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Tegeler See / Ukraine:

"Waffenstillstand weiter konsolidieren" - Vierer-Außenministertreffen zur Ukraine: Schwere Waffen bis Anfang Dezember abziehen

Stand: 06.11.15 21:32 Uhr

06.11.2015. "Die Gespräche waren deutlich besser, als das nasskalte Wetter hier am Tegeler See erwarten ließ:". Das sagte Bundesaußenminister Steinmeier heute in Berlin zum Abschluss des Vierer-Außenministertreffens zur Ukraine. Nachdem man beim Abzug der leichten Waffen "durchaus" vorankomme, wolle man "jetzt auch an die schweren Waffen herangehen." Zum noch ausstehenden Wahlgesetz habe man fünf Bereiche identifiziert: Wie geht man bei den im nächsten Jahr anstehenden Lokalwahlen mit den "Displaced Persons" berücksichtigt, die früher im Donbass wohnten.

Hier das Abschlussstatement von Außenminister Steinmeier zum Vierer-Außenministertreffen zur Ukraine in voller Länge:

"Die Gespräche waren deutlich besser, als das nasskalte Wetter hier am Tegeler See erwarten ließ: Gespräche, die sehr konzentriert, sehr sachorientiert und sehr kollegial waren, in Fortsetzung dessen, was wir beim letzten Zusammentreffen in Paris erlebt haben. Niemand leugnet die Schwierigkeiten und Hindernisse, die wir auf dem Weg zu einer politischen Lösung noch vor uns haben, aber mein Eindruck war doch hier, dass die Beteiligten daran arbeiten, diese Hindernisse auch tatsächlich zu überwinden.

Wir haben uns zu Anfang sehr ausführlich mit der Sicherheitssituation beschäftigt. Wir haben nicht sehr lange über den aktuellen Waffenstillstand gesprochen, obwohl wir zum ersten Mal eine Situation haben, dass dieser nun seit etwa zehn Wochen hält. Sondern das Gespräch war vor allen Dingen darauf gerichtet, wie wir diesen Waffenstillstand weiter konsolidieren.

Wir wissen, dass wir mit dem Rückzug der leichteren Waffen durchaus vorankommen. Wir haben verabredet, dass wir nach den Modalitäten, die wir für diesen Rückzug vereinbart haben, jetzt auch an die schweren Waffen herangehen.

Wir haben auch mögliche Zeitleisten miteinander diskutiert. Mit den Erfahrungen, die wir jetzt beim Rückzug der leichteren Waffen haben, müsste es möglich sein, bis Ende November – Anfang Dezember auch den Rückzug der schweren Waffen abgeschlossen zu haben.

Nicht minder wichtig, wenn auch nicht im Fokus der Öffentlichkeit, ist die Frage der Minen. Es sind –gerade auch jetzt, als Kampfhandlungen nicht stattgefunden haben – wegen der starken Verminung entlang der Konfrontationslinie viele durch Minen verletzt worden, es hat Opfer unter den Zivilisten gegeben.

Es sind aber nicht nur die Opfer, sondern wir sind auch gehindert, etwa die Zugangspunkte wieder auszubauen, wenn wir bei der Entminung nicht vorankommen. Deshalb haben wir das Thema heute stärker in den Vordergrund gestellt und gesagt: Bis Ende dieses Monats soll eine Vereinbarung erreicht sein, die das Regelwerk enthält: nach welchen Prioritäten, nach welchen Mustern, wer soll es machen, wer stellt das Equipment für die Entminung zur Verfügung? Bis zum Ende dieses Monats sollen die Verhandlungen über das Regelwerk abgeschlossen sein, so dass dann möglichst noch vor dem Winter Entminungsarbeiten begonnen werden können. In den Wintermonaten, wenn Schnee gefallen ist, wird das aus Witterungsgründen nicht möglich sein.

Der zweite große Komplex, den wir miteinander besprochen haben, ist natürlich der politische Prozess, einschließlich der Wahlen. Hier haben wir in Paris am 2. Oktober Prinzipien vereinbart und auch die Sequenzen, in denen Wahlen und die Einsetzung des Sonderstatusgesetzes abfolgen sollen.

Wir haben uns heute im Detail mit den Fragen beschäftigt, die gegenwärtig dem Entwurf eines Wahlgesetzes noch entgegenstehen und haben fünf Bereiche identifiziert, denen sich die Kontaktgruppe in den nächsten Tagen und Wochen widmen wird. Zum Beispiel die Frage: Wie geht man bei Lokalwahlen, die dann im nächsten Jahr stattfinden, mit den „Displaced Persons" um, die eigentlich ihren Wohnsitz in der Donbass-Region haben, aber gegenwärtig entweder in Dnipropetrowsk oder Charkiw wohnen?

Die zweite Frage ist: Welche Parteien dürfen kandidieren? Wie sieht die Rolle der Medien aus? Was darf eine Wahlkommission überwachen? In welchem Verhältnis steht sie zur zentralen Wahlkommission der Ukraine, die natürlich nicht aus der Verantwortung genommen werden kann? Und: findet ein Monitoring dieser Wahlen statt, und wer soll dieses Monitoring übernehmen, wenn nicht die OSZE? Fünf Fragen, die jetzt in den nächsten Wochen geklärt werden sollen mit Hilfe des Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Politik, Pierre Morel.

Ich hoffe, dass wir mit der Verständigung über diese Prinzipien dann auch leichter über den Rest des Wahlgesetzes Einigkeit erzielen können, das - und das ist der Komplexität der Lage geschuldet - auf der einen Seite zwischen Kiew und unter Berücksichtigung der Interessen in der Donbass-Region politisch besprochen werden muss, aber dann als Wahlgesetz in der Rada verabschiedet werden muss.

Ich muss nicht sagen, dass das eine politische Aufgabe mit besonderen Herausforderungen ist, die aber bestehbar ist, wenn es in diesem Geiste weitergeht wie wir das heute hier in Berlin und beim letzten Mal in Paris erlebt haben.

Die beiden abschließenden Komplexe, die wir besprochen haben, waren einerseits die humanitäre Situation: Wir haben unsere Unzufriedenheit geäußert, dass nach wie vor humanitäre Organisationen wenig Zugang haben in die Donbass Region, bis auf einige Wenige: das internationale Rote Kreuz ist zugelassen und kann operieren. Viele andere Organisationen sind bisher ausgeschlossen. Unter humanitären Gesichtspunkten ist auch der Gefangenaustausch zu erwähnen, wo wir vor gut einer Woche einen Fortschritt hatten mit etwa 20 Gefangenen, die ausgetauscht wurden. Seitdem stockt dieser Prozess, muss wieder erneut angestoßen werden.

Damit im Zusammenhang steht andererseits das, was wir unter der etwas irreführenden Überschrift „Wirtschaft" diskutiert haben: Eigentlich geht es darum, wie wir die zerstörte Infrastruktur wiederherstellen. Wir haben teilweise Schienenverkehre wiederhergestellt, an denen beide Seiten Interesse haben, weil Kohle vom Westen in den Osten der Ukraine transportiert werden muss.

Genauso dringlich ist die Wiederherstellung der zerstörten Wasserversorgungsstrukturen, und hier sind wir wieder beim Thema: Deutsche Experten sind unterwegs gewesen und haben ermittelt, was nötig ist. Sie sagen, dass die Ertüchtigung in relativ kurzer Zeit möglich ist, aber gegenwärtig werden solche Arbeiten durch die starke Verminung erschwert und unmöglich gemacht. Insofern müssen wir die Entminung, die dringend notwendig ist als Voraussetzung für die Ertüchtigung beschädigter und zerstörter Infrastruktur ebenfalls auf den Weg bringen.

Insgesamt ein wirklich gutes Treffen und ich hoffe, dass wir im Verlauf des nächsten Monats noch einmal zusammenkommen und sehen, inwieweit die Arbeitsgruppen auf der Grundlage des heute Besprochenen vorangekommen sind." (Auswärtiges Amt / KM)

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