Boris Palmer | Bildquelle: RTF.1

Tübingen:

Palmer fordert weiter offene gesellschaftliche Debatte um Flüchtlingspolitk

Stand: 10.01.16 19:10 Uhr

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer sieht sich mit seinen Einwürfen und Statements zur Flüchtlingskrise recht eindeutig bestätigt. Erst jetzt sei allmählich die notwendige gesellschaftliche Debatte um mögliche Folgen und Ziele der Flüchtlingspolitik in Gang gekommen - so Palmer gegenüber RTF.1. Palmer hatte unter anderem mit seinem "Wir schaffen das nicht" - als eine Gegenposition zur Bundeskanzlerin Angela Merkel - über Monate bundesweit für Diskussionen gesorgt. Im Rückblick auf das vergangene Jahr und im Vorausblick auf 2016 beschäftigen Tübingens grünen OB aber auch weiter Themen rund um die Asyl-Debatte: Ob Haushalt- oder Wohnraum-Knappheit oder bei der angestrebten Integration: das Thema Flüchtlinge werde die Stadt Tübingen auch im neuen Jahr beschäftigen.


Er hat die emotionalen bundesweiten Diskussionen rund um die sogenannte Flüchtlingskrise vom Tübinger Rathaus aus im wesentlichen mitbestimmt: Kommunale Unterbringungsnöte, explodierende Kosten, um ungebremste Flüchtlingszugströme; vor aber die Diskussionen um Grenzen der sozialen Belastbarkeit. Sorgen, die Tübingens OB Boris Palmer 2015 zu einem Gegenstatement zu dem Kanzlerinnen-Diktum des „Wir schaffen das" veranlassten.

Aussagen, die Palmer 2015 eben aber auch scharfe Kritik der grünen Landes- und Bundespitze einbrachten. Und die letztlich in einer Ausschlussforderung der „Grünen Jugend" gipfelten. Es sind Dinge die Palmer aber nicht nur im Rückblick auf das vergangene Jahr, sondern auch jetzt weiter beschäftigten.

Er glaube zwar, dass man zwar die Beherbergung der Flüchtlinge hinbekommen werde. Mit den jetzigen Maßnahmen werde man "diese Menschen weder integrieren können, noch könnten so große soziale Spannungen vermieden werden", so Palmer zu RTF.1.

Ob bei der Finanzierung von genügend Wohnraum oder etwa den kommunalen Kosten bei der Anschschlussunterbringung : mit den bisher von Bund und Land ergriffenen Maßnahmen sei das alles nicht zu stemmen. Palmer geht von rund 2000 unterzubringenden Flüchtlingen für Tübingen bis 2017 aus, wenn die Zahlen in etwa gleich hoch blieben.

Für diese 2000 Menschen brauche man dann neuen Wohnraum für rund 50 Millionen Euro. Und das sei genau so viel, wie Tübingen in den kommenden zwei Jahren für alle Investitionen bei allen Themen insgesamt zur Verfügung stünden. Konkret hieße dies also: die Stadt könnte dann zwei Jahre lang in nichts anderes mehr als in Flüchtlingsunterbringung investieren.

Wenn man also "nicht die Flüchtlinge gegen die einheimische Bevölkerung in Konflikt bringen" wolle, dann brauche man "hier dringend finanzielle Unterstützung von Bund und Land". Die rund 500 Millionen, die Bundesfamilienministerin Schwesig kürzlich in Aussicht gestellt habe, seien da nur ein Tropfen auf den heißen Stein: "Denn wir bräuchten etwa 25 Milliarden Euro nur für die erste Millionen Flüchtlinge", die 2015 aufgenommen wurden.

Palmer forderte und fordert Realismus ein – und eine schonungslose gesellschaftliche Debatte über das, was die Gesellschaft leisten kann und leisten möchte. Ansonsten drohe ein weiterer Anstieg des Zulaufs für Rechtsparteien und rechte Bewegungen. Diese profitierten von der gesellschaftlichen Tabuisierung der Problemlage. Und hätten so die Möglichkeit, sich als Tabu-Brecher in den Vordergrund zu spielen. Lösungen hätten diese zwar nicht. Aber "sie machen dann etwas, was die Menschen wollen, nämlich Tabus anzusprechen".

Beim auch in Tübingen bereits jetzt kritischen Thema fehlender, sozial erschwinglicher Wohnungen und daraus resultierend: der möglichen Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger will Palmer deshalb bewusst zweigleisig fahren. Geplant sei so zum Beispiel, bei den Kliniken erst schnell Wohnraum für Flüchtlingsunterbringung zu bauen und in einem zweiten Schritt eben dort auch "normalen" günstigen Wohnraum für das Klinikpersonal und Studierende. Zudem sollen dort bauliche Lücken für diese Zweitbebauung sicherstellen, dass kein "Ghetto" entstehe.

Dieses Projekt stehe und falle aber mit der finanziellen Ausstattung der Stadt. Insgesamt komme Tübingen als permanent wachsende Kommune beim Bauen trotz des Güterbahnhofareals um neue Bauflächen längerfristig nicht herum. Als kommendes Bauareal soll zunächst das "Hechinger Eck" an der B27 dienen. In der Folge werde die Stadt aber an einen Punkt kommen, auch neue Brachflächen auszuweisen. Hier ist demnach der "Seiben" im Gespräch, eine Fläche zwischen dem Eisenbahnbetriebswerk und Derendingen.

Haushaltstechnisch steht Tübingen weiter – besser als viele andere Städte – grundsolide da. Auch 2016 sollen keine neuen Schulden aufgenommen werden. Hauptkostenblöcke: die Verdreifachung der Ganztagesschulen-Kosten und um 7 Prozent gestiegen Personalkosten der Kinderbetreuerinnen beschäftigen die Räte. Ein hohes Risiko droht durch die Folgekosten kommunal untergebrachter und zu betreuender Flüchtlinge.

ZIel sei es "auch weiter ohne Schulden auszukommen", so Palmer. Wenn der Gemeinderat seiner Vorlage folge, dann sei dies bis 2019 gesichert. Insgesamt könne man durchaus sagen, dass es der Stadt gut gehe.

Eine ganz persönlicher Höhepunkt für Palmer für 2015: die abgeschlossene Renovierung, Modernisierung und Energiesanierung des Rathauses. Für die aktuelle Zukunft will der Tübinger OB mit den Bürgern weiter über einen kostenlosen ÖPNV diskutieren und dies dann letztlich in einer Bürgerbefragung klären lassen. Tübingen will zudem – so ein Gemeinderatsbeschluss - ganz im Zuge des Geistes der Pariser Weltklima-Konferenz - den CO2-Ausstoss pro Kopf um weitere 25 Prozent senken.

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