Palmer und Kretschmann im Gespräch | Bildquelle: RTF.1

Tübingen:

Politische Weggefährten und Freunde: Winfried Kretschmann und Boris Palmer diskutieren im Sudhaus

Stand: 08.10.14 19:56 Uhr

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat gestern Abend im Rahmen des Tübinger OB-Wahlkampfs im alternativen Kulturzentrum Sudhaus mit Boris Palmer diskutiert - nicht in erster Linie über originär Tübinger Wahlkampfthemen. Stattdessen ging es in dem von der ehemaligen ARD-Moderatorin Bernadette Schoog geleiteten Gespräch unter anderem um politische Ethik, politische Prinzipien, Widerstände - und über das, was die Politiker Palmer und Kretschmann verbindet.

Gestern Abend, 18 Uhr, eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn vor dem Tübinger Sudhaus. Trotz strömendem Regen sind die Tierversuchsgegner schon da. Mit einem Thema, das für den OB-Wahlkampf eigentlich keines ist, weil der Tübinger OB nicht über Tierversuche in einem wissenschaftlichen Institut entscheidet.

18 Uhr 45, in einem Innenhof. Der Ministerpräsident trifft ein. Begrüßung durch den Sudhaus-Chef. Dann stößt Palmer hinzu. Kretschmann und Palmer: Zwei grüne Spitzenpolitiker, die sich mögen. Langjährige politische Weggefährten, Freunde. Beide pragmatisch, Naturwissenschaftler, aber auch Visionäre und Querdenker. Und gerade deshalb nicht  immer von ihrer eigenen Partei gut gelitten. Palmer ist unter anderem seit seiner Kritik am grünen Steuerkonzept  vor den letzten Bundestagswahlenparteilich etwas ins abseits geraten. Er wurde aus dem Parteirat abgewählt. Kretschmann sieht sich nach seiner Zustimmung zum umstrittenen Asylkompromiss mit der Bundesregierung seinerseits scharfen innerparteilichen Attacken ausgesetzt.

Beide sind sich also  in ihren Auffassungen über eine pragmatische Ausrichtung politischer Ziele nah. Und das verbindet beide auch jetzt. Warum er Palmer jetzt in seinem Wahlkampf unterstütze? Weil dieser eben, wie er selbst auch, klare Worte und eine klare Sprache liebe, antwortet Kretschmanns. Palmer dresche nicht wie viele andere im politischen Betrieb abgedroschene Phrasen. Stattdessen scheue er  nicht, auch mal hart in die Diskussionen reinzugehen. Dann aber sei er auch wieder zu Kompromissen in der Lage, wo dies nötig sei. Über die Jahresei Palmer so  ein verlässlicher Freund geworden. Palmer sei zudem  das Paradebeispiel eines Bürgermeisters mit Ecken und Kanten. Und genau solchen Stadtoberhäuptern sei es zu verdanken, dass die die Kommunen im Land so stark und einflussreich im politischen Betrieb geworden seien.

Themen wie diese,  das Gespräch über Politik und Ethik, und weniger Tübinger Sachfragen, bestimmten dann auch das Gespräch vor vollbesetzten Sudhaus-Stühlen. Nur kurz und ganz schnell ausgebuht, gibt es eine Störung. Tierversuchsgegner entrollen lautstark ein Transparent. Kretschmann weist diesen uBeitrag als hier  „falsch am Platz" zurück. Unzivilisiert finde er das, obwohl er für die berühmt gewordene "Politik des Gehörtwerdens" stehe. Wenn man so streite und seine Themen und Argumente so aggressiv in Diskussionen "hineinblöke", dann drohe das eben von ihm gestartete Experiment zur Weiterentwicklung der Demokratie zu scheitern.

Im konkreten Fall der umstrittenen medizinischen Versuche an Affen sieht sich Palmer indessen missverstanden. Denn er habe nur gesagt, dass er die Versuche unter bestimmten Voraussetzungen und Abwägungen vertretbar finde. Bei vielen sei aber stattdessen angekommen, dass er kein Mitleid mit den Tieren habe und ein Unmensch sei. Dass Missverständnisse wie dieses entstehen könne, das müsse er zukünftig vermeiden. Und daran arbeite er.

Dass er auch sonst so oft polarisiere und sich mit teils auch hasserfüllten Reaktionen  beschäftigen müsse, das treffe ihn durchaus auch emotional. Vielleicht liege das aber auch daran,  dass ungeschminkte Wahrheiten eben auchschmerzten. Dass das so sei, das liege auch an einem politischen Diskurs, der immer verlogener werde. Bei unbequemen Tatsachen werde von vielen anderen nach dem Mund geredet.  Und oft setzten politische Gegner nicht auf Auseinandersetzungen über Sachargumente, sondern vielmehr auch auf Verdrehung von Tatsachen und  Verleumdungen. Es falle ihm immer schwerer, solche Diskurse  noch zu ertragen. Und genau diese Diskurse halte er für eine der Hauptursachen der vielbeklagten Politikverdrossenheit. So aber sei er eben nicht. Und so wolle er auch gar nicht werden.

Die ehrliche, nicht angepasste Meinungsäußerung bei Politikern halt auch er für unumgänglich, so Winfried Kretschmann. Mehr noch: er halte sie für eine Ursache seiner eigenen Beliebheit. Als "Leidenschaft zur Sache" habe dies Max Weber beschrieben. Und diese Leidenschaft, die er für ganz elementar halte, sei eine Seelenverwandtschaft, die ihn mit Boris Palmer verbinde. Für beide gelte: man sei in die Politik gegangen, um etwas zu bewegen, und nicht, um etwas zu werden. Palmer habe gezeigt habe,dass er Menschen um eine Idee zu versammeln könne. Das habe nicht nur die bundesweit beachtete Klima-Kampagne "Tübingen macht blau" gezeigt. Und das gelinge nur, wenn man selbst auch ehrliche Begeisterung für eine Sache empfinde und das auch ausstrahle.

Gesinnung allein aber reiche nicht aus, um erfolgreiche Politik zu machen. Die müsse sich vielmehr an Realitäten, möglichen Mehrheiten und Ergebnissen messen. Eine Erkenntnis, die ihn - wie auch Palmer-  hin und wieder in Konfliktstellungen zu Teilen der eigenen Partei bringe. Der habe in den vergangen Jahren in Tübingen gezeigt, dass er Visionen und Pragmatismus erfolgreich zusammen bringen könne, und, dass er in der Lage sei, über Parteigrenzen hinweg zum Wohle der Stadt Mehrheiten für wichtige Problemstellungen zu organisieren.

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