Auf dem Dachboden: Teil der Dauerausstellung im Tübinger Stadtmuseum | Bildquelle: RTF.1

Tübingen:

Der Dachboden als Zeitmaschine: Neue Ausstellungen im Stadtmuseum

Stand: 03.04.22 15:42 Uhr

Das Stadtmuseum Tübingen zeigt seit Freitag zwei neue Ausstellungen: Während der „Room of Memories“ eine spannende und spielerische Reise in die Vergangenheit für jung und alt bietet, geben die abstrakten Kunstwerke von Regina Baumhauer eine breite Projektionsfläche für vielfältige Assoziationen. Wir waren für Sie vor Ort.


"Willkommen im Room of Memories", ertönt eine Stimme. "Hinter dieser Tür verbergen sich dunkle Erinnerungen. Wollt ihr den Dachboden erkunden? Dann müsst ihr mindestens zu zweit und höchstens zu viert sein. Wähl auf der Wählscheibe die Zahl, zu wie vielen ihr seid."

Und schon beginnt das Abenteuer, eine Reise in die Vergangenheit. Zunächst zurück in die eigene Kindheit. Jeder darf sich einen Gegenstand wählen, der für ihn eine Kindheitserinnerung darstellt. Mitkurator Bruno Wiedermann schnappt sich ein Harry-Potter-Buch und ein altes Mobiltelefon. Er legt sie auf dafür vorgesehene Podeste, und sofort erklingen ein Zauberspruch und ein heute schon altmodisch wirkendes Klingeln.

Doch es geht noch weiter in die Vergangenheit. Auf dem Dachboden lagern Gegenstände aus der NS-Zeit, die es aufzustöbern gilt. Was ein wenig an einen Escape Room erinnern mag, ist ein Serious Game, ein ernstes Spiel. Denn die Gegenstände reißen die Teilnehmer mit in dunkle Zeiten. "Man muss sich überlegen: Wie würde ich mich verhalten, wenn ich in so einer ähnlichen Situation wäre?" sagt Mitkurator Bruno Wiedermann. "Das muss man dann miteinander besprechen; also ist es sehr interaktiv, man kann anfassen und selber machen, man kann auch miteinander sprechen und ins Gespräch kommen, und es ist wirklich ein Gruppenerlebnis."

Natürlich sind nicht alle Gegenstände auf dem Dachboden aus der NS-Zeit. Auf richtigen Dachböden lagert ja oft auch alles durcheinander. Nicht schön geordnet in Vitrinen wie im Museum. Aus diesem Durcheinander heraus gilt es, die Objekte aus den schweren Zeiten zu finden. Denn sie führen zu Geschichten, die sich tatsächlich so in Tübingen zugetragen haben. Und zur Frage: Wie würden Sie entscheiden. Ein Beispiel:

Museumsleiterin Wiebke Ratzeburg berichtet: "Ich hatte ein Testspiel gemacht, da hatte ich einen Hut rausgesucht." Es war ein Sommerhut aus den 1920er Jahren, und er führte sie zu einer Geschichte einer Sinti-Familie aus Tübingen. Ein Polizist hatte den Vater darauf hingewiesen, dass der Sohn zu schick angezogen war. Das durfte er damals nicht sein in einer Zeit, als die Sinti schon von der NS-Herrschaft systematisch diskriminiert wurden. "Und dann die Frage: Was mache ich als Vater?" so Ratzeburg. "Verbiete ich dem Jungen, sich schick anzuziehen? Will ich dann eigentlich die sozialen Kontakte einschränken, oder was tue ich dann?"

Die Auflösung, wie sich die Menschen aus der damaligen Zeit wirklich verhalten hatten, gibt es im Anschluss im Ausstellungsbereich. "Und das ist natürlich ein ganz anderer, ganz persönlicher Zugang, den man dann plötzlich hat", erklärt Wiebke Ratzeburg. "Man sieht nicht etwa anonyme Dinge und Personen, sondern man denkt: Ja genau, ich habe gerade noch gedacht: Ich wäre in der Situation. Was ist da jetzt passiert? Was ist daraus geworden?"

Zu diesem Thema passt auch „Wehret den Anfängen" - eine Sonderausstellung mit Bildern von Regina Baumhauer. Baumhauer befasst sich mit extremen Situationen und ihren Einfluss auf den Alltag. So beschäftigt sie sich mit der Weißen Rose oder dem Schicksal der Juden in Buttenhausen. Immer auch mit einem Bezug zur Gegenwart. Unterdrückung, Vertreibung und Flucht, aber auch Menschlichkeit und Zivilcourage sind ihre Themen. Der Künstlerin ist dabei wichtig, eine Botschaft zu vermitteln.

"Das ist bei den Werken von Regina Baumhauer in ganz besonderer Weise", sagt Kuratorin Dr. Evamaria Blattner, "weil sie nicht nur gesellschaftliche Ereignisse aufgreift sondern auch ganz persönliche, also, sie spricht da von der eigenen Fragilität, der eigenen Zerbrechlichkeit und der eigenen Bedrohtheit unserer Körper."

Die Kunstausstellung „Wehret den Anfängen" ist noch bis zum 28. August im Stadtmuseum zu sehen. Der Room of Memories, das Serious Game auf dem Dachboden dagegen bleibt als Teil der Dauerausstellung.

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