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40 % betroffen: Armutsfalle Pflege / Pflegereform: Monatlich 2.173 Euro aus eigener Tasche

Stand: 14.08.15 09:15 Uhr

Das vom Bundeskabinett beschlossene Pflegestärkungsgesetz bringt einige Verbesserungen mit sich. An den Kernproblemen, der dramatischen Unterfinanzierung des Pflegesystems und der ungenügenden Pflegeinfrastruktur, geht aber auch diese Reform zielgerichtet vorbei. Das teilte Berhard Schneider, Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung, jetzt in einer Presse-Info mit: "Die einheitliche Zuzahlung mag zwar gerechter und ein Trost sein, er nützt aber den wenigsten Bewohnern etwas, denn wer kann sich diesen Eigenanteil schon leisten. Der Gang zum Sozialamt bleibt unausweichlich", so Schneider.

Schon das erste Pflegestärkungsgesetz blieb, schreibt die Evangelische Heimstiftung, weit hinter den Erwartungen der Evangeli­schen Heimstiftung und vieler anderer Träger zurück. Auch die Hoffnungen, die sich an den von Minister Gröhe angekündigten großen zweiten Reformschritt geknüpft haben, sind nur teilweise erfüllt.

Natürlich muss man anerkennen, dass durch den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und das neue Begutachtungsassessment langjährige Forderungen der Pflegebranche erfüllt werden und die ungerechte Behandlung von Menschen mit demenziellen Einschränkungen beendet wird. Auch die Leistungsverbesserungen im ambulanten und teilstationären Bereich sind ebenso zu begrüßen, wie die Idee eines einheitlichen Zuzahlungsbetrages in der stationären Pflege.

„Das Kernproblem der Unterfinanzierung in den Pflegeheimen wird aber leider wieder nicht angegangen", so die Kritik von Bernhard Schneider, Hauptgeschäftsführer der Evangeli­schen Heimstiftung. In einem Rechenbeispiel zeigt sich, dass sich der Eigenanteil in einer kleinen Einrichtung im Schwarzwald von 2.108 Euro in der bisherigen Pflegestufe 1 bzw. von 2.384 Euro in der Stufe 2 auf einen einheitlichen Zuzahlungsbetrag von 2.173 Euro erhöht bzw. verringert. „Die einheitliche Zuzahlung mag zwar gerechter und ein Trost sein, er nützt aber den wenigsten Bewohnern etwas, denn wer kann sich diesen Eigenanteil schon leisten. Der Gang zum Sozialamt bleibt unausweichlich", so Schneider weiter.

Die Wahrheit ist: Die Pflege steckt in der Armutsfalle. Seit Einführung der Pflegeversicherung hat sich der Eigenanteil im Pflegeheim verdoppelt. Damit sind Pflegebedürftige und Angehö­rige überfordert. „Es ist aus meiner Sicht ein sozialpolitischer Skandal, dass mit Eintritt der Pflegebedürftigkeit das Armutsrisiko dramatisch nach oben schnellt. Es darf nicht sein, dass 40 Prozent der Pflegebedürftigen auf Sozialhilfe angewiesen sind", kritisiert Schneider.

Die im Pflegestärkungsgesetz versprochenen Leistungsverbesserungen reichen deshalb bei Weitem nicht aus. Der Beitrag zur Pflegeversicherung müsste um einen weiteren Prozent­punkt erhöht werden, um die Pflegebedürftigen und deren Angehörige im notwendigen Maß zu entlasten und damit auch die Voraussetzung zu schaffen, dass sich die Rahmenbedin­gungen in der Pflege deutlich verbessern können. Die Pflege braucht mehr Personal, das gut qualifiziert und gut bezahlt werden muss.

„Wer A sagt und eine Verbesserung für Pflegebedürftige, Angehörige und Pflegebeschäftigte verspricht, muss auch B sagen und die Leistungen der Pflegeversicherung so erhöhen, dass die pflegebedingten Kosten auch im Pflegeheim voll von der Pflegeversicherung gedeckt werden." Der einheitliche Zuzahlungsbetrag würde sich dann ganz einfach aus dem Entgelt für Unterkunft und Verpflegung und dem Investitionskostenanteil ergeben. „Das sind insge­samt 900 Euro bis 1.200 Euro im Monat. Das ist in etwa der Betrag, der auch für Miete und Haushaltkosten zu Hause anfällt und der deshalb auch für das Pflegeheim angemessen und finanzierbar wäre", rechnet Schneider vor. Um das zu erreichen, müssten die Pflegeversi­cherungsleistungen im Durchschnitt mindestens verdoppelt werden.

Auch die Erwartungen an eine aktive Infrastrukturpolitik für die Pflege sind nicht erfüllt wor­den. Mit einem verbindlichen, breit angelegten Investitions- und Förderprogramm, sollten kleinräumige und an den Lebensbedürfnissen älterer pflegebedürftiger Menschen ausgerich­tete Pflegeangebote geschaffen werden. Länder und Kommunen werden mit dem Pflege­stärkungsgesetz wieder nicht konkret in die Pflicht genommen. Sie werden in die Gestaltung der Pflegeinfrastruktur aber erst dann aktiv, wenn aus der unverbindlichen Sollbestimmung im SGB XI eine Pflichtleistung zur Vorhaltung einer angemessenen Pflegeinfrastruktur wird.

Hintergrund ist, dass seit Anbeginn der Pflegeversicherung die Kommunen ihre Einsparun­gen aus der Pflegeversicherung eigentlich für die Pflegeinfrastruktur einsetzen sollen. Bei rund 300.000 Empfängern von Hilfe zur Pflege allein im stationären Setting dürften das bun­desweit über 3,6 Milliarden Euro jährlich sein. Aber was machen die Städte und Gemeinden mit dem eingesparten Geld? Im besten Fall werden davon Krankenhäuser oder Kitas gebaut, aber keine Quartiershäuser oder kleine wohnortnahe Pflegeeinrichtungen finanziert, keine Tagespflege und keine Kurzzeitpflege gefördert, keine Quartiersmanager bezahlt und keine ambulant betreuten WGs gefördert. Die Pflegeversicherten zahlen also doppelt: Über den höheren Versicherungsbeitrag für die Pflegeversicherung und über die hohen Investitions­kostenanteile.

In der Kinderbetreuung gibt es einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Die Evangelische Heimstiftung fordert, dass im Pflegestärkungsgesetz ein Rechtsanspruch auf ein bedarfsge­rechtes Pflege- und Betreuungsangebot für Pflegebedürftige verankert wird. Das ist leider ausgeblieben.

Mit einem breiten politischen Gestaltungswillen wäre es möglich gewesen, die wirklich wich­tigen Kernthemen der Pflege anzupackend und im Sinne der betroffenen Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen zu lösen. „Von der Großen Koalition hätte man das erwarten können. So ist das Ergebnis insgesamt leider schwach", resümiert Schneider. „Diese Pflegereform verdient den Namen Stärkungsgesetz deshalb nicht wirklich."

Die EHS wurde eigenen Angaben zufolge 1952 gegründet, ist Mitglied im Diakonischen Werk und betreibt als gemeinnütziges, modern ausgerichtetes Unternehmen 83 Einrichtungen mit insgesamt 7.200 Plätzen. Dazu gehören 81 Pflegeheime, eine Rehabilitationskli­nik, eine Einrichtung für Menschen mit Behinderungen sowie 1.300 Betreute Wohnungen und 17 Mo­bile Dienste mit knapp 1.800 Kunden. Insgesamt betreut die EHS mit 7.200 Beschäftigten fast 10.300 pflege- und hilfebedürftige Menschen. Zum Leistungsspektrum gehören alle Dienstleistungen rund um Pflege und Alter. Mit dem Tochterunternehmen ABG (Altenhilfe Beratungs GmbH) verfügt die EHS zudem über einen Einkaufsverbund mit bundesweit über 3.800 Kunden. Die EHS ist das größte sozia­le Dienstleistungsunternehmen im Bereich der Altenpflege in Baden-Württemberg.

 

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