Häftlinge hinter Gitter | Bildquelle: RTF.1

Tübinger Studie:

Wenn der Regelbruch zur Regel wird - Kriminellen fallen Regelverstöße leichter

Stand: 16.03.19 23:49 Uhr

Was passiert in den Köpfen der Menschen, wenn sie Regeln brechen und warum sind manche Menschen echte Draufgänger, während andere die Regeln immer befolgen? Das haben die Psychologen Dr. Aiste Jusyte vom Forschungsnetzwerk LEAD an der Universität Tübingen und Dr. Roland Pfister von der Universität Würzburg mit weiteren Kollegen in einer Studie untersucht. Dabei haben sie herausgefunden, dass den Menschen, die sich in der Vergangenheit schon nicht an bestimmte Regeln gehalten haben, ein neuer Regelbruch scheinbar allgemein leichter fällt, als den Menschen, die die Regeln normalerweise befolgen.

Für die Studie wurden wegen Diebstahls-, Betrugs- oder Fälschungsdelikten inhaftierte Personen sowie eine nicht vorbestrafte Kontrollgruppe am Computer dazu aufgefordert, bewusst Regeln zu brechen. Die inhaftierten Betrüger waren dabei weitaus weniger zögerlich, wenn es darum ging, sich nicht an die Regeln zu halten, als die unbescholtene Kontrollgruppe. Die Ergebnisse wurden in der Zeitschrift Psychological Research veröffentlicht.
Die meisten Menschen befolgen grundsätzlich die Regeln und Normen einer Gesellschaft, dieses soziale Verhalten ist auch in der Tierwelt zu beobachten. Gleichzeitig neigen sie dazu, diese Regeln bei Gelegenheit zu brechen, zum Beispiel indem sie bei Rot die Straße überqueren. Frühere Studien haben gezeigt, dass auch leichte Regelverstöße nicht leichtfertig begangen werden, sondern Konflikte im Gehirn auslösen. Es wird eine bestimmte Entscheidung in Gang gesetzt, die sich in einem Zögern äußert. Dieses Zögern nutzten die Wissenschaftler, um herauszufinden, ob auch bei kriminellen Regelbrechern Konflikte im Gehirn entstehen.

An der Studie nahmen 21 Insassen aus den Justizvollzugsanstalten München und Heimsheim sowie eine Kontrollgruppe von 23 männlichen Personen teil. Die Studienteilnehmer mussten je nach Vorgabe entweder die Maus von einem Startpunkt zu einem Symbol auf der linken Bildschirmhälfte oder zu einem Symbol auf der rechten Bildschirmhälfte bewegen. In manchen Durchgängen wurden sie dazu aufgefordert, diese Zuordnungsregel zu brechen.
Anhand der Mausbewegungen konnten die Wissenschaftler dann feststellen, ob den Studienteilnehmern der Regelbruch schwer oder leicht fiel: je mehr „Umweg" in der Bewegung, desto mehr wurde die „regelhafte" Bewegung unterdrückt. Im Falle der nicht kriminellen Teilnehmer war der Weg zum Symbol bei einem Regelbruch tatsächlich deutlich länger als beim Befolgen der Regel, es zeigte sich eine regelrechte Auslenkung der Bewegung in Richtung der eigentlichen Regel. Bei den Inhaftierten dagegen waren die Wege zu den Symbolen in beiden Fällen gleich lang.
„Diese Ergebnisse bestätigen frühere Studien, die besagen, dass sich das Gehirn beim Überschreiten von Regeln normalerweise mehr anstrengt als beim Befolgen von Regeln", erklärt Aiste Jusyte, Erstautorin der Studie. „Die Regelbrecher dagegen schaffen es, diesen Konflikt nicht aufkommen zu lassen. Sie verhalten sich ohne zu zögern regelwidrig." Nun soll in weiteren Studien untersucht werden, ob fehlende Anstrengung beim Regelbruch beispielsweise auch die Grundlage für regelabweichendes Verhalten mit positiven Konsequenzen wie Zivilcourage ist oder dazu beiträgt, dass manche Menschen sehr kreativ sind, weil sie aus gewohnten Denkstrukturen ausbrechen. Des Weiteren soll eine aktuelle Studie zeigen, ob bereits Kinder und Jugendliche, denen es nicht gelingt, sich an Regeln zu halten, ähnliche Denkmuster aufweisen wie die erwachsenen Regelbrecher. „Gäbe es bereits bei Kindern Anzeichen für solche veränderten Denkprozesse, könnte man dafür ein therapeutisches Training entwickeln", so Jusyte.

Publikation: Jusyte, A., Pfister, R., Mayer, S.V., Schwarz, K.A., Wirth, R., Kunde, R., & Schönenberg, M. (2016). Smooth criminal: Convicted rule-breakers show reduced cognitive conflict during deliberate rule violations. Psychological Research. Advance online publication. DOI: 10.1007/s00426-016-0798-6; 
WERBUNG:



Seitenanzeige: