Barbara Bosch | Bildquelle: RTF.1

Baden-Württemberg:

"Etwas, was wir uns nicht ausmalen wollen" - Großstädte warnen vor Scheitern der Flüchtlingspolitik

Stand: 12.08.15 19:36 Uhr

Erst gestern und am Freitag hatten wir über die dramatische Unterbringungsnot der Städte und Landkreise beim Thema Flüchtlinge berichtet, in der der Tübinger OB Boris Palmer sogar eine Beschlagnahme leerstehender Gebäude, deren Vermietung abgelehnt wird, ins Spiel gebracht hat und Zeltstädte schon bald für wahrscheinlich hält. Rund 80.000 Flüchtlinge - eine historische Rekordzahl - wird allein Baden-Württemberg 2015 aufnehmen müssen. Rund 60 Prozent der Aspiranten - vor allem jene aus den Balkanstaaten und Teilen Afrikas - haben, so der Präsident des Bundesamts für Migration, praktisch keinerlei Chancen auf Anerkennung, weil sie weder politisch verfolgt noch "an Leib und Leben" bedroht sind. Aber auch sie müssen derzeit lange untergebracht werden. Heute haben die baden-württembergischen Großstädte Reutlingen, Baden-Baden, Heilbronn, Pforzheim und Ulm einen dramatischen brieflichen Appell an das Land und den Bundesinnenminister gerichtet.


Das Gebäude Nummer 40 der Ypern-Kaserne in Reutlingen: Hier hat die Stadt wegen der immer größer werdenden Zahl vom Land verpflichtend zugewiesener Flüchtlinge im Mai im Schnellverfahren und für 800.000 Euro Unterbingungsplätze für 180 Menschen geschaffen. Auf 500 könnte die Kapazität erweitert werden. Mittlerweile muss die Stadt aber pro Monate 60 zusätzliche Flüchtlinge versorgen. 3 weitere Standorte werden kommen.

Und damit auch immer neue, immense zusätzliche Kosten, die zu Lasten städtischer Haushalte gehen. Eine Situation, in der sich Gemeinden, Städte und Kreise logistisch und finanziell zunehmend am Ende ihrer Belastbarkeit wähnen. Zustände, die Stadte-, Landkreis- und Gemeindetag schon lange bitter beklagen:

"Das Land", so Joachim Walter, der Präsident des Landkreistages kürzlich, "löse seine Probleme momentan auf unsere Kosten. Wir bekommen die Menschen direkt aus den Landeserstaufnahmestellen zugewiesen, teilweise ohne Identifikation, ohne Aufnahme der Asylanträge, auch ohne gesundheitliche Untersuchungen".

Und Barbara Bosch, Reutlinger Oberbürgermeisterin und Präsidentin des Baden-Württembergischen Städtetags, hatte bereits im vergangenen Oktober beklagt, dass es bisher finanzielle Pauschalen gebe, "die nicht auskömmlich sind."

Bei Asyl-, Flüchtlings- und Migration-Angelegenheiten bis zur Abschiebung sieht die Landesregierung selbst aber vor allem den Bund am Zug - grade auch bei der Übernahme der kommunal beklagten Kosten. Aber auch der Bund selbst ziert sich: Ein Schwarzer-Peter-Spiel um Verantwortlichkeiten, bei denen die Kommunen am Ende der Kette praktisch machtlos die allein Leidtragenden sind.

Mit einem öffentlich an Bund und Land gerichteten brieflichen Appell wollen die Spitzen der fünf Baden-Württembergische Großstädte Baden-Baden, Heilbronn, Reutlingen, Pforzheim und Ulm, stellvertretend für alle anderen Kommunen, jetzt diesem ergebnislosen Verantwortlichkeits-Zugeschiebe ein Ende machen. Ihre Forderungen:

So soll verhindert werden, dass Menschen ohne entschiedenes Verfahren oder mit abgelehntem Asylgesuch in die Kommunen kommen. Sind sie aber einmal dort in der kommunalen Anschlussunterbringung, fordern die Kommunen

Der Brief-Appell der fünf Oberbürgermeister endet mit einem Bekenntnis, mit aller Kraft  der empfundenen humanitären Verpflichtung für Menschen in Not nachkommen zu wollen; und alle Möglichkeiten bereitzustellen,  damit die Integration dieser Menschen in die Gesellschaft gelinge.

In einer Zeit, in der nicht wenige Rathäuser mittlerweile Briefe mit teilweise fragwürdigen Inhalten erreichen, Bürger gegen Flüchtlingsstandorte aufbegehren und in der die Integrationsministerin von einer mittlerweile "fragilen Stimmung" spricht, folgt am Ende eine Mahnung an Stuttgart und Berlin:

Wenn es nicht umgehend zu zielgerichteter Hilfe durch Bund und Land komme, dann werde man "bald an Grenzen stoßen. Die Folgen des Scheiterns" - so heißt es weiter wörtlich - „mögen wir uns alle nicht ausmalen".

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