Landrat Joachim Walter | Bildquelle: RTF.1

Tübingen / Reutlingen:

"Wir brauchen jetzt Taten." - Landräte Walter und Reumann zur Flüchtlingspolitik

Stand: 15.01.16 17:50 Uhr

Mit einem Bus voller Flüchtlinge ist der Landshuter Landrat Michael Dreier nach Berlin gefahren. Dreier wollte damit gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung protestieren. Die Aktion sorgte für Aufsehen in den überregionalen Medien wie auch in den sozialen Netzwerken. Aber wie beurteilen die Amtskollegen in Reutlingen und Tübingen Dreiers Berlinfahrt? Und wie ist die momentane Situation in den beiden Landkreisen? Droht die Stimmung zu kippen, wie eine aktuelle ZDF-Umfrage befürchten lässt? RTF.1 hat nachgefragt.


Einmal Landshut – Berlin und zurück. Hier, am Kanzleramt, war das Ziel der Bustour, die Landrat Michael Dreier mit einunddreißig anerkannten Asylbewerbern unternommen hat. Eine medienwirksame Aktion, die in den Landratsämtern in Reutlingen bei Thomas Reumann und in Tübingen bei Joachim Walter zwar auf Verständnis, nicht aber auf Zustimmung stößt. "Ich hätte eine solche Aktion nicht gemacht", sagte Landrat Walter. "Sie bringt letztendlich auch nichts, aber sie ist erklärbar auf dem Hintergrund der Situation in Bayern, die deutlich schwieriger ist als bei uns."

Und Landrat Thomas Reumann sagte: "Die gesellschaftspolitische Herausforderung ist: Wie gehen wir mit den Menschen um, die anerkannt werden? Die dann in den Städten und Gemeinden sind? Und damit ist die Frage aufgerufen: Haben wir ausreichend bezahlbaren Wohnraum – nicht nur für die Flüchtlinge, sondern insgesamt? Ich muss aber nicht jede Aktion, die ein Kollege macht, gut und hilfreich finden."

Für 2015 und 2016 geht Landrat Thomas Reumann von 7.000 Flüchtlingen aus, die der Landkreis und seine Gemeinden versorgen müssen, davon 5.000 in der vorläufigen und 2.000 in der Anschlussunterbringung. Rechnet man hoch, wie viele von ihnen hier bleiben dürften, müsse man davon ausgehen, dass 1.500 bis 2.000 Wohnungen neu gebaut werden müssten, so Reumann. "Und wenn die Frage ist: Wie gehen wir dieses Thema an? Dann muss man sagen: Die Städte und Gemeinden brauchen Flächen."

Das Land müsse auch in anderen Bereichen aktiv werden, fordert indes Tübingens Landrat Joachim Walter. Jetzt gelte es, den Asylkompromiss auch umzusetzen. Sachleistungen einführen und schnellere und mehr Abschiebungen, außerdem weitere sichere Herkunftsländer und die Einführung von Transitzonen. "Es kann nicht sein, dass wir eine Situation haben wie jetzt beim Attentäter in Paris, der mit zig verschiedenen Identitäten herumreist, nur weil nicht von Anfang festgestellt wurde, wer er eigentlich ist", so Walter. "Da verstehe ich Äußerungen, insbesondere aus der SPD-Bundestagsfraktion von Herrn Oppermann nicht, der diese Maßnahme als Abschiebeknäste verdammt."

Er erwarte von der Politik mehr Sachkunde und Beschäftigung mit der Materie so Walter. Außerdem solle das Land den Kommunen wie versprochen die durch die Flüchtlingspolitik entstandenen Kosten endlich erstatten: "Wir sind nun in einer Arbeitsgruppe mit den zuständigen Landesministerien seit mehreren Monaten in Kontakt, in intensiven Diskussionen, bis auf den Betreuungsschlüssel für die Sozialbetreuer hat sich noch nichts konkretes ergeben. Wir sind unzufrieden. Wir brauchen jetzt Taten. Worte reichen nicht", so Walter.

Kippt die Stimmung? Im Landkreis Reutlingen sei davon jedenfalls nichts zu spüren sagte Landrat Thomas Reumann. Die Landratsamts-Mitarbeiter merkten das auf Bürgerversammlungen. "Dann haben wir unverändert die Erfahrung gemacht, dass da kritische Fragen sind. Ja, wie soll denn das Problem gelöst werden? Ich glaube, die Fragen werden zurecht gestellt, und die Menschen haben Anspruch, dass wir nicht nur schwätzen, sondern auch handeln. Aber durch dieses Konzept haben wir unverändert Akzeptanz dafür, wenn wir sagen: Wir müssen in einem bestimmten Bereich eine Unterkunft bereitstellen."

Auch im Landkreis Tübingen zeigt man sich zuversichtlich. Wir schaffen es, sagte Landrat Joachim Walter – aber nur, wenn die beschlossenen Maßnahmen umgesetzt würden. "Wenn dies geschieht, und wenn sie dann auch Wirksamkeit entfalten, dann spüren die Menschen, dass der Staat die Situation immer noch im Griff hat und werden dann wieder ein gewisses Vertrauen zu den staatlichen Behörden aufbauen und sagen: Wir können die Situation meistern. Wenn es nicht gelingt, dann wird es sicher schwieriger, und dann erwarte ich schon, dass die Stimmung schlechter wird, wann sie kippt, das weiß keiner von uns, aber sie wird sicher nicht besser werden."

Es ist an der Zeit zu handeln, so Landrat Walters Appell an die Politiker Stuttgart und Berlin. Denn Worte reichten nicht.

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