Eine größtenteils pflanzliche Ernährung, ein einfacher Magen und ein relativ großes Gehirn, das extra Energie verbraucht, stellen Schimpansen bei der täglichen Nahrungssuche vor Herausforderungen. Ein Konsortium von Wissenschaftlern des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie, der Harvard University, der McGill University, der University of St. Andrews und der Université Félix Houphouët Boigny hat in drei Regenwäldern in Ost-, Zentral- und Westafrika gesammelte Daten ausgewertet. Mit ihrer Analyse zur monatlichen Verfügbarkeit junger Blätter und unreifer sowie reifer Früchte können sie jetzt abschätzen, wie schwierig es für Schimpansen ist, diese Nahrung zu finden, und vorauszusagen, wo, wann und in welcher Menge sie an einzelnen Bäumen verfügbar ist. Schimpansen können daher verschiedene Strategien einsetzen, um sich den Zugang zu den energiereichsten aber kurzlebigen Nahrungsquellen zu sichern.
Tropische Regenwälder und ihre Verbreitung haben auf die Evolution der Primaten einen großen Einfluss, denn die meisten Primatenarten und alle Menschenaffen nehmen von Regenwaldbäumen produzierte Nahrung zu sich. Im Gegensatz zu vielen anderen Altweltaffen können Menschenaffen aber keine Waldprodukte verdauen, die über eine „chemische Abwehr" verfügen, wie es bei den meisten vollentwickelten Blättern und einigen Samen der Fall ist. Sie sind daher auf energiereiche Nahrungsquellen wie junge Blätter oder reife Früchte angewiesen. Zu wenig Obst auf dem Speiseplan führt zum Beispiel bei weiblichen Schimpansen zu Problemen bei der Fortpflanzung, insbesondere der Empfängnis, und wirkt sich auch auf andere Lebensbereiche der Tiere negativ aus.
Karline Janmaat vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und ihre Kollegen haben nun die Daten aus drei Langzeitstudien von je fünf bis 20 Jahren zusammengeführt. Die Forscher wollten damit analysieren, wann Schimpansen in drei Regenwäldern in Ost-, Zentral- und Westafrika Obst als Nahrungsquelle zur Verfügung steht und wie schwierig sich die Suche nach energiereichen jungen Blättern und Früchten für Schimpansen gestaltet, insbesondere nach reife Früchte tragenden Einzelbäumen. Die Futterpflanzen an sich kommen zwar im Regenwald sehr häufig vor, ihre Früchte werden jedoch zu unterschiedlichen Zeiten reif.
Aufwändige Nahrungssuche im Regenwald
Berechnungen zeigten, dass es für Schimpansen 17-mal schwieriger war, reifes das energiereichste Nahrungsmittel Obst zu finden als unreifes Obst. Außerdem kamen Bäume, die großen Mengen an reifen Früchten trugen, neunmal seltener vor als andere Bäume: In unberührten Wäldern stoßen die Tiere bei geradem Kurs durchschnittlich nur alle zehn Kilometer auf einen großen Bestand reifer Früchte, in Monaten mit Obstknappheit auf gar keinen.
„Als ich sah, wie Schimpansen ihre Nester vor Sonnenaufgang verließen und andere Tiere überholten, um sich energiereiche Nahrung zu sichern, wurde mir klar: Das Bild von Fülle, den riesige Obstbäume und üppiges Blätterwerk vermitteln, ist eine Illusion", sagt Janmaat. „Dank der Ergebnisse aus dieser einzigartigen Kooperation von Wissenschaftlern können wir jetzt erklären, warum Schimpansen bei der Suche nach Futterquellen strategisch vorgehen müssen. Außerdem können wir dank der Resultate testen, wie schlau Schimpansen im Vergleich zu anderen Primaten mit weniger komplexen oder kleineren Gehirnen sind."
Darüber hinaus stellten Janmaat und Kollegen fest, dass einzelne Bäume ganz unterschiedlich produktiv sind. In einigen Fällen produzierten sie mehr als sieben Mal so viel reifes Obst wie andere Bäume derselben Art. Auch hinsichtlich der Dauer, während der Einzelbäume mehr als 50 Prozent reife Früchte trugen, gab es große Unterschiede: Im Falle vonSarcocephalus pobeguinii im Taï-Wald produzierte ein Baum mehr als die Hälfte seines Maximalertrags in vier von 53 Monaten, während ein anderer im selben Zeitraum nur geringe Mengen an Obst produzierte (weniger als 50 Prozent). Da die Erträge mancher Baumarten stärker schwanken als andere, müssen Schimpansen vermutlich wissen, wieviel Obst Einzelbäume bestimmter Arten in vergangenen Saisons produziert haben. Das hilft ihnen dabei, die Bäume auf ihren Patrouillen auszulassen, die wahrscheinlich leer sind.
„Die Rufe der Feldforscher bei der Datenaufnahme überraschen: ‚Junge Blätter: null, unreifes Obst: null, reifes Obst: null'", sagt Ko-Autor Leo Polansky. „So viele Nullen stellen statistische Ökologen vor eine Herausforderung. Doch für diejenigen, die große Mengen Obst sammeln müssen um zu überleben, ist die Herausforderung ungleich größer."
Strategien zur Nahrungsbeschaffung
Um Perioden von Obstknappheit besser zu überstehen, nutzen Schimpansen Werkzeuge, mit denen sie energiereiche Nüsse knacken oder Bienenstöcken Honig entnehmen. Darüber hinaus können sie ihr hoch entwickeltes Gehirn einsetzen und damit andere Tiere beim Erschließen der leicht zugänglichen und kurzlebigen Früchte "ausstechen". Dazu gehört die Fähigkeit, Futterbäume zu generalisieren oder zu klassifizieren, sich an die ungefähren Menge und Häufigkeit der Obstproduktion vergangener Jahre zu erinnern und die Rückkehr zu bestimmten Futterbäumen flexibel zu planen. Auf diese Weise können sie die Nahrungsaufnahme aus einzelnen Bäumen optimieren und die Fortbewegung von einem Baum zum nächsten möglichst effektiv gestalten.
„Bisher dachten wir, dass unsere Vorfahren an Intelligenz zulegen mussten, als sie die Wälder verließen, weil das Leben in der Savanne so hart war. Diese Ansicht berücksichtigt aber nicht die Intelligenz unserer nächsten lebenden Verwandten, der Schimpansen. Die neue Studie zeigt, dass es schwieriger ist als bisher angenommen, im Regenwald reifes Obst zu finden", sagt Christophe Boesch, Direktor der Abteilung für Primatologie am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. (MPG - KJ, SJ/HR)
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