Reize und Informationen überfluten besonders die Smartphones: Das Datenvolumen, mit dem sich Nutzer über ständige Statusupdates in den sozialen Netzwerken versorgen, Online-Games spielen, aber auch permanent Nachrichten checken und E-Mails abrufen, hat sich in den vergangenen fünf Jahren von rund 1,7 Milliarden Gigabyte 2014 auf rund 18 Milliarden Gigabyte in diesem Jahr mehr als verzehnfacht. "Wir alle sind überinformiert", so Professor Schüppel. Die Infos seien zudem nicht vorgefiltert. Der Schweizer Ökonom und Schriftsteller Rolf Dobelli, Autor des Buchs "Die Kunst des digitalen Lebens", glaubt: 90 Prozent dessen, was wir online konsumieren, sind nutzlose Informationen ("Bullshit").
Sucht-Experte Professor Schüppel sieht die Sogkraft von Nachrichten-Plattformen, Online-Games und sozialen Netzwerken als Auslöser für das Suchtpotenzial. Es entstehe die Angst beim Nutzer, andere könnten schneller kommentieren oder reagieren. "Alles ist darauf ausgerichtet, dass sie etwas versäumen könnten oder ein Statusupdate verpassen", sagt er. "Viele Menschen glauben: Wenn ich es jetzt nicht anschaue, dann ist es weg." Es ist genau dieses Phänomen, das die Mediziner und Psychologen als "Fomo" beschreiben und das derzeit zentraler Forschungskern ist. Die Angst, etwas zu verpassen, gilt als treibende Kraft hinter der Nutzung sozialer Medien. Jeder Deutsche konsumiert, so schätzt Autor Dobelli, jeden Tag rund eine Stunde lang "Fomo-Häppchen". Das hat Suchtpotenzial: Wer von sozialen Medien abhängig ist, hat um ein um fast fünfmal höheres Risiko, an Depressionen zu erkranken, als Nicht-Süchtige.
Fomo hat die Kraft, Aktivitäten in unserem Gehirn zu verändern. Vereinfacht formuliert ist es der Botenstoff Dopamin, der bei sehr angenehmen Erlebnissen den Like-Knopf drückt. Die Flut an Informationen aus der virtuellen Welt führt dazu, dass sich das Hirn dann anpasst und zu schützen versucht: "Es vermindert die Zahl an Dopamin-Rezeptoren", so Professor Schüppel. Bleibt der Kick aus dem Netz dann einmal aus, entsteht ein doppelter Dopaminmangel: "Es fehlt die Flut und das bisschen aus dem realen Leben wirkt nicht ausreichend", weiß der Experte. Genau dieser Mechanismus ist das, den Mediziner Suchtdruck nennen. Wenn Betroffene dann zu wenig online sind, werden sie unruhig, fühlen klassische Entzugserscheinungen wie Leere, Verzweiflung und eine Art Abgeschnittensein vom Informationsstrom. "Fomo" führt auch dazu, dass Menschen vom sozialen Leben zunehmend isoliert sind.
Welche Wege führen aus der Abhängigkeit? Professor Schüppel glaubt, dass klassische Abstinenz-Strategien, also ein kompletter Verzicht, beim Thema Internet in unserer zunehmend digitalisierten Welt nicht funktionieren. Stattdessen rät er zum "digitalen Fasten": sich einerseits Freiräume zu schaffen, um in die "analoge Welt" einzutauchen, andererseits daran zu arbeiten, relevante Informationen von nutzlosen "Fomo-Häppchen" zu trennen.
"Ständige Erreichbarkeit war einmal ein Statussymbol, heute ist es ein Statussymbol, wenn Sie zwei Stunden nicht erreichbar sind." Internetsüchtige müssten in der Therapie wieder langsam an das analoge Leben mit echten Freundschaften, Sozialkontakten und Erlebnissen in der realen Welt herangeführt werden. Der beste Rat zur Prävention ist nach Professor Schüppels Worten, "fest im analogen Leben verwurzelt" zu bleiben. Aber auch er weiß: "Dafür müssen wir zunehmend Werbung machen."
"Die Veränderungen in der zunehmend digitalisierten Arbeitswelt und in einem zunehmend digitalisierten Privatleben nehmen auch uns in die Pflicht", sagt Friedrich Reiner, Geschäftsführer des Berufsförderungswerks (BFW) der Eckert Schulen, einer von rund 30 Einrichtungen dieser Art in Deutschland. Während einer zweijährigen beruflichen Rehabilitation lernen dort Menschen einen neuen Beruf und erhalten so die Chance, wieder am Arbeitsleben teilzunehmen. "Ein klar strukturierter Tagesablauf, intensive psychologische Betreuung und ein breitgefächertes Freizeitangebot, das Lust macht auf das analoge Leben", nennt Stefan Kirschweng, Leiter des Psychologischen Dienstes am BFW, als Eckpfeiler dieser Strategie am Campus der Eckert Schulen.
(obx)
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