Christian O. Erbe und Winfried kretschmann | Bildquelle: RTF.1

Reutlingen:

Kritik, aber auch Lob - Ministerpräsident Kretschmann beim Sommerempfang der IHK

Stand: 30.07.14 19:15 Uhr

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat gestern Abend als Festredner beim Sommerempfang der regionalen IHK die besondere Innovationskraft der Wirtschaft in der Region Neckar-Alb gelobt.

Kretschmann ging dabei dann auch auf Kritik an der grün-roten Regierungspolitik in Stuttgart ein, die zuvor der Reutlinger IHK-Präsident Christian O. Erbe in seiner Rede geäußert hatte. Überraschenderweise gab es von der Seite der Wirtschaft aber auch ungewöhnlich viel Lob.

Winfried Kretschmann auf dem Weg als Festredner zum traditionellen gemeinsamen Sommerempfang der IHK-Gremien von Reutlingen und Tübingen. Der erste deutsche grüne Ministerpräsident überhaupt repräsentiert als Kopf der grün-roten Koalition in Stuttgart nicht unbedingt jene politischen Kräfte, der die Mehrheit der Unternehmer gemeinhin vorbehaltlos gegenüberstehen. Allerdings – so Christian O -. Erbe, Präsident der IHK Neckar-Alb - gehe es der Wirtschaft grade nicht um parteipolitische Sympathiebekundungen. Politisch werde man nur, um fundamental wichtige wirtschaftliche Rahmenbedingungen als Sprachrohr zu vertreten.

In dieser Beziehung habe man sich von Grün-Rot anfangs zumeist als höchstens "toleriert",  aber nicht als "gehört" gefühlt. Das aber habe sich jetzt gebessert. Jetzt wisse man: Kretschmann nehme die Forderungen der Wirtschaft ernst. Trotz allen Lobes aber: fundamentale und - teils umstrittene Kern-Herausforderungen für Wirtschaft und Politik blieben. Völlig unumstritten zwischen beiden Seiten dabei: der demographische Wandel führt zum bedrohlichen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Rund 20 000 Fachkräftte - so Christian O. Erbe -  würden bis 2020 fehlen, davon 19 000 höherqualifizierte Facharbeiter und 1000 Hochschulabsolventen. Das entspreche einem Verhältnis von 19 zu 1  zu Lasten der dualen Ausbildung.

Einseitig und falsch sei es deshalb, dass Grün-Rot sich möglichst viele Abiturienten und Studenten zum Ziel setze. Stattdessen müsse man Schüler grade auch über Job-Chancen im dualen Bildungsweg aufklären. Kretschmann äußerte Verständnis, reklamierte aber auch Widerspruch: Die Anforderungen und Wünsche der Wirtschaft seien zwar wichtig. Klar sei aber auch: die Politik habe immer die Aufgabe, verschiedene Interessen zusammen zu bringen. Nichts könne man hier also erzwingen.

Kretschmann wehrt sich auch gegen die Vorwürfe, dass Grün-Rot - wie oft behauptet – die ungeliebten Berufsschulen zu Lasten der Gemeinschaftsschulen stellentechnisch heimlich austrockne. Man dürfe überzeugt sein, dass man um deren Wert wohl wisse. Auch deshalb, weil man weltweit um sie beneidet werde. 

Dass Bildung generell der wichtigste Rohstoff des Landes ist – darüber herrscht Eingkeit . Weitere Übereinstimmung gibt es auch bei flächendeckenden Ganztagsschulen und – bedingt - beim zweigliedrigen Schulsystem. Man wolle eben nicht - wie oft behauptet - ein Diktat  von oben, sondern eben, was sich  dann evolutionär entwickle, so Kretschmann. Sichergestellt werden müsse aber,  dass der Bildungshintergrund keine Rolle für das Fortkommen spiele. Die IHK kann wiederum mit den Gemeinschaftsschulen leben. Wichtig aber sei, dass die Qualität der Bildung nicht infrage gestellt werde, so Erbe.

Uneingeschränktes Lob dann für Grün-Rot, weil Stuttgart sich mit einem rund 1,7 Milliarden Euro Plus bis 2020 so gut wie vorher lange niemand mehr um Hochschulen, Wissenschaft und Forschung  kümmere. Zudem werde die Venetzung über Cluster und sonstige Netzwerke gut vorangetrieben.Hier will der Ministerpräsident naturgemäß nicht widersprechen. mit einem Anteil von 5,1 Prozent am Budget nehme das Land unter 98 europäischen Regionen den Spitzemplatz bei Forschungs- und Wissenschaftasförderung ein.

Diskussionen gibt es dann aber erwartungsgemäß rund um das Thema Verkehrsinfrastruktur auf Straße und Schiene. Hier fordert Erbe eine moderne Infraverkehrsstruktur ein. Grade die B 28 sei täglich hoffnungslos überlastet. Vierspurig brauche es den B27-Ausbau vom Zollernalbkreis bis nach Stuttgart, zudem einen Ausbau der B28neu - und ebenso den neuen Albaufstieg der B312. Ärgerlich sei, dass es hier nicht vorangehe; besonders, da die Einnahmen so gut sprudelten. Hier macht Kretschmann in seiner Erwiderung auf stetig steigende Ansprüche und Forderungen aufmerksam. Es gehe zudem nicht, dass man das Landesvermögen auf Verschleiß zu fahren. Es mache Sinn, jetzt Renovierung und Erhalt vor Neubau zu setzen. 

Ein weiterer Streitpunk: die Änderung des Paragraphen 102 der Gemeindeordnung, der der öffentlichen Hand mehr wirtschaftliche Betätigung ermöglicht. Man sei dagegen, so Erbe,  dass die Kommunen den privaten Unternhmen  Konkurrenz machen dürfen. Das stelle  öffentliche gegen private Mittel - und verzerre so den Wettbewerb.

Ein sensibler Punkt, der unter der Hand in vielen Stadtverwaltungen geradezu mit Entsetzen diskutiert wird: das neue, sehr restriktive Hochwasserschutzgesetz würge Bau-Investitionen ab, verhindere wirtschaftliches Wachstum und führe dadurch zu einer Art Enteignung von Grundstückbesitzern. Anwendungen mit Augenmaß und Ausnahmen – so die IHK-Forderung. Forderungen auf die der Ministerpräsident gestern zwischen den Zeilen vorsichtig ein mögliches Entgegenkommen bei den das Gesetz auslegenden Verwaltungsvorschriften signalisierte. Genaues dazu könne er abe noch nicht sagen, so Kretschmann. denn man sei darüber noch in der innerkoalitionären Abstimmung. Am Ende dann: freundlicher Applaus für den grünen Ministerpräsidenten. Dazu gabs noch eine kleine Orientierungshilfe : einen Kompass zur politischen Kurs-Bestimmung, mit integrierter Sonnenuhr.

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