Ernst-Reinhard Beck | Bildquelle: RTF.1

Reutlingen/Berlin:

"Euro nur als Wegmarke" : Ernst-Reinhard Beck erinnert sich an verstorbenen Bundeskanzler Kohl

Stand: 19.06.17 23:23 Uhr

Am vergangenen Freitag ist Altbundeskanzler Helmut Kohl gestorben. Seither reißen die Nachrufe und Würdigungen nicht ab - darunter auch von zahlreichen Weggefährten. Wer war Helmut Kohl, was hat ihn bewegt und politisch so erfolgreich gemacht? Und was können wir in Zeiten eines kriselnden Europas von ihm lernen? Wir haben über Kohl mit Ernst-Reinhard Beck, dem ehemaligen Reutlinger Bundestagsabgeordneten, und langjährigen politischen Weggefährten Kohls gesprochen. Der Euro, so Beck, sollte aus Kohls Sicht nur eine Zwischenstation sein. Kohls Ziel war "ein europäischer Bundesstaat". Dabei hielt es der verstorbene Alt-Bundeskanzler für unerlässlich, ein Ohr für die Sorgen und Nöte der kleineren EU-Staaten zu haben.


Seit dem Tod von Helmut Kohl am vergangenen Freitag reisst die Zahl der Meldungen, Berichte, Analysen uind Würdigungen über den Mann nicht ab, der als "Kanzler der Einheit" und ein zentraler Wegbereiter der europäischen Einigung längst in den Geschichtsbüchern steht.

Der ehemalige Reutlinger CDU Bundestagsabgeordnete Ernst-Reinhard Beck hat Helmut Kohl viele Jahre politisch und persönlich erlebt – so als Kreisvorsitzender der Reutlinger CDU von 1979 bis 1983 und später ab 2002 als Bundestagsabgeordneter und Verteidigungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion.

Becks Erinnerungen an den fast Zeit seines Lebens von der Linken und einer Mehrheit der Medien verlachten Politiker Kohl spiegeln bundesdeutsche Politikgeschichte. Beck selbst war 1968 in die CDU eingetreten. Er erlebte die CDU der Nach-Adenauer-Ärä, die zu einem "Kanzlerwahlverein" geworden war. Und er erlebte, wie der junge Kohl, der damals als "junger Wilder" galt, die CDU durchlüftete und radikal reformierte.  An die moderne Volks- und Mitgliederpartei, die die CDU heute ist, sei ohne Kohl nicht zu denken.

Im Gedächtnis ist Beck, der damals Kreisvorsitzender der Reutlinger CDU war, der politisch völlig polarisierte Bundestagswahlkampf 1980 geblieben, der den damaligen CSU-Vorsitzenden Strauß ins Kanzleramt bringen sollte. Kohl war damals auf dem Reutlinger Marktplatz mit Eiern beworfen worden.

Beck erinnert sich auch gut  an das Jahr 1989. Damals erlebte er Helmut Kohl im November an der Berliner Mauer. Und wie dieser später vor dem Schöneberger Rathaus gellend ausgepfiffen wurde.

Für große Teile der Linken und Linksintellektuellen, die Kohl als „Birne" und „den Dicken" verhöhnten, war der CDU-Politiker aus der Pfalz lange eine Hassfigur. Auch Medien wie der Spiegel oder die Süddeutsche  leisten  jetzt in den aktuellen Nachrufen bemerkenswerte Abbitten.

Für Beck ist die Sache klar: Kohls historische Leistung sei die Einheit gewesen. Da habe er zielstrebig und instinktsicher "die einmalige geschichtliche Chance" und "die Lücke" erkannt, "die offen war für die deutsche Wiedervereinigung". Fraglos gehöre Kohl zu den "großen politischen Gestalten im 20. Jahrhundert in Deutschland".

Viele hatten zu dieser Zeit die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung aufgegeben. Andere lehnten sie rundherum einfach ab; Günther Grass verstieg sich zu dem Satz, dass die Teilung "die gerechte Strafe für Auschwitz" sei .In der SPD hatten sich kurz zuvor die Forderungen gemehrt, die im Grundgesetze verankerte gemeinsame deutsche Staatsbürgerschaft abzuschaffen.

Oscar Lafontaine, der wenig später Kohl als Kanzlerkandidat unterliegen sollte, hatte zwei getrennte deutsche Staaten als Realität bezeichnet, der man ins Auge sehen müsse. Kohl, so Beck, habe indessen den Glauben, dass die Einheit kommen könnte, "nie aufgegeben".

Dann kam das Jahr 1989 mit dem Fall der Mauer. Der Regierende Berliner Bürgermeister Walter Momper, SPD, sprach davon, dass es um  "Wiederbegegnen" gehe, "nicht um Wiedervereinigung". Seitens der führenden Genossen stand nur Willy Brandt an Kohls Seite.

Ist die Wiedervereinigung Kohl in den Schoß gefallen, so wie das sehr lange viele abschätzig behaupteten? Beck glaubt das nicht. In der Politik gehe es darum, "dass man Dinge tut". Kohl habe gehandelt, als er seinen 10 Punkte-Plan zur deutschen Einheit präsentierte, von dem nicht einmal der Außenminister wusste.

Damit gab Kohl den Protesten und Hoffnungen in der DDR eine Richtung - zum Missfallen der britischen und englischen Staatschefs Thatcher und Mitterand. Denn diese wollten von Wiedervereinigung anfangs nichts wissen, trotz jahrzehntelanger Beteuerungen als westliche Bündnispartner .Dort ging die Angst von einem neuen deutschen Pan-Gemanismus um. Einzig im amerikanischen Präsident George Bush Senior habe Kohl einen Verbündeten gefunden. Da habe sich dann die transatlantische und amerikafreundliche Ausrichtung des Kanzlers ausgezahlt.

Iin dieser Situation habe sich ausgezahlt, dass als Historiker  "historisches Bewusstsein" gehab habe; und  Im Gepäck zudem  auch die persönlich-familiäre Erfahrung der "Geschichte zweier Weltkriege". Entscheidend aber sei dann gewesen, dass Kohl auch zum sowjetischen Präsidenten Gorbatschow ein Vertrauensverhältnis aufbauen konnte. Auch Beck verweist, wie viele andere, die ihn kannten, auf Kohls besondere Fähigkeit, emotionale, zwischenmenschliche und vertrauensvolle  Verbindungen zu anderen Staatsführern aufzubauen.

Diese Fähigkeit habe sich auch in Kohls Umgang mit den kleineren europäischen Staaten gezeigt. Deren Sorgen und Nöte habe er sich angehört und ernstgenommen.Aus Sicht von Beck macht das auch insgesamt den Erfolg der Kohlschen Europapolitik aus. Denn das kriselnde Europa der jetzigen Prägung  kam erst später

.Für Beck ist zudem klar: Kohl wollte weit über das Europa, das wir heute kennen, hinaus. Dieser habe als  "Leitbild" ein Europa gehabt, "das noch viel enger zusammenwachst". Kohls Europa-Vision  habe auf einen europäischen Bundesstaat abgezielt: "Für ihn", so Beck,  "war der Euro nur eine der wichtigen Wegmarken" auf dem Weg in diese Zukunft-

Das EU-Europa wird dem Mann, dem es als Erstem den Titel eines Ehrenbürgers zuerkannt hat, indessen mit dem ersten Europäischen Staatsakt in Straßburg die Ehre erweisen.

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