Demente Seniorin | Bildquelle: RTF.1

Kritik:

Koalitionsvertrag kann Pflegenotstand aus Branchensicht nicht beheben

Stand: 08.02.18 08:21 Uhr

Viele Ergebnisse aus den Koalitionsgesprächen zur Verbesserung der pflegerischen Versorgung sind aus Sicht der Johanniter grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings kritisieren sie, dass ambulante Pflegedienste hierbei nicht ausreichend berücksichtigt seien. Dabei hätten viele Menschen den Wunsch nach Pflege in ihrer häuslichen Umgebung. Der Paritätische Wohlfahrtsverband sieht generell große Defizite in der Gesundheits- und Sozialpolitik der angestrebten Koalition.

Jörg Lüssem, Mitglied des Bundesvorstandes der Johanniter-Unfall-Hilfe, sagt: "Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ambulanten Pflegediensten brauchen ebenso Entlastung wie in stationären oder teilstationären Einrichtungen. Ein "Sofortprogramm Pflege" sollte daher auch der ambulanten Pflege zugutekommen, denn auch hier besteht Handlungsbedarf für zeitnahe Lösungen."

Dass mit der angekündigten "Konzertierten Aktion Pflege" dem Fachkräftemangel begegnet werden soll, begrüßen die Johanniter. Es bleibe jedoch abzuwarten, wann und in welchem Umfang die geplanten Maßnahmen greifen.

"Bei aller Notwendigkeit zum Handeln muss sichergestellt sein, dass Pflegebedürftige finanziell nicht zusätzlich belastet werden", sagt Lüssem. Leider gebe es zur Refinanzierung der geplanten Maßnahmen, mit Ausnahme des Sofortprogramms in der Pflege, noch keine konkreten Aussagen.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisiert den vorliegenden Koalitionsvertrag als "Stückwerk" und "mutloses Weiter so". Die großen sozialen Aufgaben werden nach Ansicht des Verbands nicht gelöst, vielmehr würde sich die gesellschaftliche Spaltung durch verschiedene Maßnahmen und vor allem Unterlassungen noch vertiefen. Grundproblem sei wie schon bei dem letzten Koalitionsvertrag der Großen Koalition, dass zwar wichtige Themen benannt würden, aber mangels Mut zu einer solidarischen Steuer- und Finanzpolitik große Reformen ausblieben und selbst gute Ansätze hoffnungslos unterfinanziert seien.

Gemessen an den tatsächlichen Notwendigkeiten und den Wahlkampfversprechen seien auch die angekündigten Maßnahmen im Bereich der Pflege viel zu wenig und nicht geeignet, den akuten Pflegenotstand zu beheben und die Dauerkrise in der Pflege zu heilen. Auch in der Gesundheitspolitik würden Probleme schlicht vertagt, kritisiert der Verband. Statt die Zwei-Klassen-Medizin durch den Koalitionsvertrag endlich abzuschaffen, werde lediglich eine unverbindliche Kommission ohne konkreten Auftrag und Ziel eingerichtet. "Das ist Blendwerk und die Tinte nicht wert. Offensichtlich hat man sich auf gar nichts verständigen können", so Schneider. "Hier wird Durchwurschteln zum Regierungsprinzip gemacht." Die Koalitionsvereinbarungen zur Flüchtlingspolitik kritisiert der Paritätische als "menschenrechtliche Katastrophe und humanitären Skandal".

Große Defizite sieht der Paritätische insbesondere in der Gesundheits- und Sozialpolitik. "Union und SPD bleiben die Lösung der wirklich großen sozialen Probleme, vor denen wir stehen, schuldig. Altersarmut wird weiter hingenommen und was den so genannten Kampf gegen die skandalös hohe Kinderarmut angeht, gehört es zur bitteren Wahrheit, dass für Familien mit Kindern in Hartz IV so gut wie nichts getan werden soll", so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. Armutspolitisch kündigten sich mit diesem Vertrag die nächsten vier verlorenen Jahre an, warnt der Paritätische.

Das Grundproblem des ganzen Vertrages schließlich sieht der Verband in dem Verzicht auf eine solidarische Steuer- und Finanzpolitik. "Das Hauptmanko ist und bleibt die Unterfinanzierung all dessen, was nötig wäre. Dass Union und SPD auf Steuererhöhungen für hohe Einkommen und große Vermögen verzichten wollen ist grob fahrlässig", erklärt Schneider. Eine deutliche Kurskorrektur in der Steuerpolitik sei die Voraussetzung für eine offensive Sozialpolitik, "die alle mitnimmt und keinen zurücklässt".

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