NEWS - Buchstaben in quadratischem Rahmen vor bunten Kreisen | Bildquelle: Pixabay.com

Kurdistan:

Unabhängigkeitsreferendum in Kurdistan - Erste Zahlen: Über 90% stimmen für Unabhängigkeit Kurdistans

Stand: 27.09.17 10:23 Uhr

27.09.2017. Zu einem "fulminanten Sieg der Freiheit" gratuliert die kurdische Gemeinde Deutschland der Region Kurdistan. In einem Unabhängigkeitsreferendum hatten sich ersten Informationen zufolge über 90% der Teilnehmer für die Unabhängigkeit vom Irak ausgesprochen. Eine offizielle Bestätigung der Zahlen durch die Wahlkommission steht allerdings noch aus. Bislang verfügt Kurdistan über einen Autonomiestatus innerhalb des Irak. Derweil drohen der Irak, wie auch die Nachbarländer Türkei und Iran mit Konsequenzen bis hin zu militärischem Eingreifen und verhängen Sanktionen.

Der stellvertretende Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde Deutschland, Mehmet Tanriverdi, gratulierte "der gesamten Bevölkerung Kurdistans zu diesem fulminanten Sieg der Freiheit."

Das offizielle Ergebnis der Wahlkommission steht zwar noch aus. Ersten Informationen zufolge hat eine überwältigende Mehrheit der Kurden für die Unabhängigkeit vom Irak gestimmt. Die Wahlkommission muss das offizielle Ergebnis innerhalb von 72 Stunden nach Schließen der Wahllokale vorlegen, also bis zum 28. September 2017.

Der Pressesprecher der  kurdische Regionalregierung (KGR), Safeen Dizayee, warnte denn auch: "Alle Berichte, die nicht von der unabhängigen Wahl- und Referendumskommission (IHREG) ... veröffentlicht werden, entbehren jeder Grundlage.". Die derzeit bekannten Zahlen sickern offenbar über die politischen Parteien durch. 

"Das Unabhängigkeitsreferendum war ein wichtiger und richtiger Schritt in Richtung Freiheit und bessere Zukunft für die gesamte Bevölkerung Kurdistans", sagte der stellvertretende Vorsitzende der kurdischen Gemeinde in Deutschland,Tanriverdi in einem Pressestatement.

Tanriverdi kritisierte, dass der Westen mit Rücksicht auf die Türkei immer wieder den Zeitpunkt der Volksabstimmung in Frage gestellt habe. Auf seine Gegenfrage, wann denn der richtige Zeitpunkt sei, bekäme er von den Kritikern aber keine Antwort.

Das kurdische Volk habe, so Tanriverdi, nicht erst mit dem Zerfall des Osmanischen Reiches um seine Identität gekämpft. Doch spätestens seit diesem Zeitpunkt kämpfe es um die Unabhängigkeit in Einheit und in Freiheit.

Immer wieder habe man der Bevölkerung Kurdistans die Hoffnung gegeben, dass endlich Frieden und Freiheit auch ein Teil ihres Lebens sein können, doch immer wieder seien die Menschen schwer enttäuscht worden.

Die Kurden hätten, so Tanriverdi, als Verbündete internationaler Allianzen Saddam Hussein, Al-Qaida oder den IS bekämpft und dabei einen hohen Blutzoll gezahlt. In den vonn ihnen kontrollierten Regionen hätten die Kurden eine Atmosphäre des Miteinanders und der Toleranz auf der Basis der Menschenrechte geschaffen.

Der Zeitpunkt für das Unabhängigkeitsreferendum sei genau richtig, "denn nach all den Opfern und nach all dem Leid ist es endlich Zeit für Frieden und Freiheit."

Die Kurdische Gemeinde Deutschland freue sich über das Ergebnis. Sie fordert nun nach dem Referendum, eine offenere Auseinandersetzung seitens der Bundesregierung mit dem demokratischen Willen des kurdischen Volkes.

Von der kurdischen Regierung fordert die Kurdische Gemeinde Deutschland zugleich eine Stärkung der demokratischen Institutionen in Kurdistan. Denn, so Tanriverdi: "Unabhängigkeit und Freiheit können nur auf der Basis einer demokratischen und pluralistischen Kultur aufgebaut werden."

Indes hat die zentralirakische Regierung bekannt gegeben, dass man nach dem Referendum keine Gespräche mit Kurdistan über eine Unabhängigkeit führen werde.

Mit einer hohen Wahlbeteiligung von 72% war am 25. September 2017 das kurdische Unabhängigkeitsreferendum zu Ende gegangen. Die Nachbarländer Iran und Türkei hatten ebenso wie die irakische Zentralregierung in Bagdad Sanktionen und Strafmaßnahmen gegen das Unabhängigkeits-Referendum angekündigt. Iran soll seinen Luftraum auf Bitten der irakischen Zentralregierung für kurdische Flüge geschlossen haben.

Die Türkei soll die Ausstrahlung der kurdischen TV-Sender Kurdistan24 und Waar-TV auf dem Turksat-Satelliten beendet haben. Auch für den kurdischen TV-Sender Rudaw soll seitens der Türkischen Medienbehörde RTUK ein  Abschaltungsbeschluss vorliegen. Der kurdische Präsident Barzani verurteilte die Sanktionen. Währenddessen hat die Auszählung der Stimmzettel begonnen. Es wird mit einer hohen Zustimmung der kurdischen Bevölkerung zur Unabhängigkeit gerechnet.

Das berichtete das kurdische Nachrichtenportal Rudaw.net. Von über 4,5 Millionen Wahlberechtigten gaben 3,3 Millionen ihre Stimme ab. Wahlberechtigt waren dabei neben 4 Millionen Menschen in den Kurdengebieten auch knapp 500.000 Vertriebene in den Flüchtlingscamps und knapp 100.000 Auslandskurden. Kurdistans Premierminister, Nechirvan Barzani, gab in in einem Wahllokal in Erbil seine Stimme ab.

Im ölreichen Kirkuk, dessen Zuordnung zwischen der irakischen Zentralregierung und Kurdistan umstritten ist, hat das Referndum ebenfalls stattgefunden. Die Zentralregierung hatte zuvor den Gouverneur der Provinz, Najmaddin Karim, abgesetzt. Karim hatte das Referendum befürwortet.

In Kirkuk soll es zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein: 200 bis 250 Familien hätten das Gebiet auf Druck der Asayish-Miliz verlassen müssen. Den Vorwüfen zufolge seien sie nicht zur Teilnahme am Referendum berechtigt gewesen, oder hätten eine Teilnahme am Referendum verweigert.

Im Vorfeld des Unabhängigkeitsreferendums war ein Vermittlungsversuch der UN zwischen Kurdistan und der irakischen Zentralregierung gescheitert. Die irakische Zentralregierung hatte bereits im Vorfeld Sanktionen und Strafmaßnahmen gegen Kurdistan angekündigt, sollte das Unabhängigkeitsreferendum durchgeführt werden. Die Durchführung des Unabhängigkeitsreferendums war vom irakischen Bundesgerichtshof untersagt worden.

Zuvor hatte eine offizielle kurdische Delegation bei Verhandlungen in der irakischen Hauptstadt Bagdad Mitte August 2017 gegenüber Iraks Premierminister Haider al-Abadi ,sowie gegenüber amerikanischen, türkischen und iranischen Diplomaten eine Verschiebung des Referendums abgelehnt,

Im Vorfeld des Referendums kam es außerdem zu weiteren Treffen und Gesprächen: Irans Militärchef stattete der Türkei einen Besuch ab. Der türkische Geheimdienstchef kam zu Gesprächen ins kurdische Erbil.  Der türkische Ministerpräsident Erdogan und der irakische Premierminister al-Abadi flogen zu Gesprächen mit der UN sowie mit US-Präsident Trump in die USA.

Währenddessen hat die irakische Zentralregierung in Bagdad als Reaktion auf das Referendum die irakischen Flughäfen für Kurdistan-Reisende geschlossen. Zugleich verlangte Bagdad von Kurdistan die Übergabe der Verwaltung der kurdischen Flughäfen an irakische Bundesbehörden.

Kurdenpräsident Barzani hat die Sanktionen und Strafmaßnahmen gegen das kurdische Autonomiegebiet scharf verurteilt: Dabei handele es sich um eine ungerechtfertigte Kollektivstrafe gegen das kurdische Volk. Barzani sagte außerdem: "Seit 25 Jahren haben wir bewiesen, dass wir ein Faktor für Frieden, Wohlstand und friedliches Miteinander sind. Wir sind für niemanden eine Bedrohung".

Die irakische Zentralregierung fürchtet infolge des Unabhängigkeitsreferendums ein Auseinanderbrechen des Irak. Bislang sind die politischen Kräfte dort mühsam austariert zwischen Schiiten im Südirak, Sunniten im Mittelirak und Kurden im Nordirak. Zudem gibt es Streit zwischen Kurdistan und der Zentralregierung um die Zuordnung ölreicher Gebiete im Nordirak.

Während die irakische Zentralregierung die Einheit des Landes erhalten will, träumen Irans Machthaber von einem iranisch-schiitisch beherrschten Landkorridor vom Irak über Syrien und Libanons Hisbollah bis zum Mittelmeer. Zudem fürchten der Iran wie auch die Türkei, dass eine Unabhängigkeit der irakischen Kurden den Unabhängigkeits-Forderungen der Kurden Auftrieb geben könnte, die auf türkischem und iranischen Staatsgebiet leben.

Die kurdischen Gebiete im Nordirak hatten während und nach den Irak-Kriegen mit Unterstützung der USA einen Autonomiestatus innerhalb des Irak erlangt. In den Jahren vor der Invasion der islamistischen Terror-Organisation "IS" hatte sich im kurdischen Autonomie-Gebiet ein blühendes und wirtschaftlich erfolgreiches Gemeinwesen entwickelt.

Während der Anfangserfolge der islamistischen Terror-Organisation "IS" waren die kurdischen Peshmerga-Streitkräfte die einzige militärische Organisation, die den Angriffen der Terror-Organisation erfolgreichen Widerstand entgegensetzen konnte. Ein Waffenstillstandsangebot seitens des IS hatteen die kurdischen Peshmerga-Streitkräfte damals abgelehnt. Der "IS" hatte sich dadurch freie Hand bei der Eroberung des restlichen irakischen Territoriums erhofft.

Die Peshmerga wurden daraufhin von der US-geführten internationalen Koalition militärische unterstützt. Insbesondere Deutschland trug durch die unkomplizierte Lieferung von Milan-Panzerabwehrraketen, sowie durch die Ausbildung von Angehörigen der Peshmerga-Streitkräften in Deutschland wesentlich zum Erfolg im Kampf gegen den "IS" bei.

Nachdem die islamistische Terror-Organisation "IS" weite Teile des Irak erobert hatte, hat Kurdistan eine große Zahl an Flüchtlingen aufgenommen. Es sollen über eine Million Menschen sein. Die Kosten für die Versorgung der Flüchtlinge und für den Krieg gegen den "IS" hat Kurdistan in den vergangenen Jahren finanziell schwer belastet und die kurdische Wirtschaft in eine schwere Krise gestürzt. Zudem seien Haushaltsgelder, welche die irakische Zentralregierung an Kurdistan hätte überweisen müssen. ausgeblieben.

Für die Kurden rückt durch das Unabhängigkeitsreferendum indes zum ersten Mal in der Geschichte der Kurden ein eigener, unabhängiger Staat in greifbare Nähe. Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches war es den Kurden nicht gelungen, eine eigene Staatlichkeit zu erlangen. Stattdessen waren die Kurdengebiete dem Irak, dem Iran und der Türkei zugeschlagen worden.

Stand: 27.09.2017 - 10:19

WERBUNG:



Seitenanzeige: