Maikundgebung in Tübingen | Bildquelle: RTF.1

Tübingen:

Zeit für mehr Solidarität: Erster-Mai-Demonstration

Stand: 01.05.16 17:10 Uhr

Die Erste-Mai-Kundgebung in Tübingen hat schon vorab für Diskussionsstoff gesorgt. Der DGB hatte Oberbürgermeister Boris Palmer ausdrücklich nicht um ein Grußwort gebeten. Grund dafür seien seine Aussagen zur Flüchtlingspolitik, die aus Sicht der Gewerkschaft für eine weltoffene Stadt wie Tübingen völlig unangemessen seien. Joachim Walter und Christine Arbogast hatten aus zeitlichen Gründen abgesagt. So ließen die Veranstalter der Kundgebung - in der Tat ein Novum - das Grußwort von einem Flüchtling sprechen.


Nadel Fares, Flüchtling aus Syrien, sprach in arabischer Sprache  – mit Übersetzung ins Deutsche 
und in die Gebärdensprache. Die syrischen Arbeiter, so Fares, seien gekommen, um unter den selben Bedingungen zu arbeiten wie die Deutschen. Sie würden keine niedrigeren und keine höheren sondern nur die gleichen Löhne akzeptieren, sagte er bei seinem Grußwort.
 
Zuvor hatte sich eine Demonstration vom Europaplatz bis zum Marktplatz gezogen – angeführt von den Rednern des Vormittags – unter dem Motto „Zeit für Solidarität“. Mit dabei Gewerkschafter, aber auch Vertreter von Parteien aus dem linken Spektrum, darunter auch die DKP und die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend SDAJ. 
 
Zur Kundgebung auf dem Marktplatz waren zahlreiche Politiker von SPD, Grüne und Linke gekommen.
Hauptredner war der Volkswirtschaftler Prof. Stefan Sell, der als Experte in Arbeitsmarktfragen gilt, und er legte mit Zahlen gestützt den Finger in die Wunde: Durchschnittlich besäße jeder Haushalt 214.000 Euro.  "Jetzt wird der eine oder andere sich wundern und fragen: Mist, was ist da schiefgelaufen? Sie kennen vielleicht das Bild: Wenn du mit einer Hand auf der heißen Herdplatte bist und mit der anderen auf der kalten, ist dir durchschnittlich lauwarm. Das hilft aber der Hand auf der heißen Herdplatte nix", sagte Prof. Sell.
 
Denn zehn Prozent der Deutschen gehörten 60 Prozent des Vermögens, während sich die Hälfte der Bevölkerung gerade mal 2,5 % teilten. Nächstes Thema: Arbeitslosigkeit. Zwar seien laut Statistik nur 2,7 Millionen Menschen arbeitslos, doch gäbe es mehr als sechs Millionen Menschen im Hartz-IV-System. Außerdem: In Westdeutschland seien nur noch 51 Prozent der Beschäftigten tarifgebunden.  Dabei liege der Lohn-Unterschied zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Unternehmen bei 18 Prozent über alle Branchen hinweg. Hier müssten die Beschäftigten auch selber, so Sell wörtlich, den "Arsch hochkriegen".
 
Vor allem aber drohe einem Großteil der Bevölkerung die Altersarmut. Um eine Rente von 1.300 Euro brutto zu bekommen, müsste man mehr als 3.000 Euro im Monat verdienen – und das 45 Jahre lang, so Sell. Zum Schluss ging Sell auf den neuesten Vorstoß der Bundesregierung ein, der vor allem Alleinerziehende mit Hartz IV betrifft: Wenn das Kind zwei, drei oder vier Tage beim anderen Elternteil ist, dann wird für diese Tage Hartz IV gekürzt, und die Alleinerziehenden müssen allen diese Tage einmal im Monat beim Jobcenter melden. "Die, die nichts haben, denen tritt man von oben, die demütigt man noch", kommentierte Prof. Sell die geplante Maßnahme.
 
Aus den laufenden Tarifverhandlungen berichteten weitere Gewerkschaftsvertreter. Im öffentlichen Dienst hatten sich Arbeitgeber und Gewerkschaften wie berichtet geeinigt.  Doch in der Metall- und Elektroindustrie stehen die Zeichen auf Sturm. Die Arbeitgeber hätten der Gewerkschaft vorgeworfen, durch überzogene Forderungen den deutschen Produktionsstandort zu gefährden, sagte Maria Dimoudis von der IG Metall. Diese Aussagen seien beleidigend und provokant.
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