Innenminister Gall | Bildquelle: RTF.1

Tübingen:

Grenzen der Toleranz: Innenminister Reinhold Gall über Muslime, den Islam und die Terror-Bedrohung

Stand: 06.02.16 15:09 Uhr

Dass mehrere Islamisten einen Anschlag auf den Alexanderplatz in Berlin geplant hatten, macht deutlich: Die Bedrohung des islamistischen Terrors ist längst auch in Deutschland angekommen. Angesichts dieser Gefahr stellt sich die Frage: Wie weit kann, wie weit darf, wie weit soll Toleranz gehen? Beziehungsweise, wo müssen klare Grenzen gezogen werden? Über diese Themenbereiche sprach am Freitag-Abend Innenminister Reinhold Gall im Gemeindehaus Lamm in Tübingen.


Polizeischutz und mehr Sicherheitspersonal als sonst. Sowohl dem Minister, als auch den Besuchern des Vortrags war klar: Es ging um ein heikles Thema. Aber eines, das die Menschen in diesem Land sehr beschäftigt und auch beunruhigt.

Die Anschläge in Paris haben eine ganz neue Dimension des Terrors aufgezeigt, die die Grenzen zwischen Terrorismus und Krieg verschwimmen lassen. Zum Beispiel, so Innenminister Gall, hätten die Täter Kriegswaffen verwendet. "Dass dort nicht nur 'wild um sich geballert' wurde, dass man nicht nur eine Menschenmenge aufgesucht hat und ein Selbstmordattentäter dann seine Bewaffnung gezündet hat, sondern dass dort im Prinzip Kriegstaktiken oder Taktiken, die man aus dem Krieg kennt, angewendet wurden", so Gall, mache die neuen Herausforderungen im Kampf gegen den Terror deutlich.

Der Terror habe sich professionalisiert – nicht nur in der Strategie, sondern auch in der Propaganda zur Rekrutierung neuer Mitglieder. Und das komme an, vor allem auch bei jungen Leuten. Denn das sei eines der wenigen Dinge, mit denen die Jugend ihre Eltern noch schocken könnte. "Seinen Eltern zu sagen: 'Ich schließe mich diesem bewaffneten Kampf an und bin auch bereit, dafür zu sterben, also, ich kann mir nicht vorstellen, wie man seine Eltern noch mehr schocken kann wie durch so eine Aussage", sagte Reinhold Gall in seinem Vortrag. "Eines dieser jungen Mädchen hat gegenüber ihren Eltern gesagt: Ja, die Burka, das ist die moderne Form des Punks."

Aus Baden-Württemberg hätten sich hundertfünfzig Menschen aufgemacht nach Syrien, Irak oder Afghanistan. Einige von ihnen seien dort gestorben, aber rund zwanzig seien zurückgekehrt. Gefährder, denen die Landesregierung einen terroristischen Anschlag durchaus zutrauen würde. "Und ich bin da für Transparenz", sagte Gall. "Da wird nichts beschönigt, da wird nichts unter den Tisch gekehrt, weil ich zutiefst davon überzeugt bin: Um so transparenter wir dies machen, um so problematischer machen wir denen auch das Hiersein und das Leben. Und ich möchte auch, dass die wissen, dass wir sie beobachten."

Allerdings: Man könne nicht jeden wegsperren, den man für gefährlich halte. Das ginge im Rechtsstaat gar nicht. Die Landesregierung schöpfe aber alle rechtlichen Möglichkeiten aus. Sobald ein konkreter Hinweis vorliege, würde unverzüglich gehandelt. "Und solche konkreten Hinweise können wir nur erhalten über Information", sagte Gall. "Und jetzt weiß ich, dass bei bestimmten Themen auch in Tübingen kritisch diskutiert wird. Aber deshalb bin ich, und das sage ich auch an der Stelle, aber jetzt nicht nur, sondern es gibt andere Gründe, die ich habe auch, für eine Verbindungsdatenspeicherung."

Wichtig sei aber auch Präventionsarbeit: Wenn ein Muslime oder eine Muslima sich radikalisiere, gäbe es ein ähnliches Aussteigerprogramm wie beim Rechtsextremismus. Die Betroffenen bekämen Besuch von entsprechend geschulten Beamten. Hinweise gäbe es von den Moscheegemeinden, mit denen das Innenministerium gut vernetzt sei. "Ich nehme wahr, dass viele, viele islamische Gemeinden, muslimische Gemeinden bei uns im Land auch nicht wollen, was dort passiert", berichtet Gall. "Die möchten ihren Glauben leben, die leben aber auf den Werten unserer Gesellschaft und unserer Gemeinschaft und möchten nicht, dass ihre Religion von Terroristen missbraucht wird."

Hier sei die zentrale Frage angesiedelt: Wie weit sollte Toleranz gegenüber dem Islam gehen? Und wo lägen die Grenzen? Die Antwort: "Toleranz heißt, längst nicht alles zu akzeptieren, was manche für richtig halten. Sondern Toleranz ist eine aktive Einstellung zu dem, was in unserem Land gehört, woran wir uns orientieren und was das Zusammenleben in unserem Gemeinwesen über sechs Jahrzehnte weitestgehend einfach ausgemacht hat."

Toleranz heiße die Anerkennung der allgemeinen Menschenrechte und die Anerkennung von Grundfreiheiten, und sie dürfe nicht dazu missbraucht werden, Einschränkungen der Grundrechte zu akzeptieren. Das Grundgesetz bildeten die Leitplanken für die Toleranz und ihre Grenzen.

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