Die heute von Greenpeace Niederlande veröffentlichten TTIP-Texte belegen offenbar, dass die US-Seite Mechanismen vorschlägt, um etwa auch die Kennzeichnung von Lebensmitteln oder Regeln zu Erneuerbaren Energien als Handelshemmnis einzustufen. Im Kapitel zur regulatorischen Kooperation fordern die USA demnach, dass Regularien, die den Handel hemmen, auch nachträglich zurück genommen werden dürfen.
Es ist das erste Mal, dass große Teile der bislang geheimen US-amerikanischen TTIP-Positionen öffentlich werden. "Bei den Verhandlungen soll hinter verschlossenen Türen ein mächtiger Rammbock gezimmert werden, der auch den fest verankerten Schutz für Umwelt und Verbraucher wieder aus dem Weg räumen kann. Dieses Geheimabkommen muss gestoppt werden", fordert Greenpeace-Handelsexperte Jürgen Knirsch.
Die USA sähen etwa im europäischen Verfahren zur Zulassung von Chemikalien (REACH) ein Handelshemmnis. Würde die US-Position in der jetzigen Form angenommen, könnten Maßnahmen zur Umsetzung von REACH auch rückwirkend durch TTIP ausgehebelt werden. Umweltschützer hatten jahrelang für REACH gekämpft. Das Verfahren ist 2007 in Kraft getreten und hat die Zulassung von mehreren Tausend gefährlichen Chemikalien verhindert.
Greenpeace-Aktivisten fordern: "Demokratie braucht Transparenz"
In der Nacht zum Montag haben Greenpeace-Aktivisten von der Bundesregierung mehr Transparenz in den TTIP-Verhandlungen gefordert. Aus Protest gegen die undemokratische Geheimhaltung projizierten die Umweltschützer Teile des bislang geheimen Verhandlungstexts auf den Reichstag. "Demokratie braucht Transparenz", forderten die Aktivisten mit Leuchtschrift auf dem Giebel des Gebäudes.
In unmittelbarer Nähe zum Reichstag, am Brandenburger Tor, stellten Greenpeace-Aktivisten am Vormittag einen gläsernen Leseraum auf, in dem die nun veröffentlichten Verhandlungstexte für jedermann einsehbar sind. "Dieser Vertrag geht jeden von uns an. Jeder muss nachlesen können, was uns mit TTIP drohen würde", so Knirsch. "Hinterzimmerdeals wie TTIP passen nicht zu Demokratien. Die Verhandlungen müssen gestoppt und eine offene, transparente Diskussion begonnen werden."
Dass die vertraulichen Verhandlungsdokumente zu TTIP ausgerechnet jetzt geleakt werden, hält der Verband der Chemischen Industrie (VCI) nicht für Zufall. Denn Kanzlerin Merkel und Präsident Obama haben vor einer Woche ein deutliches Zeichen für TTIP gesetzt und erklärt, die Verhandlungen bis Ende des Jahres zum Abschluss bringen zu wollen. "In der Debatte um TTIP wird mit harten Bandagen gekämpft. Um das Misstrauen der Bevölkerung gegen TTIP zu schüren, scheuen einzelne Personen offensichtlich nicht davor zurück, durch die Veröffentlichung vertraulicher Dokumente das in sie gesetzte Vertrauen zu missbrauchen. Mit politisch fairen Spielregeln hat das nichts zu tun", erklärte VCI-Hauptgeschäftsführer Utz Tillmann.
Tillmann ordnete auch die Bedeutung der veröffentlichten Dokumente ein: "In handelspolitischen Verhandlungen werden zum Teil Forderungen gestellt, die die andere Seite niemals akzeptieren kann. Maximalforderungen zu stellen, ist in solchen Verhandlungen ein völlig übliches Vorgehen." In der aufgeregten Debatte werde aber suggeriert, dass Europa "einknicken" und europäische Werte aufgeben wolle. "Verschwiegen wird, dass Europa bestimmte Grundprinzipien, wie zum Beispiel das Vorsorgeprinzip, niemals aufgeben kann. Denn sonst könnten und würden das Europäische Parlament und der Ministerrat TTIP niemals zustimmen", erklärte Tillmann. Der Rat habe in seinem Verhandlungsmandat von Anfang an deutlich gemacht, dass die EU an ihren Schutzstandards festhalte. Es sei unlauter, so Tillmann, die Verhandlungstexte zu nutzen, um Ängste der Bevölkerung zu schüren und TTIP zu verhindern. Bei dem vorliegenden Text handele es sich lediglich um die Verhandlungsposition der USA, nicht um den endgültigen Vertragstext.
Beim derzeitigen Stand der Verhandlungen sind Maximalforderungen ein verhandlungstaktisches Mittel, um ein gutes Ergebnis zu erzielen. Es sei auch nicht überraschend, dass die Amerikaner TTIP nutzen wollen, um einen besseren Marktzugang für ihre Agrarprodukte zu erhalten. Zumal es aus Sicht der Amerikaner keine umwelt- oder verbraucherschutzpolitischen Gründe für Importbeschränkungen der EU im Agrarbereich gebe. Auch Europa verlange von den USA viel: Kompletten Zugang zum öffentlichen Auftragswesen, vollen Schutz der europäischen Ursprungsbezeichnungen wie Camembert, Champagner oder Schwarzwälder Schinken, Zugang zu Energie und zum Automarkt.
"TTIP ist eine einmalige historische Chance für die EU. Wenn Europa die Globalisierung mit seinen Werten mitgestalten will, brauchen wir TTIP. Davon profitieren Unternehmen, Beschäftigte und Verbraucher, " sagte Utz Tillmann.
"Dass auf beiden Seiten des Atlantiks natürlich auch unterschiedliche wirtschaftliche Interessen bestehen, ist seit langem bekannt. Die neuen Veröffentlichungen durch Greenpeace enthalten inhaltlich nichts Neues und sind reine Angstmacherei", kommentiert der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Michael Fuchs. "Greenpeace und andere NG0s sollten sich gelegentlich fragen lassen, ob ihr gebetsmühlenartiger Widerstand gegen TTIP nicht selbst ein fragwürdiges Geschäftsmodell ist. Die TTIP-Verhandlungen zeigen jedenfalls sehr viel mehr Transparenz als das Geschäftsmodell vieler Nichtregierungsorganisationen."Fuchs weiter. "Die Nichtregierungsorganisationen denken offenbar, dass Europa alle US-Wünsche eins zu eins übernehmen wird. Das ist aber nicht der Fall. Die EU lässt sich nicht über den Tisch ziehen."
Fakt ist laut dem stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Michael Fuchs: Niemand werde mehr von einem weiter wachsenden transatlantischen Freihandel und gegenseitigen Investitionen profitieren als Deutschland. "Deutschland hatte im Jahr 2015 einen bilateralen Handelsbilanzüberschuss gegenüber den USA in Höhe von 55 Milliarden Euro. Die USA sind heute unser wichtigster Handels- und Investitionspartner. Dass dies so bleibt, ist kein Selbstläufer. Die wirtschaftlichen Gewichte in der Welt verschieben sich zurzeit Richtung Asien." Deshalb sei es so wichtig, die Wirtschaftsbeziehungen über den Atlantik hinweg weiter zu stärken und internationale Standards mit hohem Verbraucherschutzniveau auch international durchzusetzen. Dieses Ziel lasse sich nur mit TTIP wirksam erreichen.
Internationaler Handel sei aber keine Einbahnstraße. "Es ist legitim, wenn beide Seiten, EU und USA, ihre Interessen im Verhandlungsprozess offensiv formulieren. Verhandlungspositionen sind bekanntlich keine Verhandlungsergebnisse!", so Fuchs.
Die EU und insbesondere Deutschland hätten von Anfang an klar gemacht, dass europäische und deutsche Verbraucherschutz- und Qualitätsstandards durch TTIP nicht abgesenkt werden dürften. Die US-Seite habe für ihre Standards übrigens dieselbe Verhandlungsposition eingenommen.
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