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Wissenschaftliche Sensation:

Von Einstein vorhergesagte Gravitationswellen entdeckt - Detektoren sollen Universum abhören

Stand: 29.04.21 08:10 Uhr

Zum ersten Mal haben Wissenschaftler Kräuselungen der Raumzeit, sogenannte Gravitationswellen, beobachtet, die - ausgelöst von einem Großereignis im fernen Universum - die Erde erreichten. Diese Beobachtung bestätigt eine wichtige Vorhersage der von Albert Einstein im Jahr 1915 formulierten Allgemeinen Relativitätstheorie. Sie öffnet gleichzeitig ein vollkommen neues Fenster zum Kosmos.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Albert Einstein Instituts (AEI) in Hannover haben einen entscheidenden Beitrag zu einer der wichtigsten Entdeckungen des Jahrhunderts geleistet: dem erstmaligen Nachweis von Gravitationswellen.

„Das ist eine wissenschaftliche Weltsensation – möglich gemacht durch Spitzenforschung made in Niedersachsen", gratulierte die niedersächsische Wissenschaftsministerin Gabriele Heinen-Kljajić anlässlich der Präsentation der Entdeckung im AEI. „Ohne die am Albert Einstein Institut entwickelte Technologie und Datenanalyse wäre diese Entdeckung nicht möglich gewesen"

Gravitationswellen tragen Information über ihre turbulente Entstehung und das Wesen der Gravitation. Sie sind auf keine andere Weise zugänglich. Physiker haben festgestellt, dass die beobachteten Gravitationswellen während des letzten Sekundenbruchteils der Verschmelzung von zwei schwarzen Löchern entstanden. Dabei entstand ein einzelnes, massereicheres, rotierendes schwarzes Loch. Diese Kollision von zwei schwarzen Löchern war zuvor vorhergesagt, aber noch nie beobachtet worden.


Info: Gravitationswellen

Gravitationswellen entstehen, wenn Sterne explodieren oder schwarze Löcher verschmelzen. Es gibt sie seit der Geburt des Universums. Sie breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit im All aus, vergleichbar mit Wellen, die entstehen, wenn ein Stein ins Wasser fällt. Gravitationswellen dehnen und stauchen den Raum. Die Deformationen sind allerdings extrem klein und für Menschen nicht wahrnehmbar. Albert Einstein hat die Existenz von Gravitationswellen schon vor 100 Jahren vorausgesagt - in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie. Wegen der Schwäche der Signale glaubte er selbst nicht daran, dass man die Wellen jemals wird messen können. Forscherinnen und Forscher in aller Welt versuchen seit Jahrzehnten, Gravitationswellen nachzuweisen. Sie haben dazu ständig ihre Instrumente geschärft. Der Gravitationswellendetektor GEO600 des AEI ist ein solches Instrument.


Was bedeutet der Nachweis von Gravitationswellen für die Astrophysik?

Mit Gravitationswellen lässt sich unser Bild vom Universum und dessen Entwicklung vervollständigen. Mit ihnen wird uns ein neuer Sinn gegeben: Durch Gravitationswellen können wir das Universum erstmals hören. Der Nachweis markiert den Beginn einer völlig neuen Astronomie, die künftig auch im Weltall betrieben werden soll (LISA Pathfinder Mission). Ziel ist es, Detektoren im All zu schaffen, mit deren Hilfe das gesamte Universum abgehört werden kann.

Gravitationswellen sind eine wichtige Vorhersage von Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie. Danach erzeugen beschleunigte Bewegungen großer Massen Kräuselungen in der Raumzeit, die sich noch in großer Entfernung als winzige Abstandsänderungen zwischen Objekten nachweisen lassen. Doch selbst Gravitationswellen, die von astrophysikalischen Quellen – wie Sternexplosionen oder verschmelzenden schwarzen Löchern – erzeugt werden, verändern die Länge einer einen Kilometer langen Messstrecke nur um den Tausendstel Durchmesser eines Protons (10-18 Meter). Erst jetzt haben die Detektoren die erforderliche Empfindlichkeit erreicht, um Gravitationswellen zu messen. Die Beobachtung des bislang dunklen „gravitativen Universums" läutet ein neues Zeitalter der Astronomie ein. Die Kollaboration umfasst interferometrische Gravitationswellen-Detektoren wie aLIGO (in den USA), GEO600 (in Deutschland) und Virgo (in Italien) sowie die geplanten Detektoren in Japan und Indien. Ein Detektor für niederfrequente Gravitationswellen im Weltraum (LISA) wird von ESA- und NASA-Wissenschaftlern und Forschenden der Leibniz Universität Hannover und vom AEI, die eine führende Rolle spielen, vorbereitet.

 


 

Forschende des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut; AEI) in Hannover und Potsdam und vom Institut für Gravitationsphysik der Leibniz Universität Hannover (LUH) haben in mehreren Schlüsselgebieten entscheidend zur Entdeckung beigetragen: mit der Entwicklung und dem Betrieb extrem empfindlicher Detektoren an den Grenzen der Physik, mit effizienten Methoden der Datenanalyse, die auf leistungsfähigen Computerclustern laufen und mit hochgenauen Wellenformmodellen, um das Signal aufzuspüren und astrophysikalische Information daraus zu gewinnen.

Fortschrittliche Detektortechnologien von GEO600

Die GEO-Kollaboration besteht aus Forschenden der Max-Planck-Gesellschaft und der Leibniz Universität sowie von britischen Institutionen. Sie entwickelten und betreiben den Gravitationswellen-Detektor GEO600 nahe Hannover. Er dient als Ideenschmiede und Prüfstand für fortschrittliche Detektortechnologien. Die meisten der Schlüsseltechnologien, die zur nie zuvor erreichten Empfindlichkeit von Advanced LIGO (aLIGO) beigetragen haben und die Entdeckung ermöglichten, wurden innerhalb der GEO-Kollaboration entwickelt und getestet. Beispiele sind Signalüberhöhung, resonante Seitenband-Extraktion und monolithische Spiegelaufhängungen. AEI-Forschende haben gemeinsam mit Kollegen des Laser Zentrum Hannover e.V. außerdem die Hochleistungslasersysteme von aLIGO entwickelt und am Detektor installiert. Die Laser sind entscheidend für die hochpräzisen Messungen.

„Wissenschaftler suchen seit Jahrzehnten nach Gravitationswellen, aber erst jetzt verfügen wir über die unglaublich präzisen Technologien, um diese extrem schwachen Echos aus dem fernen Universum wahrzunehmen", sagt Prof. Karsten Danzmann, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover und Direktor des Instituts für Gravitationsphysik der Leibniz Universität Hannover. „Diese Entdeckung wäre unmöglich gewesen ohne die Anstrengungen innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft, der Leibniz Universität, der GEO-Kollaboration und die dort entwickelten Technologien."

Rechenleistung und Analysemethoden für die Entdeckung

Max-Planck-Forschende entwickelten und implementierten fortschrittliche und effiziente Datenanalyse-Methoden, um nach schwachen Gravitationswellen-Signalen in den Daten der aLIGO-Detektoren zu suchen. Sie führten außerdem den Großteil der Produktions-Datenanalyse aus. Zusätzlich stellte der vom AEI betriebene Cluster Atlas, der weltweit leistungsfähigste Großrechner für die Suche nach Gravitationswellen, den Hauptteil der Rechenleistung für die Entdeckung und die Analyse von aLIGO-Daten zur Verfügung. Atlas trug mehr als 24 Million CPU-Kern-Stunden zu dieser Analyse bei.

„Ich bin stolz darauf, dass zwei Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik das Signal als Erste gesehen haben und dass unser Institut eine führende Rolle bei dieser spannenden Entdeckung spielt", sagt Prof. Bruce Allen, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover. „Einstein selbst glaubte, Gravitationswellen wären zu schwach, um sie nachzuweisen, und er glaubte nicht an die Existenz Schwarzer Löcher. Aber ich denke, dass er nichts dagegen hätte, sich geirrt zu haben!"

Genaue Wellenformmodelle ebnen Weg zur Beobachtung verschmelzender schwarzer Löcher

Max-Planck-Forschende entwickelten hochgenaue Modelle der Gravitationswellen, die schwarze Löcher beim Umrunden und letztendlichen Kollidieren miteinander aussenden. Diese Wellenformmodelle wurden in der fortlaufenden Suche nach verschmelzenden Binärsystemen in den LIGO-Daten implementiert und angewandt. Diese Suche hat das Signal von der Verschmelzung schwarzer Löcher, das als GW150914 bezeichnet wird, mit einer statistischen Signifikanz von mehr als 5 Standardabweichungen beobachtet. Max-Planck-Forschende nutzen außerdem dieselben Wellenformmodelle, um auf die astrophysikalischen Parameter der Quelle zu schließen: dazu zählen die Massen und Eigendrehungen der zwei schwarzen Löcher, die Ausrichtung des Systems und seine Entfernung zur Erde und auch Masse und Eigendrehung des riesigen schwarzen Lochs, dass in der Verschmelzung entstand. Diese Modelle dienten auch dazu, die Übereinstimmung von GW150914 mit den Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie zu überprüfen.

„Seit Jahren arbeiten wir daran, die Gravitationswellen zu modellieren, die von einem der extremsten Ereignisse im Universum ausgestrahlt werden: Paare schwarzer Löcher, die einander umrunden und dann miteinander verschmelzen. Und genau dieses Signal haben wir nun gefunden!" sagt Prof. Alessandra Buonanno, Direktorin am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam. „Es ist überwältigend zu sehen wie genau Einsteins Relativitätstheorie die Realität beschreibt. GW150914 stellt eine bemerkenswerte Gelegenheit dar, Gravitation unter Extrembedingungen zu untersuchen.

LIGO-Forschung wird innerhalb der LIGO Scientific Collaboration (LSC) durchgeführt, einer Gruppe von mehr als 1000 Forschenden von Universitäten in den USA und in 14 weiteren Ländern. Mehr als 90 Universitäten und Forschungseinrichtungen in der LSC entwickeln Detektor-Technologien und analysieren die Daten; rund 250 Studierende tragen als wichtige Mitglieder zur Kollaboration bei. Das Detektornetzwerk der LSC umfasst die LIGO-Interferometer und den GEO600-Detektor. Das GEO600-Team umfasst Forschende am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut, AEI), an der Leibniz Universität Hannover, zusammen mit Partner an der University of Glasgow, der Cardiff University, der University of Birmingham und anderen Universitäten in Großbritannien, und die Universitat de les Illes Balears in Spanien.

LIGO wurde ursprünglich zur Messung von Gravitationswellen in den 1980er Jahren von drei Personen vorgeschlagen: Rainer Weiss, emeritierter Physikprofessor des MIT, Kip Thorne, emeritierter Richard P. Feynman Professor für Theoretische Physik am Caltech, und Ronald Drever, emeritierter Physikprofessor, ebenfalls am Caltech.

Virgo-Forschung wird von der Virgo Collaboration durchgeführt, die aus mehr als 250 Physikern und Ingenieuren aus 19 verschiendenen europäischen Forschungsgruppen besteht: 6 vom Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) in Frankreich, 8 vom Istituto Nazionale di Fisica Nucleare (INFN) in Italien, 2 in den Niederlanden am Nikhef, das Wigner RCP in Ungarn, die POLGRAW-Gruppe in Polen und das European Gravitational Observatory (EGO), das Labor, das den Virgo-Detektor nahe Pisa in Italien betreibt.

Die erweiterte Leistungsfähigkeit von Advanced LIGO ermöglichte die Entdeckung. Advanced LIGO ist ein große Erweiterung der Instrumente zur Erhöhung ihrer Empfindlichkeit gegenüber der ersten Generation der LIGO-Detektoren. Damit nahm das von ihnen erfasste Volumen enorm zu und ermöglichte so den Nachweis von Gravitationswellen im ersten Beobachtungslauf. Die US National Science Foundation ist führend in der Finanzierung von Advanced LIGO. Förderorganisationen in Deutschland (Max-Planck-Gesellschaft), Großbritannien (Science and Technology Facilities Council, STFC) und Australien (Australian Research Council) haben entscheidende Beiträge zum Projekt geleistet. Viele der Schlüsseltechnologien, die Advanced LIGO so viel empfindlicher machten, wurden von der deutsch-britischen GEO Collaboration entwickelt und getestet. Entscheidende Computer-Ressourcen wurden vom Atlas-Cluster am AEI Hannover, dem LIGO Laboratory, der Syracuse University und der University of Wisconsin-Milwaukee zur Verfügung gestellt. Viele Universitäten entwickelten, bauten und testeten entscheidende Komponenten von Advanced LIGO: die Australian National University, die University of Adelaide, die University of Florida, Stanford University, Columbia University of New York und Louisiana State University.

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