Rollstuhlfahrer in Bebenhausen | Bildquelle: RTF.1

Bebenhausen/Stuttgart:

Landesbehindertenbeauftragter will barrierefreie Kulturdenkmäler

Stand: 07.05.14 02:01 Uhr

Rund 53 Milliarden würde es kosten, ganz Deutschland barrierrefrei zu machen – so der Landesbehindertenbeauftragte Gerd Weimar gestern in Bebenhausen. Aber nur Barrierrefreiheit sichert Inklusion: die komplette Teilhabe behinderter Menschen am öffentlichen Leben. Und dazu gehöre auch, dass denkmalgeschützte Anlagen, Gebäude und Denkmäler unkompliziert zugänglich sind. Pünktlich zum gestrigen europaweiten Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung hatte Weimer Verantwortliche zu einem Vorortstermin ins Kloster Bebenhausen bei Tübingen eingeladen.

Das Zisterzienser-Kloster Bebenhausen bei Tübingen: ein Kleinod, das Jahr für Jahr zehnausende Besucher anzieht. Für Menschen mit Gehbehinderungen wird die Besichtigung aber ganz schnell zur Tortur: Ob Rollifahrer, Rolatoren-Benutzer oder Krückengeher: Die schönen denkmalgeschützten, steigenden Holper-Pflaster hinter dem Eingangstor erschweren oder verhindern das Fortkommen. Das mussten gestern auch die erfahren, die das Problem nicht aus eigener Anschauung kennen:

Michael Hörmann, Geschäftsführer von "Staatliche Schlösser und Gärten", ist einer von ihnen. Und gestern er nimmt die Gelegenheit wahr, in einen bereitstehenden Rollstuhl zu steigen. Für ihn ist es ein "Augenöffner". Nie hätte er gedacht, dass es so schwierig und mühsam sein könne, im Rolle einen historischen Pflasterweg hinaufzufahren. Der Tübinger Kreisrat Andreas Braun ist Rollstuhlfahrer. Und er kommt zu einem noch bittererem Ergebnis. Ohne Hilfe hätte er die Steigung nicht schaffen können, da ist er sich sicher.

Unüberwindbar erweisen sich oft auch die Hindernisse fürs "kleine Geschäft", das durch Barrieren schnell zur großen Sache wird – oder Zugangstreppen.  Barrieren oft, wohin das Auge auch blickt. All dies soll sich ändern – trotz knapper Finanzmittel, die auch für Sanierungen und Feuerschutz herhalten müssen. Zudem, so Willi Rudolf, Kreisbehindertenbeauftragter im Landkreis Tübingen, müsse selbst bei Versprechungen fein zwischen "Sonntagsreden" und den faktischen Realitäten später unterschieden werden. Generell gelte: der Abbau von Barrierren müsse schneller vorankommen.

Da sieht auch Gerd Weimer, der Landesbehindertenbeauftragte, so. Für einen Menschen, der im Rollstuhl sitze, verrinne beim Warten auf Lösungen sprichwörtlich die Zeit. Das Kloster Bebenhausen sei hier ein besonders gutes Beispiel, denn dort würden seit 20 Jahren bessere Lösungen versprochen. Kein Wunder also, dass der Unmut allmählich groß werde."

Problem erkannt, Problem gebannt? So einfach liegen die Dinge bei denkmalgeschützten Anlagen in der Regel aber nicht. Der Grundkonflikt ist schnell umrissen: Kulturelles Erbe, so Schlösser-Chef Hörmann,  heisse einerseits Recht auf Teilhaben können. Andererseits gebe es ein Recht der kommenden Generationen auf die Bewahrung  des historischen Erbes. Und hier gelte: ein historischer Stein, der einmal abgebaut ist, der könne nicht wieder hingebaut werden. Im Fall Bebenhausen gebe es dafür gute Beispiele, so Bernd Selbmann vom Amt "Vermögen und Bau" im Regierungspräsidium Tübingen. So könne ein Teil rund um den Kreuzgang relativ gut und problemlos zugängig gemacht werden, die alte Schlossküche aber nun beispielsweise gar nicht.

Für Bebenhausen deuten sich indessen praktikable Teil-Lösungen an: Gehbehinderte bekommen ein ebenerdig erreichbares WC und sollen zum Aussteigen in den Hof gefahren werden dürfen. Ein permanenter Zugang wäre nach Umbauarbeiten über eine Strasse möglich, die ums Kloster herumführt. Die Kosten werden auf rund eine Million Euro geschätzt. Indessen will die Große Koalition in Berlin  mit höchster Priorität ein "Bundesteilhabegesetz" schmieden, so der Tübinger SPD-Bundestagsabgeordnete Martin Rosemann in eine Presseerklärung. Damit könnten Betroffene gegen entsprechende Mißstände klagen. Die Partei "Die Linke"  geht sogar noch  einen Schritt weiter: sie fordert eine europaweite Antidiskriminierungsrichtlinie.

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