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Massachusetts :

Genetische Untersuchungen von Hirntumoren: Neue Therapieansätze bei 56% der Patienten

Stand: 28.09.15 10:04 Uhr

Die Gensequenzen eines Tumors zu enträtseln, der in das Gehirn metastasiert hat, könnte neue unerwartete Zielstrukturen für die Therapie bieten, zeigen aktuelle auf dem European Cancer Congress 2015 [1] präsentierte und simultan in "Cancer Discovery" [2] publizierte Forschungsergebnisse. Die Wissenschaftler berichten, dass sie hinsichtlich der genetischen Information wesentliche Unterschiede zwischen dem primären Tumor, also dem Ursprung der Streuung und dessen Absiedlungen im Gehirn, den Hirnmetastasen, gefunden haben.

Dr. Priscilla Brastianos, eine Neuroonkologin, die das Hirnmetastasen-Programm am Massachusetts General Hospital in Boston, USA, leitet, sagt: „Hirnmetastasen sind eine verheerende Komplikation einer Krebserkrankung, für die es wenige Behandlungsoptionen gibt. Bei etwa acht bis zehn Prozent der Krebspatienten treten Hirnmetastasen im Verlauf der Erkrankung auf. Oft wachsen diese Metastasen sogar dann, wenn die anderswo im Körper liegende Krebserkrankung erfolgreich behandelt werden kann."

Dr. Brastianos und ihr Team untersuchten Gewebsproben von 104 Krebspatienten. In Zusammenarbeit mit Dr. Scott Carter und Dr. Gad Getz vom Broad Institute, Cambridge, USA, analysierten sie die Gene der Biopsien vom Primärtumor, von den Hirnmetastasen und von Normalgewebe jedes Patienten. Bei 20 Patienten wurden zusätzlich Proben andernorts liegender Metastasen untersucht.

Die Wissenschaftler fanden, dass es Übereinstimmungen in der Genetik von Primärtumor und Hirnmetastasen gab, aber auch wichtige Unterschiede. Bei 56% dieser Patienten wurden in den Hirnmetastasen therapeutisch anwendbare Ziele gefunden, die beim Primärtumor nicht gefunden wurden.

„Wir haben genetische Veränderungen bei Hirnmetastasen entdeckt, die in mehr als der Hälfte der Patienten Therapieentscheidungen beeinflussen können", sagt Dr. Brastianos. „Diese Genveränderungen waren im Primärtumor nicht vorhanden. Das bedeutet, dass man bei alleiniger Therapieentscheidung aufgrund der Analyse des Primärtumors potenziell wichtige Zielstrukturen einer effektiven Therapie für die Hirnmetastasen nicht kennt."

Die Studie zeigte auch, dass beim Vorliegen mehrerer Hirnmetastasen eines Patienten, diese genetisch vergleichbar waren.

Bisher hatten Wissenschaftler nur ein begrenztes Verständnis davon, wie Krebserkrankungen sich genetisch verändern bzw. entwickeln, wenn sie vom primären Tumor ausgestreut werden. Die Forscher nützten ihre Ergebnisse um eine Entwicklung der Krebserkrankung durch den Körper in Form eines sogenannten phylogenetischen Baums für jeden Patienten aufzuzeichnen. So lässt sich nachverfolgen wie der Tumor sich ausgesät hat und woher die einzelnen Metastasen stammen.

Sie schlossen aus dieser Arbeit, dass die Hirnmetastasen und der Primärtumor einen gemeinsamen genetischen Vorfahren haben. Sobald sich eine Krebszelle oder ein Zellklon vom Primärtumor ins Gehirn absiedelt, häufen sich genetische Veränderungen an. Die genetische Ähnlichkeit von Hirnmetastasen bei einem individuellen Patienten legt nahe, dass diese von einem einzigen Klon, der ins Gehirn eindringt, abstammen. Die Genveränderungen der Gehirnmetastasen sind unabhängig von jenen, die sich zur gleichen Zeit im Primärtumor und in anderen Metastasen im Körper entwickeln.

Die genetische Charakterisierung eines Primärtumors bei Patienten wird für eine optimale Therapieentscheidung herangezogen, um eine Substanz zu wählen, die auf eine spezifische Mutation abzielt. Hirnmetastasen allerdings werden derzeit nicht routinemäßig biopsiert und untersucht.

Dr. Brastianos sagt: „Wenn Gewebe von Hirnmetastasen zur Verfügung steht, dann würden wir dessen Sequenzierung und Analyse empfehlen. Es könnte mehrere therapeutische Optionen für den Patienten eröffnen. Die genetische Charakterisierung selbst nur einer einzigen Hirnmetastase kann besser sein als die Untersuchung des Primärtumors oder einer Lymphknotenbiopsie, um eine gezielte Therapie auszuwählen."

Die Notwendigkeit neuer Ansätze um Hirnmetastasen zu behandeln ist groß, sagt sie. „Hirnmetastasen stellen eine Herausforderung in der derzeitigen Behandlungspraxis dar. Mehr als die Hälfte aller Patienten mit Hirnmetastasen stirbt innerhalb weniger Monate." Hier wäre noch viel zu erforschen. „Die klinische Relevanz unserer Ergebnisse muss in prospektiven Studien geprüft werden. Wir müssen wissen, ob eine gezielte Therapie auf Basis der genetischen Mutationen bei Hirnmetastasen auch zu verbesserten klinischen Ergebnissen führt.

Professor Peter Naredi, ECCO, Co-Vorsitzender des ECC2015, der nicht in die Studie involviert war, kommentiert: „Aus meiner Sicht zeigen Dr. Brastianos und ihre Kollegen sehr elegant, was Präzisionsmedizin meint. Sie zeigen, wie genetisches Profiling das Verständnis des Metastasierungs-prozesses unterstützt und wie es verschiedene Therapiewege eröffnet. Es ist nicht genug sich auf die Charakterisierung des Primärtumors zu verlassen, da Hirnmetastasen ein anderes genetisches Profil aufweisen, das uns bei vielen Patienten bessere Therapiealternativen an die Hand gibt."

Fußnoten:

[1] Der European Cancer Congress 2015 ist der 18. Kongress der European CanCer Organisation (ECCO) und der 40. Kongress der European Society for Medical Oncology (ESMO).

[2] Brastianos, Priscilla K et al: Genomic characterization of brain metastases reveals branched evolution and potential therapeutic targets. Published online in Cancer Discovery, doi: 10.1158/2159-8290.CD-15-0369.

Die Studie wurde durch die finanzielle Unterstützung vom US National Institute of Health ermöglicht.

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