sich viele Menschen in Ostdeutschland immer noch persönlich zurückgesetzt und nicht angemessen wertgeschätzt fühlen.

„Die Menschen in Ostdeutschland haben das Gefühl, dass ihre Lebensleistung, die ja mindestens so hoch war unter dem anderen System wie unsere Leben, dass die zu wenig anerkannt, begriffen wird. Wir müssen auch ein bisschen historischer denken, etwas mehr Geduld haben. Aus Sicht der europäischen Nachbarländer ist die Wiedervereinigung sehr gut gelungen", erklärt der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Helmut Haussmann.

Dieses Ost-West-Gefälle, das sich teilweise auch in den Arbeitslöhnen abzeichnet, sorgt für Unzufriedenheit. Und die wiederum wirkt sich mitunter auch im Wahlverhalten aus, erklärt der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Haussmann.

„Es sind nicht die Extreme und es sind auch nicht Nazi-Leute, das sind enttäuschte Leute und um die muss geworben werden. Allerdings muss auch die bürgerliche Mitte zusammenhalten, damit nicht links außen und rechts außen uns praktisch regierungsunfähig macht", betont Haussmann weiter.

In der vergangenen Woche haben wir auch den ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck getroffen. Der Experte in Sachen Wiedervereinigung erklärt, dass man geduldig sein müsse.

„Da ist es natürlich so, dass der Osten Deutschlands eine kürzere Lernphase hatte was Demokratie betrifft und wir sehen das ganz deutlich, wenn wir Süd-West-Deutschland mit Nord-Ost-Deutschland vergleichen, dass je länger die Demokratie existiert, dass auch eine aktivere Zivilgesellschaft da ist. [...] Die Mehrheit der Ossis bejaht die Demokratie und den freiheitlichen Staat. Sie sitzen in den Gemeinderäten und in den Parlamenten in Ostdeutschland. Das ist nicht so, dass die Mehrheit da praktisch durchhängt. Die haben da wahnsinnige Lernprozesse hinter sich, weil diese freiheitliche und offene Gesellschaft fremd war", erklärt Gauck.

Diejenigen, die jetzt für populistische Parolen offen seien, müssen man eben wieder zurückgewinnen, so Gauck und erinnert gleichzeitig daran, dass solche Dinge auch bei uns schon geschehen sind.

„Und von hier aus, von Baden-Württemberg aus, ist es ganz gut sich mal an andere Zeiten zu erinnern, vor der Einheit. Da waren in diesem wunderschönen und hochentwickelten demokratischen Bundesland in zwei Legislaturperioden richtig rechtsextreme Parteien im Parlament in Stuttgart. So etwas gibt es. Solche Entwicklungsphasen gibt es. [...] Gott sei Dank, die jüngere Generation ist da weniger angefochten und da nähert sich das doch schneller an. Wir sind insgesamt auf einem guten Weg" betont der frühere Bundespräsident.

Die jüngere Generation, hier repräsentiert von 18 Schülerinnen und Schüler der Klasse 9d des Carlo-Schmid-Gymnasiums in Tübingen, hat sich in diesem Jahr zum ersten Mal ausführlich mit der deutsch-deutschen Teilung beschäftigt. In der Tübinger Innenstadt sind sie in Kleingruppen mit Menschen ins Gespräch gekommen – und stellten fest, dass die Menschen gerne über Erinnerungen und Eindrücke aus dieser Zeit mit ihnen sprachen.

Politischer Einsatz und aktives Mitgestalten – das ist auch für den Reutlinger Landrat Thomas Reumann ein wichtiges Anliegen.

„Wir erleben es jetzt in den USA und in Europa, dass Demokratie, so wie wir sie kennen ein Geschenk ist, das aber nicht automatisch immer so bleibt, wenn wir nicht etwas dafür tun. Und deshalb brauchen wir Menschen, die sich dafür einsetzen. Und deshalb die herzliche Bitte und Ermunterung: Es gibt so viele tolle junge Menschen, die sich für Politik interessieren, sich einbringen wollen, lasst uns alle gemeinsam dafür sorgen, dass sie die Lust nicht verlieren. [...] Damit sie an unserem gemeinsamen Deutschland, an unserer Zukunft mitarbeiten können", so der Landrat.

Auch wenn im Osten und Westen nach 30 Jahren noch nicht alles genau gleich ist – laut unseren Experten sind wir insgesamt auf einem guten Weg.

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