Rentier | Bildquelle: pixabay.com

Sibirien / Yamal-Halbinsel:

Anthrax-Ausbruch auf Yamal-Halbinsel: 1.500 Rentiere tot - 12-jähriger Bub gestorben. Nomaden werden vor Milzbrand-Seuche evakuiert

Stand: 17.07.17 15:52 Uhr

01.08.2016. Auf der nordwest-sibirischen Halbinsel Yamal ist eine Anthrax-Epidemie ausgebrochen. Medienberichten zufolge sind bislang 1.500 Rentiere am Milzbrand verendet. Mehrere dutzend Menschen sind möglicherweise infiziert und stehen unter Quarantäne. Ein 12-jähriger Bub ist an der Infektion gestorben. Russische Experten für Biologische Kampfmittel sind vor Ort. Nomaden werden evakuiert. Experten vermuten, dass die tödlichen Anthrax-Sporen durch den auftauenden Perma-Frost freigesetzt wurden.

Infizierter Tierkadaver nach Jahrzehnten aufgetaut?

Seit mehreren Jahrzehnten gab es einem Bericht der Siberian Times zufolge in der betroffenen Gegend keinen Anthrax-Ausbruch mehr. Die Anthrax-Bakterien sind auch unter dem Namen "Milzbrand-Bakterien" bekannt. Möglicherweise ist durch die ungewöhnliche Hitzewelle der letzten Wochen ein mit Anthrax-Sporen infizierter Tier-Kadaver aufgetaut, der jahrzehntelang im sibirischen Permafrost-Boden eingefroren war.

Rentiere, die auf einer Weide über der damaligen Begräbnisstätte gegrast haben, könnten sich so infiziert haben, meldet der Barent Observer. Anthrax-Bakterien wandeln sich unter Frost zu Sporen um und können so lange Zeiträume in der Kälte überleben. Die Schätzungen gehen von einer Überlebensfähigkeit von mehreren Jahrzehnten bis zu mehreren Jahrhunderten oder auch von Jahrtausenden aus.

Hot-Spot der jahreszeitlichen Nomaden-Wanderungen

In der Yamal-Region leben heute noch viele Nomaden in ihrer traditionellen Lebensweise und wandern als Hirtennomaden und Rentierzüchter mit ihren Rentier-Herden über weite Strecken von den Sommerweiden zu den Winterweiden. Das jetzt vom Milzbrand-Ausbruch betroffene Gebiet ist eine Durchgangsstation für die Nomaden der Yamal-Halbinsel, die mit ihren Rentier-Herden zu unterschiedlichen Zeiten im Jahr auf ihren Wanderungen dort durchziehen. Aus diesem Grund ist die Gefahr groß. dass die Anthrax-Erreger von dort in andere Gebiete und auch in Städte verschleppt werden, und sich die Epidemie ausbreitet.

Rund 40 Personen von rund 15 betroffenen Familien wurden unter Quarantäne und Beobachtung gestellt. Bislang ist ein 12-jähriger Junge gestorben - mit 90% iger Wahrscheinlichkeit an einer Anthrax-Infektion. Einer Meldung der russischen Nachrichtenagentur TASS zufolge ist diese Form der gastrointestinalen Anthrax-Infektion (Darm-Milzbrand)  sehr schwierig zu diagnostizieren

Von der Schwäbischen Alb nach Spanien: Herdenwanderungen über weite Strecken gab es auch in Europa

Auch in Europa waren bis ins 19. Jahrhundert die Wanderungen mit Tierherden über Ländergrenzen hinweg Tradition. Die Viehtriebe über weite Strecken von den Sommerweiden zu den Winterweiden wird als Transhumanz bezeichnet. So wurden beispielsweise Schafherden im jahreszeitlichen Wechsel von der Schwäbischen Alb bis nach Frankreich und Spanien getrieben.

Nomaden wurden samt Zelten mit Hubschraubern ausgeflogen

Die sibirischen Behörden haben die Nomadenfamilien der betroffenen Region nebst ihren zerlegten Zelten mit Hubschraubern aus dem betroffenen Gebiet in eine rund 60 km entfernte Gegend evakuiert. Spezialisten-Teams des Militärs für Biologische Kampfmittel wurden einer Meldung von Outbreak News und von defenceblog.com zufolge in die Region entsandt. Diese sollen die Region, und insbesondere die bislang 1.500 Rentier-Kadaver auf eine Anthrax-Durchseuchung hin untersuchen, die Kadaver beseitigen und mögliche Ansteckungsquellen identifizieren und isolieren.

Der Gouverneur Dmitry Kobylkin hat für die betroffene Region den Notstand erklärt, meldet der russische TV-Sender RT. Mittlerweile seien alle Rentiere der Region geimpft worden, und die Impfaktion werde auf andere Tierarten ausgeweitet.

Eismumien werden grundästzlich auf Anthrax-Erreger untersucht

Unter sibirischen Wissenschaftlern gehört es zur standardmäßigen Vorgehensweise, im auftauenden Permafrost gefundene Eismumien zunächst auf eine mögliche Anthax-Infektion hin zu untersuchen. Der auftauende Permafrost gab in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten unter anderem die jahrtausende alten Eismumien von Mammut, Bison, Wollnashörnern, Pferden, Hunden und Höhlenlöwen frei.

So wurden auch die vor einigen Monaten als Eis-Mumien gefundenen Höhlenlöwen-Babies zunächst auf eine Anthrax-Infektion hin getestet, bevor die Wissenschaftler weitere Untersuchungen an den Funden vornahmen. Bei dem damaligen Senationsfund wurden allerdings keine Anthrax-Sporen entdeckt.

Jahrtausendealte, unbekannte Viren und Bakterien schlummern im Permafrost

Wissenschaftler warnen seit mehreren Jahren davor, dass der durch die Klima-Erwärmung auftauende Permarost-Boden unbekannte Viren und Bakterien freisetzen könnte, die seit tausenden von Jahren im Permafrost konserviert worden sind.

In den vergangenen Jahren ist es Wissenschaftlern auch gelungen, ein - wahrscheinlich seit der letzten Eiszeit  vor 10.000 Jahren im Permafrost konserviertes - Riesenvirus aus dem auftauenden Permafrost zu isolieren und es im Labor wieder zum Leben zu erwecken.

Auf einer Pressekonferenz stellten sich am 28. Juli 2016 die Chefin  der russischen Gesundheitsbehörde, Anna Popova, und der Gouverneur des betroffenen Bezirks Jamal-Nenzen, Dmitry Kobylkin, den Fragen der Journalisten: 

"Heute ist der Fokus lokalisiert. Alle Aktivitäten in diesem Zeitraum wurden organisiert , und in vollem Umfang durchgeführt. Alle administrativen Dokumente werden in einer angemessenen Weise veröffentlicht . Alle notwendige medizinische Unterstützung und Hilfe für Menschen und Tiere wurde organisiert", sagte Anna Popova einer Pressemittelung zufolge.

"Wir müssen auf eine Rückkehr des Milzbrand-Erregers vorbereitet sein"

"Die Situation ist sicherlich außergewöhnlich: Ein Gebiet, in dem es seit 1941 keinen Präzedenzfall mit Milzbrand weder bei Menschen noch bei Tieren gab, und die seit 1968 als frei von Infektionen eingestuft wurde", sagte die Leiterin der Seuchenbehörde Rospotrebnadzor.  Man müsse in Betracht ziehen, dass die Infektion heimtückisch ist: "Diese Situation zeigt einmal mehr , dass wir für alle Manifestationen der Infektion und auch ihrer Rückkehr vorbereitet werden müssen."

Dies sei nicht das erste Mal, dass der Milzbrand-Erreger in Russlland zurückkehre. Es werde mit allen methodischen Ansätzen gearbeitet. Alle notwendigen Maßnahmen würden im notwendigen Umfang umgesetzt: Eine ausreichende Versorgung mit Impfstoff, mit Antibiotika, und auch die präventive Durchführung aller erforderlichen Vorsorgemaßnahmen.

In naher Zukunft müsse auch der Wiederaufbau der betrofffenen Gebiete begonnen und organisiert werden. Dazu zähle die Beseitigung der Tierkadaver und die Desinfektion des Gebietes: "Wir überwachen das sorgfältig [ ... ]", sagte Anna Popova.

"Heute ist die Situation unter Kontrolle"

"Heute ist die Situation unter Kontrolle. Alle Maßnahmen, um das Risiko zu minimieren, wurden heute in Angriff genommen. Es bestehe bisher kein  Risiko für die Bevölkerung der Russischen Föderation oder benachbarte Regionen", sagte Anna Popova.

Sie wies auch auf die Tatsache hin, "dass heutzutage auch die Haltung der Bevölkerung zu allen Aktivitäten sehr wichtig ist". Unter den Menschen müsse es eine "vollständige Akzeptanz aller Empfehlungen" geben, und diese müssten strikt umgesetzt werden: "Wir brauchen Menschen, um für medizinische Untersuchungen und medizinische Betreuung vorbereitet zu sein, und um vorbeugende Impfungen durchzuführen.". Jede Empfehlung der Gesundheitsberufe sei dazu da, "die Risiken nicht nur für den Einzelnen zu minimieren , sondern auch für seine Umgebung " , betonte Anna Popova.

Warenlieferung auch nach Deutschland

Aus der Region wird auch Ware ins Ausland, so auch nach Deutschland importiert. Einem Bericht der Siberian Times zufolge bestünde für die Abnehmer der Ware allerdings keine Gefahr - die Sicherheitsstandards seien sehr hoch.

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