Boris Palmer im RTF.1-Interview | Bildquelle: RTF.1

Tübingen:

"Beschlagnahmung leer stehender Gebäude begründbar" - Tübinger OB Boris Palmer über Flüchtlingswelle und Unterbringungsnotstand

Stand: 09.08.15 21:08 Uhr

Als dramatisch hat am letzten Freitag der Tübinger Landrat Joachim Walter die Situation der Unterbringung von immer mehr Flüchtlingen dargestellt - weil allmählich geeignete Gebäude ausgehen und mittlerweile auch Schulhallen so wie bezeltete Parkplätze als Unterbringungsmöglichkeiten in Betracht gezogen werden müssen. Eine Situation, die nicht nur zu Unmut und Briefen recht fragwürdigen Inhalts an etliche Rathäuser führt. Deswegen hat auch die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney kürzlich von einer äußerst fragilen Stimmung gesprochen, die nicht kippen dürfe. Doch wie dies ändern? Wir haben über die derzeitige Situation mit dem Tübinger OB und Grünen-Politiker Boris Palmer gesprochen. Dabei sparte dieser nicht mit Kritik an der eigenen Bundespartei.


Die Kreissporthalle des Landkreises Tübingen in Tübingen-Derendingen. Ab September soll das Gebäude als Unterkunft für 250 Flüchtlinge dienen. Die Requirierung der öffentlichen Halle als Flüchtlingsunterkunft: Beispiel für die immer akuter werdende Not an zur Verfügung stehenden leerstehender Gebäude, mit denen der Landkreis Tübingen den ihm vom Land auferlegten Pflichten nachkommt. Und die legen fest, dass der Kreis künftig pro Monat 250 neue Asylbewerber aufnimmt. So wie hier ist die Situation auch fast überall anderswo.

Um ihre Anzahl an Pflicht-Unterbringungen am Kreis beizutragen, hat in der Stadt Tübingen die Rathaus-Spitze deshalb jetzt damit begonnen, neben städtischen Gebäuden auch weitere Möglichkeiten und Maßnahmen in den Blick zu nehmen. Man sei jetzt an eine Grenze gekommen, so der Tübinger OB Boris Palmer, und er fürchte, dass man am Ende auch um einige Zeltstädte nicht herumkomme.

Mit bis zu 80 000 Flüchtlingen 2015 – so Experten – muss Baden-Württemberg, Deutschland mit rund 400 000 rechnen. Historische Zahlen, die entscheidend geringer sein könnten -wenn die schnelle Rückführung jener 66 Prozent gelänge, die vor der Armut oder der Perspekivlosigkeit in den Heimatländern davonlaufen.

Wenn man sowieso wisse, "dass 99 Prozent der Menschen aus den Balkan-Ländern sowieso abgelehnt werden, dann bin ich der Meinung, dass das auch richtig ist", so Palmer zu RTF.1. Deswegen sei er überzeugt, dass es "etwas bringen würde, die Balkan-Staaten insgesamt zu sicheren Herkunftsländern zu erklären".

Durch eine Bundesrats-Mehrheit wäre das theoretisch auch schnell zu erreichen, weil hier das grün-rot regierte Baden-Württemberg das Zünglein an der Waage ist. Hier aber stellen sich vor allem die prominenten Spitzen von Palmers grüner Bundespartei bisher quer.

Davon lässt sich der Tübinger OB aber nicht abschrecken. Seiner Partei müsse er immer wieder sagen, dass "man sich besser um das eine Drittel kümmern müsse, das wirklich hierbleiben kann". Diesen Menschen  müsse man intensive Deutsche- und Integrationskurse abieten können. Das aber bedeute zugleich, dass man für die Rückkehr der anderen in ihre Heimatländer sorgen müsse.

Die grünen Bundesspitze um  Fraktionschef Anton Hofreiter will das bisher aber par tout nicht; sie fordert  stattdessen für jene ein generelles Bleiberecht als "Arbeits-Zuwanderer". Palmer will sich hingegen bei einer solchen Möglichkeit strikt am Bedarf orientieren, wie das andere traditionelle Einwanderungsländer tun. Beispielsweise immer dort, "wo in Deutschland Mangel herrscht" -  an Azubis, Lehrlingen, im Handwerk oder bei Restaurant-Servicekräfte oder den Pflegeberufen bneispielsweise.

Trotz aller Überlastungen, sozialer Überforderung mancher, teils kippenden Stimmung in anderen Städten: Sorge macht Palmer vor allem, dass die Zeit für neue Unterbringungsmöglichkeiten bis zum Winter immer kürzer wird. Generell aber habe er in Tübingen nicht, den Eindruck, dass sich eine Stimmung gegen Asylbewerber aufbaue. Allerdings erwarte er Diskussion um menschenwürdige Unterbringung.

Deshalb müsse jetzt von Bund, Ländern und Gemeinden dringend in Wohnraum investiert und gebaut werden. Leerstehende Häuser, die die Stadt auch nicht mieten dürfe, seien jetzt jedenfalls nicht mehr hinnehmbar.

Falls deren Besitzer sich dieser Verantwortung trotzdem entzögen – so Palmer jetzt auf in einem Facebook-Post vom 7. August – dann sei aus seiner Sicht auch eine Beschlagnahmung leer stehender Gebäude durchaus begründbar.

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