Universität Tübingen: Neue Aula | Bildquelle: RTF.1

Tübingen :

Wir stammen von drei Ahnen-Populationen ab - Genetische Herkunft der Europäer entschlüsselt

Stand: 17.07.17 18:52 Uhr

Unter Leitung der Universität Tübingen haben internationale Forscher die Genome ursprünglicher Jäger und Sammler sowie früher Bauern mit denen heutiger Menschen verglichen. Unter anderem wurden die Gene eines 7.000 Jahre alten Stuttgarters untersucht. Die Spuren der Europäer führen zu Ahnen aus drei Populationen: Jäger und Sammler aus Westeuropa, Frühe Bauern aus dem Nahen Osten, und eine rätselhafte Nordeurasische Population mit Verbindungen zu den Ureinwohnern Amerikas. Die Jäger und Sammler aus Westeuropa hatten demnach dunkle Haut und blaue Augen, während die Bauern aus dem Nahen Osten hellhäutig und braunäugig waren.

Übergang zur bäuerlichen Lebensweise vor 7.000 Jahren

Der Beginn der Landwirtschaft und die Domestizierung wilder Tiere, die vor rund 11.000 Jahren im Nahen Osten ihren Anfang nahmen, hatten einen enormen Einfluss auf das Leben der Menschen. Jäger und Sammler wurden vielerorts von sesshaften Bauern abgelöst. Die Populationen wuchsen und schufen so die Voraussetzungen für das Entstehen größerer Städte und komplexer Gesellschaften. 

Die archäologischen Nachweise legen nahe, dass sich der Übergang zur bäuerlichen Lebensweise in Mitteleuropa vor rund 7.500 Jahren vollzog, gleichzeitig mit dem Auftreten der Linienbandkeramik, der ersten jungsteinzeitlichen Kultur in Europa.

In der Forschung wird seit langem diskutiert, ob dieser Wechsel durch die Masseneinwanderung von Menschen aus dem Nahen Osten zustande kam, die innovative Technologien und domestiziertes Vieh mit nach Europa brachten, oder ob die neuen Kulturtechniken von benachbarten Populationen übernommen wurden.

Untersuchungen durch ein internationales Forscherteam unter Leitung der Universität Tübingen

Ein internationales Forscherteam unter der Leitung der Universität Tübingen und der Harvard Medical School verfolgte nun anhand prähistorischer und moderner Genome, welchen genetischen Einflüssen die eingeborenen europäischen Jäger und Sammler ausgesetzt waren. Sie stießen auf drei Ahnengruppen, die bis heute am Genmix der Europäer beteiligt sind.

 

 Schädel einer ca.  7.000 Jahre alten Bäuerin Schädel einer ca. 7.000 Jahre alten Bäuerin

 

7.000 Jahre alter Stuttgarter untersucht

Die Forscher analysierten menschliche Genome von einem rund 7.000 Jahre alten frühen Bauern aus der Bandkeramik-Kultur in Stuttgart, einem etwa 8.000 Jahre alten Jäger von der Loschbour-Fundstelle in Luxemburg sowie sieben ebenfalls etwa 8.000 Jahre alten Jägern und Sammlern aus Motala in Schweden.

Für den Vergleich mit heutigen Menschen erstellte das Forscherteam genomweite Daten von etwa 2.400 Menschen, die weltweit aus rund 200 verschiedenen modernen Populationen stammen.

Drei statt zwei Ahnen-Gruppen war große Überraschung

Die Analyse zeigt, dass die genetischen Spuren heutiger Europäer auf drei – und nicht wie früher angenommen zwei – Stammgruppen zurückgehen:

 

 

Ausgrabung in Motala, SchwedenAusgrabung in Motala, Schweden

 

„Die Mischung aus drei Ahnenpopulationen war eine große Überraschung", sagt David Reich von der Harvard Medical School, einer der Forschungsleiter. „Wir hatten bereits früher eine alte genetische Verbindung zwischen heutigen Europäern und ursprünglichen Amerikanern gefunden", setzt Nick Patterson vom Broad Institute in Boston hinzu, „diese Komponente war erstaunlicherweise weder beim Jäger aus Luxemburg noch bei den ersten europäischen Bauern zu finden."

Dritte Gruppe kam erst spät nach Mitteleuropa

„Die dritte Gruppe erreichte Mitteleuropa erst nach den frühen Bauern", erklärt Johannes Krause von der Universität Tübingen, der auch Direktor am Max-Planck-Institut für Geschichte und Naturwissenschaften in Jena ist. „Wir sind noch nicht sicher, wann die nordeurasischen Gene nach Zentral-Europa kamen. Auf alle Fälle später als die ersten Bauern."

 

Der Schädel von Motala1Der Schädel von Motala1

 

Fast alle Europäer haben Ahnen aus allen drei Populationen

Auf der Grundlage der umfangreichen Daten von heutigen und früheren Menschen konnten die Forscher die Anteile früherer genetischer Komponenten bei heutigen Europäern berechnen. „Fast alle Europäer haben Ahnen aus allen drei Abstammungsgruppen“, sagt Losif Lazaridis von der Harvard Medical School.

Unterschiede gibt es bei den relativen Anteilen. Nordeuropäer tragen mehr Gene der Jäger und Sammler in sich – Menschen in Litauen bis zu 50 Prozent – und Südeuropäer mehr bäuerliche Ahnenanteile.“ Allerdings gibt er zu bedenken, dass auch die frühen Bauern selbst Jäger und Sammler zu ihren Ahnen zählten, sie seien keine reinen Nachfahren der ursprünglichen Einwanderer aus Nahost gewesen, die die Landwirtschaft in Europa einführten.

Wie sich die nordeurasischen Ahnen mit den Europäern mischten, bleibt eine offene Frage: „Dies ist überall in Europa der kleinste Anteil, der nie mehr als 20 Prozent ausmacht, aber wir haben ihn in fast jeder untersuchten europäischen Gruppe gefunden und auch in Populationen aus dem Kaukasus und dem Nahen Osten. In Westeurasien muss nach der Neolithischen Revolution, also dem Aufkommen neuer Wirtschaftsweisen wie Ackerbau und Viehzucht zu Beginn der Jungsteinzeit, ein tiefgehender Umbruch stattgefunden haben.”

 

Schädel des ungefähr 8.000 Jahre alten MannesSchädel des ungefähr 8.000 Jahre alten Mannes


 

 

Jäger und Sammler waren dunkelhäutig mit blauen Augen. Bauern waren hellhäutig und braunäugig.

Die Forscher analysierten auch Gene, von denen der Einfluss auf das Aussehen bekannt ist, und gehen davon aus, dass einige der Jäger und Sammler blaue Augen und eine dunkle Haut hatten, während die frühen Bauern hellhäutiger und eher braunäugig waren.

Ernährung war wohl reich an Stärke, aber ohne Milch

Sowohl die Jäger und Sammler als auch die frühen Bauern trugen eine hohe Anzahl an Kopien des Amylase-Gens in ihrem Genom, sodass anzunehmen ist, dass beide Populationen sich bereits an eine stärkereiche Ernährung angepasst hatten.

Dagegen konnte keiner der frühen Menschen Milchzucker verdauen, Milch gehörte daher wahrscheinlich noch nicht zu den gängigen Nahrungsmitteln.

Mit den Genomdaten konnten die Forscher ein vereinfachtes Modell der Populationsgeschichte der anatomisch modernen Menschen außerhalb von Afrika in den vergangengen 5.000 Jahren erstellen. „Wir beginnen jedoch erst, die komplexe genetische Verwandtschaft zu unseren Vorfahren zu verstehen. Wir brauchen mehr genetische Daten von früheren Menschen, nur so können wir die Fäden unserer prähistorischen Vergangenheit entwirren”, sagt Johannes Krause.

Weitere Informationen:

Die Wissenschaftler haben ihre Fortschungsergebnisse unter dem Titel "Ancient human genomes suggest three ancestral populations for present-day Europeans" in der renommierten wissenschaftlichen Fachzeitschrift "Nature" veröffentlicht. (doi:10.1038/nature13673).

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