Ministerpräsident Winfried Kretschmann | Bildquelle: Staatsministerium Stuttgart

Stuttgart/Tübingen:

Kretschmann kontert Palmer: "Wir stehen hinter der Kanzlerin" / Bemerkungen "unausgegoren"

Stand: 28.10.15 06:24 Uhr

Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat heute in Stuttgart Position gegen Boris Palmer bezogen. Dessen Satz, dass man in der Flüchtlingskrise zu scheitern drohe, hält Kretschmann für unausgegoren. Es gelte jetzt auf Sicht zu fahren. Die Menschen im Land seien schon genug verunsichert. "Mit Überschriften" schaffe man "keine Politik".


Tübingens grüner OB Boris Palmer hat in den vergangenen Wochen mit seinen Äußerungen zur Flüchtlingskrise von Tübingen aus bundesweit für Wirbel gesorgt. Der Kanzlerin ,die mit ihrem Diktum des „Wir schaffen das" seit Wochen den derzeit offiziellen politischen Kurs vorgibt, setzte Palmer ein „So schaffen wir das nicht" entgegen. Die Krise lasse sich nicht allein mit Durchhalte-Appellen bewältigen.

Palmer hatte zudem die Sicherung der EU-Aussengrenzen gefordert, um die Flüchtlingsströme zu kontrollieren. Zudem hatte der Tübinger OB von einer "Grenze der sozialen Belastbarkeit" gesprochen und eine Kontingentierung ins Spiel gebracht. An seine Partei gerichtet, sagte er: Auch er sehe "im Grundsatz", dass das Grundrecht auf Asyl unangetastet bleiben solle. Objektiv werde aber "jeder einsehen" müssen: "Wenn im kommenden Jahr 10 Millionen Menschen kämen, "dass dann irgendwann eine solche Grenze überschritten wird".

Heute in Stuttgart hat der von einer vierzehntägigen China-Reise zurückgekehrte Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der vielen auch als politischer Ziehvater Palmers gilt, dessen Einlassungen zurückgewiesen.

Palmer äußere sich "über einen Bereich, auf den er keinen Einfluss" habe. "Was heisst dann so eine Äüßerung: "wir schaffen das nicht?". Man habe eben "keinen Einfluss auf die Flüchlingsströme".

Palmer sieht das aber anders – vor allem anders als seine Partei. Und er steht damit an der Seite rebellischer Teile der Unionsparteien, ungewollt aber auch an der Seite politischer Kräfte wie der AfD. Palmers Rechnung ist einfach: 11 000 neue Flüchtlinge bundesweit pro Tag. Rund 3,5 Millionen im Jahr, sollte der Zustrom so anhalten. Er fordert deshalb die Kontrolle des Zustroms über die Sicherung der EU-Grenzen. Denn die sei "derzeit praktisch nicht existent".

Eine Forderung, die das für die Grünen und auch die Bundeskanzlerin heilige Prinzip des unumschränkten Asyl-Grundrechts berührt – und die jetzt auch zu einer offiziellen Distanzierung der grünen Parteispitze führte.

Die Kanzlerin, so Winfried Kretschmann jetzt, habe die volle Unterstützung der Ministerpräsidenten. Man habe einen Katalog an entsprechenden Krisen-Maßnahmen grade durchgesetzt. Äußerungen wie die von Palmer seien "unausgegoren". Vor allem, weil sie den Eindruck erweckten, dass die Politik "nichts tue. Wir tun aber was".

Sichere Drittstaaten, schnellere Abschiebungen, Sachleistungen statt Geld - das sind die Beschlüsse, die durch  Änderungen bei der Asylgesetzgebung von Bundestag und Bundesrat grade beschlossen. Auch unter schwerem Bauchgrimmen grade der grünen Partei.  

Dauerkritik wie die von Palmer, so Kretschmann,  fördere hingegen rechte Kräfte wie die AfD. Palmer hingegen sieht das genau umgekehrt:  Ohne eine offene,"maulkorblose", tabulose Debatte über die Flüchtlingskrise, ihre Konsequenzen und anstehende gesellschaftliche Veränderungen drohten langfristig soziale Verwerfungen .

Beispielsweise bei einer Konkurrenz um Arbeitsplätze vor allem im unteren Einkommensdrittel, meint Palmer. Es drohe ein sozialer "Verdrängungswettbewerb um Einkommensanteile". Ebenso beim Kampf um den bereits jetzt zu knappen günstigen Wohnraum, bei dem in Städten wie Tübingen oder Reutlingen schon viele Hundert Menschen vergeblich auf der Suche sind. Der Tübinger OB sieht - unter den gegebenen Umständen - auch Schwierigkeiten bei der sozialen Integration junger muslimischer Männer in die deutsche Gesellschaft, die durch freie westliche Werte, die Gleichberechtigung der Frauen und sexuelle Selbstbestimmung geprägt ist.

Kretschmann sieht dies alles anders. In einer Krise wie dieser müsse und könne man "nur auf Sicht fahren". Die Bundeskanzlerin – so Kretschmann - sei eine erfahrene Managerin von Krisen.

Aus Palmers Sicht ist hingegen ist eine solche  „Fahrt auf Sicht" eher ein gefährliches Stochern im Nebel.

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