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Leipzig / Tai-Wald:

Essensreste im Zahnstein von Schimpansen - Aufschluss über Ernährung und Verhalten der Tiere

Stand: 17.07.17 18:54 Uhr

24.10.2015. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig haben die im Zahnstein von verstorbenen Schimpansen enthaltenen Pflanzenreste analysiert und daraus Informationen über das Ernährungsverhalten der Tiere gewonnen. Die dem Zahnstein entnommenen Pflanzenbestandteile stimmen mit den Nahrungsdaten überein, die während der letzten zwanzig Jahre im Rahmen des Taï-Schimpansenprojektes an der Elfenbeinküste von frei lebenden Schimpansen gesammelt wurden. Darüber hinaus lassen sie Rückschlüsse auf im Leben eines Individuums wichtige Ereignisse zu. Bei größeren Populationen, in denen es unmöglich ist, einzelne Tiere über einen längeren Zeitraum hinweg direkt zu beobachten, bleiben solche Episoden sonst größtenteils verborgen.

Schimpansen werden als unsere nächsten lebenden Verwandten oft von Wissenschaftlern herangezogen, um mehr über das Verhalten unserer menschlichen Vorfahren zu erfahren. Doch das Verständnis fundamentaler Verhaltensweisen, wie zum Beispiel der Ernährung, ist eingeschränkt, denn es basierte bisher fast ausschließlich auf der direkten Beobachtung der Tiere bei der Nahrungsaufnahme. Diese Beobachtungen geben zwar wertvolle Einblicke, zeigen aber nur einen kleinen Ausschnitt der Verhaltensweisen eines Tieres im Laufe seines Lebens.

„In unserer Studie vergleichen wir die Informationen, die uns die Zusammensetzung des Zahnsteins der Tiere verrät, mit den gesammelten Langzeitdaten aus der Beobachtung frei lebender Schimpansen im Taï-Nationalpark", sagt Erstautor Robert Power vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Dazu analysierten die Forscher den Zahnstein von 24 verstorbenen Taï-Schimpansen und rekonstruierten anhand seiner Zusammensetzung aus Pflanzenteilen (Phytolithen und Stärkepartikeln) die Ernährung der Tiere. Auch wichtige Ereignisse im Leben der Tiere, wie die Entwöhnung von Schimpansenkindern oder das Erlernen besonderer Fähigkeiten, wie etwa das Knacken von Nüssen, spiegelt sich im Zahnstein wider.

Diese Studie ist eine der ersten, die bestätigt, dass Zahnsteinanalysen wesentliche Informationen zur Erforschung von Ernährungsweisen beitragen können, vor allem bei isoliert lebenden oder in nicht an den Menschen gewöhnten Primatengruppen. Auch die Ernährung ausgestorbener Menschenformen, deren Verhalten nicht mehr beobachtet werden kann, kann mit dieser Methode untersucht werden. Darüber hinaus könnte die Untersuchung von Zahnstein bei der Rekonstruktion von Ernährungsgewohnheiten in den Bereichen Primatologie und Humanevolution zukünftig eine wichtige Rolle spielen. „Zahnstein ist als Speicher von Ernährungsgewohnheiten nützlicher, aber auch komplexerer als bisher angenommen", sagt Power. (MPG-SJ/HR).

Frühere Studie weist Pflanzenreste am Australopithecus sediba nach

In einer früheren Studie hatten Wissenschaftler des Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig im Jahr 2012 Pflanzenreste auch an den Zähnen des Australopithecus sediba, einem frühen menschlichen Vorfahren, nachweisen können. Erstmals konnten damals Pflanzenreste in dem zwei Millionen Jahre alten Zahnbelag unserer frühen menschlichen Vorfahren nachgewiesen werden:

Erste stichhaltige Beweise dafür, was unsere frühen Vorfahren aßen, konnten damals  Dank eines zwei Millionen Jahre alten Missgeschicks zweier früher Vertreter des menschlichen Stammbaums gefunden werden. Amanda Henry vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und ein internationales Forscherteam untersuchten die Abnutzungsmuster an den Zähnen und winzigste Pflanzenfragmente im Zahnstein zweier Vertreter der Art Australopithecus sediba aus Malapa, Südafrika, und fanden heraus, dass diese zu Lebzeiten auch pflanzliche Nahrung zu sich genommen hatten. Bestätigt wurde diese Annahme durch Isotopenanalysen der Skelette.

Die Forscher fanden in den Zähnen der beiden Homininen hauptsächlich Reste von Baumrinde und holzigen Geweben; dies konnte bisher bei anderen frühen Homininen nicht festgestellt werden. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Ernährung von Australopithecus sediba im Vergleich zur Ernährung anderer ähnlich alter afrikanischer Homininen überraschend anders war. Geleitet wurde die Studie von Lee Berger von der University of the Witwatersrand in Johannesburg, Südafrika.

Vor etwa zwei Millionen Jahren gerieten eine älteres Weibchen und ein junges Männchen der Art Australopithecus sediba in einen Erdrutsch, ihre Überreste wurden augenblicklich unter den Sedimenten begraben. Der Paläoanthropologe Lee Berger von derUniversity of the Witwatersrand in Johannesburg, Südafrika, und seine Kollegen beschrieben im Jahre 2010 die Überreste dieses neu entdeckten Homininen. Jetzt untersuchte ein aus neun Experten bestehendes internationales Forscherteam die Zähne der beiden Austrolpithecinen, die aufgrund der ungewöhnlichen Todesumstände ihrer Besitzer einmalige Eigenschaften aufweisen.

„Unter den fossilen Funden früher menschlicher Überreste ist dieser Fund einmalig. Es handelt sich um den ersten direkten Beweis dafür, was unsere frühen Vorfahren in den Mund nahmen und kauten – was sie aßen", sagt Lee Berger. Initiiert wurde die aktuelle Studie durch Bergers Entdeckung von Flecken auf den Zähnen, bei denen es sich vermutlich um Zahnbelag beziehungsweise Zahnstein handelte.

„Die Konservierungsart war äußerst ungewöhnlich", sagt Peter Ungar von derUniversity of Arkansas, der im Rahmen der Studie minimalste Abnutzungsspuren an den Zähnen untersuchte. „Der Zustand der Zähne war makellos." Da die zwei Australopithecinen durch den Erdrutsch begraben und sofort von Sedimenten umhüllt wurden, waren ihre Zähne teilweise sogar von einem schützenden Luftkissen umgeben.

Dies ermöglichte es den Forschern erstmals, drei verschiedene Analysemethoden auf die Fossilien anzuwenden: Die Zahnoberflächen wurden auf winzigste Abnutzungsspuren hin untersucht und der Zahnschmelz einer Isotopenanalyse unterzogen. Da die Zähne seit dem Tod ihrer Eigentümer nicht mit den Elementen in Berührung gekommen waren, war sogar der Zahnstein, der sich zu deren Lebzeiten an den Zahnrändern gebildete hatte, noch gut erhalten. In diesem Zahnstein fanden die Forscher Phytolithen, die versteinerten Überreste von Pflanzen, die diese frühen Homininen vor zwei Millionen Jahren gegessen hatten.

„Es ist das erste Mal, dass wir diese drei Analysemethoden auf eine bzw. zwei Proben anwenden konnten", sagt Ungar. Henry ergänzt: „Wir hoffen, diese Studie inspiriert zukünftig zu weiteren fachübergreifenden Studien. Wir schätzen uns glücklich, ein so multidisziplinäres Forscherteam im Rahmen dieser Studie vereint zu haben."

Anschließend untersuchten die Forscher die Ernährungsweise der beiden Homininen: Die Ergebnisse unterscheiden sich von dem, was man bisher über die Ernährung unserer frühen Vorfahren wusste. Die Zähne zeigen mehr Rillen und komplexere Abnutzungsspuren, als man sie von früheren Australopithecinen kennt. Auch die Isotopenanalyse verrät, dass hauptsächlich Teile von Bäumen, Sträuchern und Kräutern konsumiert wurden, Gräser hingegen weniger.

Die Phytolithen gaben Auskunft über den Speiseplan der beiden Australopithecinen: Ihre Nahrung enthielt Baumrinde, Blätter, Seggen, Gräser, Früchte und Bestandteile von Palmen. Um sicherzustellen, dass die Zahnbeläge tatsächlich der Ernährung und nicht einer Verunreinigung nach dem Tode geschuldet waren, untersuchten die Forscher die Sedimente, in denen die Homininen begraben waren. „Die Untersuchung ergab, dass es sich bei den im Zahnstein enthaltenen pflanzlichen Überresten mit Sicherheit nicht um eine Kontamination durch umgebende Sedimente handelt", sagt Marion Bamford von der University of the Witwatersrand, die die Phytolithenanalyse durchführte.

„Persönlich fand ich es überraschend, dass unsere frühen Vorfahren Baumrinde aßen", sagt Berger. „Obwohl Primatologen seit Jahren bekannt ist, dass Primaten - einschließlich der Menschenaffen – Baumrinde als eiserne Reserve in Notzeiten zu sich nehmen, hatte ich sie nicht auf dem Speiseplan eines frühen menschlichen Vorfahren vermutet."

Matt Sponheimer von der University of Colorado in Boulder, USA, der die Isotopenanalyse durchführte: „Mithilfe einer Art Laser-Zahnbehandlung an zwei längst verstorbenen Patienten haben wir untersucht, was uns der im Zahnstein enthaltene Kohlenstoff über die Ernährung der Homininen aus Malapa verraten kann. Die Ergebnisse zeigen, dass sich ihre Ernährung von der anderen früher Homininen unterscheidet und eher der von Schimpansen ähnelt. Wir hatten nicht erwartet, dass es Ernährungsunterschiede zwischen Australopithecus sediba und anderen Homininen der Gattung Australopithecus und frühen Vertretern der Gattung Homogeben würde, da Forscher eine enge Verwandschaft von Australopithecus sedibamit einem Vertreter dieser beiden Gattungen vermutet hatten."

Ungar ergänzt: „Die Zähne scheinen einem Tier zu gehören, das in Wäldern vorkommende Nahrungsmittel nutzte". Diese Art der Nahrungsaufnahme unterscheidet sich von der Nahrungsaufnahme anderer Australopithecinen. „Wenn man sich die chemische Zusammensetzung der Zähne betrachtet, ähnelt diese eher der von Zähnen einer Giraffe. Viele der anderen Tiere dort ernährten sich nicht von Nahrungsstoffen aus Wäldern."

„Die Ergebnisse der Studie erzählen eine wirklich schöne Geschichte über diese beiden Individuen", sagt Ungar. Berger ergänzt: „Einen direkten Beleg davon zu haben, was unsere frühen menschlichen Vorfahren in ihre Münder steckten und kauten und dass Spuren davon nach zwei Millionen Jahren noch erhalten sind, ist wirklich bemerkenswert."

Lee Berger von der University of the Witwatersrand leitete das Projekt. Amanda Henry vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, Marion Bamford von der University of the Witwatersrand und Lloyd Rossouw vomNational Museum Bloemfontein in Südafrika untersuchten die Phytolithen. Peter Ungar analysierte winzigste Abnutzungsspuren an den Zähnen. Benjamin Passey von der Johns Hopkins University, Matt Sponheimer und Paul Sandberg von derUniversity of Colorado in Boulder, USA, und Darryl de Ruiter von Texas A&Mführten die Isotopenanalyse durch. (MPI)

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