Boris Palmer im RTF.1-Interview | Bildquelle: RTF.1

Tübingen:

"Grenze der sozialen Verträglichkeit": Palmer warnt vor Scheitern der Flüchtlingspolitik und fordert "realistischen Blick auf die Wirklichkeit"

Stand: 10.09.15 17:57 Uhr

Angesichts der nicht abebbenden Flüchtlingsströme hat Boris Palmer gegenüber RTF.1 vor einem Scheitern der Flüchtlingspolitik gewarnt. Palmer verlangt "einen realistischen Blick auf die Wirklichkeit" , und bei der Behandlung der Flüchtlinge wirklich Verfolgte von solchen mit wirtschaftlichen Motiven strikt zu trennen.


Gleichzeitig fordert der grüne Spitzenpolitiker und Tübinger OB seine Partei auf, bundespolitisch - als Zünglein an der Waage - den Weg für notwendige Gesetzes-Änderungen frei zu machen. Deutschland werde nicht Jahr für Jahr 800 000 Flüchtlinge aufnehmen und integrieren können. Es gebe eine Grenze der sozialen Belastbarkeit. Die Deutschen - so Palmer weiter - müssten sich aber wiederum auf eine deutlich veränderte Gesellschaft einstellen; deren Gesicht könne heute noch niemand vorhersagen.

Die Landeserstaufnahmestelle in Karlsruhe: hier, wie auch in den anderen überfüllten Landes-LEAs ist die Lage verzweifelt: Die auf 10 000 Flüchtlinge angelegten Einrichtungen, haben mit 20 000 Untergebrachten längst die Kapazitätsgrenze überschritten.

Allein seit Samstag sind im Land 3900 Asylsuchende neu angekommen. Mit mindestens Minimum 800 000 Flüchtlinge ist deutschlandweit für 2015 zu rechnen, die registiert, erstversorgt, untergebracht werden müssen. Nach der Asyl-Entscheidung setzt sich die Probleme durch Zuweisungen in Kreisen und Kommunen fort.

Eine Mischung aus Hilfsbereitschaft, Überforderung und Ablehnung oder Wut. Dazu parteipolitische Uneinigkeit; Flüchtlingszahlen, die irgendwann die Grenze der sozialen Belastbarkeit erreichten - und langfristig eine explosive Großwetterlage seien; Zustände, die keine Politik ins Blaue vertrügen, so Palmer.

Das gelte auch für seine eigene Partei. Für diese sei Grundfrage immer die, gewesen dass das Grundrecht auf Asyl unangetastet bleiben müxsse. Das sehe er auch so. "Ganz objektiv" werde aber jeder einsehen: wenn im komenden Jahr beispielsweise 10 Milllionen Menschen kämen, dann werde irgendwann eine solche Grenze überschritten sein.

Ab welcher Zahl die Aussichten dauerhaft Sprengstoff beinhalten, will Palmer sich nicht festlegen. Bei prognostizierten 800 000 bis eine Million Flüchtlinge 2015 stehe fest: Jetzt müsse gehandelt werden. Man müsse sich klarmachen, dass der derzeitige zustrom nicht mit denen der Vergangenheit verglich werden könne. statt rund 50 000, wie vor 5 Jahren, würden es jetzt für 2015  800 00o bis eine million Flüchtlinge. deshalb brauche es jetzt auch klar neue Verfahrensweisen.

Zum einen müsse man denen, die wirklich Schutz brauchten, "Flüchtlinge aus Kriegsgebieten und allen voran denen aus Syrien, schneller und besser Zuflucht gewähren; und zum anderen müssen wir auch diejenigen, die keinen anspruch auf asyl haben, klarer auf ihre heimatländer verweisen".

Für Flüchtlinge wie solche vom Balkan – rund 40 Prozent der jetzigen Gesamtzahl – fordert Palmer ein am deutschen Bedarf orientiertes Zuwanderungsgesetz. Für die anderen konsequente, integrationsfördernde Maßnahmen: Sprachkurse und schnelle Jobs.

Palmer übt hier auch Kritik an den Grünen: Man stehe  "vor einer so großen gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, dass wir da nicht die Oppositionsrolle spielen können, stattdessen müssen wir Verantwortung übernehmen. Am Ende muss ein paket stehen, in das mehr grüne Elemente hineinverhandelt werden müssen. Blockade darf nicht sein". Ihm selbst sei hierbei am wichtigsten, "dass der Bund den Ländern und den Kommunen seine Unterstützung dauerhaft gewährt".

Ansonsten drohe ein Zustand, bei dem finanziell und logistisch überforderte Kommunen und Kreise nicht mehr in der Lage seien, für die Flüchtlinge zu sorgen. Und dass - so Palmer – sei dann - "wirklicher sozialer Sprengstoff": "Wenn es soweit kommt, dass wir keine Sozialwohnungen mehr anbieten können, weil die mit Flüchtlingen belegt werden, dann ist das eine Gefahr für den sozialen frieden". Um das zu verhindern, brauche man jetzt vor allem Geld. Und das müsse der Bund zur Verfügung stellen.

Am Ende – so Palmer- müssten sich die Deutschen auf eine sich verändernde Gesellschaft einstellen. Die Geschichte aber zeige, dass Einwanderung - besonders in wachsenden Volkswirtschaften- gelinge -und diesen am Ende mehr Wohlstand bringe. Ein Rückwärts gebe es -angesichts der aktuellen Entwicklungen - nicht.

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